Eine bewegende wahre Geschichte – Filmkritik zu One Life

Anthony Hopkins in One Life 1
Anthony Hopkins © SquareOne Entertainment

Die Kritik:

„Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“ – dieses Sprichwort aus dem jüdischen Talmud fand bereits berühmte Verwendung in „Schindlers Liste“ und steht nun auch Pate für den Titel dieses Films über den von der Presse oft als britischen Schindler gehuldigten Nicholas Winton. Dieser setzte sich kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs für durch die Flucht vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten in ärmlichste und unsichere Verhältnisse getriebene Kinder im tschechoslowakischen Exil ein. Mithilfe verschiedener MitstreiterInnen gelang es ihm unter höchstem bürokratischen Aufstand und persönlichem Risiko schließlich hunderte Kinder per Zug-, Flug- und Schiffsreise nach Großbritannien an Pflegefamilien zu vermitteln und – wie sich später herausstellte – vor dem sicheren Tod zu bewahren. „One Life“ erzählt diese bemerkenswerte und hochgradig bewegende Geschichte auf konventionelle, aber dennoch oft effektive und seinem Protagonisten weitestgehend gerechte Weise. Herausragend ist jedoch einmal mehr Anthony Hopkins, der den älteren mit sich hadernden Nicholas in den 80er Jahren portraitiert.

Der Film von Debütregisseur und Fernsehroutinier James Hawes wird in zwei Zeitebenen erzählt: Erstere zeigt den jungen, damals 29-jährigen Londoner Börsenmakler Nicholas (Johnny Flynn), der im Jahr 1938 mit den traurigen wie unmenschlichen Verhältnissen tschechoslowakischer Flüchtlingslager konfrontiert wird. Die Lebensrealität unzähliger nach dem Münchner Abkommen unter Anderem aus Deutschland und Österreich geflohener bzw. vertriebener Familien hinterlässt bleibenden Eindruck bei dem idealistischen jungen Mann. So beschließt Winton weitgreifende Hilfsmaßnahmen einzuleiten, ohne bei seinem Unterfangen jedoch von den weitestgehend indifferenten Regierungen der Alliierten unterstützt zu werden. Bürokratische Hürden müssen stattdessen genommen werden, wobei auch seine resolute Mutter Babi (Helena Bonham Carter) in der Heimat alle Hebel in Bewegung setzt, um das humanitäre Anliegen seines Sohnes zu realisieren. Währenddessen arbeitet Nicholas in Prag gemeinsam mit den Flüchtlingshelfern Doreen Warriner (Romoloa Garai), Trevor Chadwick (Alex Sharp) und Martin Blake (Ziggy Heath) determiniert an der Rettung der größtenteils jüdischen Kinder.

Johnny Flynn in One Life
Johnny Flynn © SquareOne Entertainment

Im zweiten Erzählstrang begegnen wir dem 79-jährigen Nicholas (Anthony Hopkins), der gemeinsam mit seiner Frau Grete (Lena Olin) seinen Lebensabend im britischen Maidenhead verbringt. Seine Vergangenheit hängt Winton keineswegs an die große Glocke, im Gegenteil wissen weder die Bevölkerung noch die einst geretteten Kinder von seinen Heldentaten. Nicholas bedauert viel mehr, dass er nicht noch mehr Menschen retten konnte. Seine Erinnerungen kommen schließlich beim Aufräumen seines Büros hervor, weshalb er versucht seine 50 Jahre alten Unterlagen, die er für das Britische Komitee für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei gesammelt hat, in die richtigen Hände zu führen. Dabei wird schließlich – von dem zurückhaltenden Nicholas völlig unbeabsichtigt – auch eine breite Öffentlichkeit von seinen Taten informiert.

„One Life“ ist ein zurückgenommener Film, der sich vor allem zum Ziel gesetzt hat, diesem außergewöhnlichen Mann, der sich nie wichtig nahm und stets zuerst an andere dachte, zu huldigen. Das ist ganz klassisch und geradlinig inszeniertes Kino, das auf jede Spielereien verzichtet und sich ganz und gar der Bedeutung seiner Geschichte unterwirft. Die wird hier auch in durchaus aufwändigen und authentischen Bildern, die an Originalschauplätzen wie dem Prager Hauptbahnhof entstanden, zum Leben erweckt. Stets ist die Situation für die klar gezeichneten Figuren eindeutig umrissen, die Größe der Aufgabe sowie der Wettlauf gegen die Zeit spürbar. Johnny Flynn als junger Nicholas Winton macht seine Arbeit sehr gut und gibt einen nachvollziehbaren Sympathieträger, dem aber auch alle Ecken und Kanten abgeschliffen wurden. Spannende und gut gespielte Momente bieten auch insbesondere Helena Bonham Carter und Romola Garai, von denen man gerne noch jeweils mehr gesehen hätte.

Helena Bonham Carter in One Life
Helena Bonham Carter © SquareOne Entertainment

An einer echten Charakterstudie, die aus den Figuren auch dramaturgisches Potential herauskitzeln will oder gar moralische Konflikte aufarbeitet, ist „One Life“ nicht interessiert. In dem 1938er Strang geht es einzig allein um eine Mission und die Aufgabe entgegen aller Widerstände tausenden Kindern eine neue Heimat und damit ein gesichertes Überleben zu ermöglichen. Wesentlich interessanter ist es dann im 1988er Teil, in dem alleine schon das facettenreiche Spiel von Anthony Hopkins zu bannen weiß. Es ist schlicht sehr berührend, diesen rechtschaffenden und völlig selbstlosen Mann zu sehen, der mit den Eindrücken der Vergangenheit nie abgeschlossen hat. Hopkins gelingt es wundervoll, seine nach außen hin positive und warme Persönlichkeit ebenso zu transportieren wie den stets unterschwelligen Schmerz, der ihn nie verlassen hat.

So präsentiert sich ein Film, der mit seiner Machart seinem Sujet zumindest weitestgehend in Sachen Zurückhaltung, wenn auch nicht seiner Außergewöhnlichkeit gerecht wird. Die sehr dick auftragende Musik von Oscar-Preisträger Volker Bertelmann irritiert stellenweise dann leider doch sehr und sorgt für manipulative Sentimentalität, die der Film und Winton angesichts ihrer enorm kraftvollen und demütigen Geschichte absolut nicht nötig haben. An die überwältigende Kraft und Meisterklasse eines „Schindlers Liste“ kommt „One Life“ somit sicher nicht ansatzweise heran, dafür ist Hawes Herangehensweise dann doch zu zurückhaltend und fachmännisch. Die akkurat nachgebildeten Momente, in denen Winton auf die von ihm vor 50 Jahren geretteten Kinder in der BBC-Sendung „That’s Life“ trifft, sollten dann allerdings auch den hartgesottensten Zuschauer mitten ins Herz treffen.

Filmwertung
7/10

Kurzfassung

„One Life“ erzählt eine äußerst bewegende Geschichte auf konventionelle, aber effektive Weise und begeistert mit einem wundrbaren Anthony Hopkins in der Hauptrolle

Fazit:

„One Life“ bietet klassisches wie zurückhaltendes Erzählkino ohne große Überraschungen, aber eine wahrlich faszinierende wie bewegende Geschichte eines außergewöhnlichen Mannes. Herausragend ist einmal mehr der wunderbare Anthony Hopkins, der seiner Figur subtile Facetten entlockt, die der Film nur in Ansätzen vermittelt.

 


von Florian Hoffmann

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