Filmkritik zu Dream Scenario

Nicolas Cage in Dream Scenario
Nicolas Cage © DCM

Die Kritik:

Paul Matthews (Nicolas Cage) ist das Sinnbild eines gewöhnlichen Mannes mittleren Alters: Seine Halbglatze, der etwas runde Bauch, eine eckige Brille und Graue-Maus-Klamotten inklusive Parka mit Riesenkunstpelzkapuze lassen ihn im Alltag untergehen. Seine reizende Frau Janet (Julianne Nicholson) liebt ihn, doch weder Kollegen des promovierten Uni-Professors noch seine beiden Töchter scheinen wohl allzu viel persönlichen Respekt für diesen von üblichen Neurosen geplagten Mann zu haben. Doch eines Tages findet sich Paul zu seiner großen Überraschung im Mittelpunkt des Geschehens: Zunehmend berichten ihm nämlich zunächst Bekannte und Studenten, dass er rätselhafterweise in ihren Träumen als merkwürdig passive Präsenz erscheint. Doch hier endet das Phänomen nicht, denn dieser völlig unbescholtene Mann wird auch weltweit zum Inhalt der Traumwelt von Menschen, die Paul noch nie gesehen haben. Als globale Sensation gefeiert, genießt Paul plötzlich die Aufmerksamkeit einer Welt, die ihn solange ignoriert hat. Doch aus diesem Traumszenario, das Paul endlich eine Bedeutung gibt, entwickelt sich plötzlich ein nicht enden wollender Albtraum…

Der norwegische Autor und Regisseur Kristoffer Borgli hat erst letztes Jahr mit seinem unbequemen Debütfilm „Sick of Myself“ im internationalen Kino eine bemerkenswerte Duftmarke gesetzt: Ging es in dieser herrlich schwarzhumorigen Groteske um die unglaublich schmerzhaften Längen, die die narzisstische Protagonistin zu gehen bereit ist, um zu einer Bedeutung zu finden, wandelt Borgli auch mit seinem US-Erstling „Dream Scenario“ auf thematisch ähnlichen Pfaden. Hier findet er mit Nicolas Cage einen kongenialen Partner, der mal wieder genau die richtige Balance zwischen Genie und Wahnsinn findet und eine seiner wohl besten Performances abliefert. Trotz – oder gerade wegen – seines so biederen Aussehens ist Cage von der ersten Sekunde an die gewohnt magnetische und außergewöhnliche Präsenz, deren besonders artikulierte Sprechweise sowie neurotische Ticks zu amüsieren und zu bannen weiß. Hier werden Erinnerungen an seine großartigen Leistungen als von Zwangsneurosen geplagter Trickbetrüger in „Tricks“ oder vor allem seiner Oscar-nominierten Doppelrolle in „Adaption“ wach.

Nicolas Cage in Dream Scenario
Nicolas Cage & Julianne Nicholson © DCM

Hier ist es vor allem die dort offenbarte sozial unsichere Komponente eines Charlie Kaufman, die auch in „Dream Scenario“ in vielen Momenten zur Geltung kommt. Sein Paul Matthews hat jedoch zumindest zum Film-Kaufman seinen halbwegs respektierten und oberflächlich zufriedenen Platz in der Gesellschaft als Biologie-Professor, Ehemann und Familienvater gefunden. Doch da ist auch eine Leere und Unsicherheit in Paul, der eben nicht auf die schicken Dinnerparties seines geachteten Schnöselkollegen Richard (Dylan Baker) eingeladen wird und auch ansonsten scheinbar keinen wirklichen sozialen Status neben seiner Arbeit zu verzeichnen hat. Und vor allem ist Paul unerfüllt, denn seine vollmundigen Pläne ein Buch über die Schwarmintelligenz von Ameisen („Antelligence“) sind bislang eben nur Pläne, die es noch nicht mal bis zur Schreibphase geschafft haben. Dass seine Kollegin und Ex-Freundin Claire (Marnie McPhail), die ihm nach Jahren zufällig über den Weg läuft, gerade über genau dieses Thema schreibt, verschärft seine Sinn- und Midlife-Krise nur nochmal spürbar.

Doch dann ist da eben dieses skurrile Phänomen, durch das Paul unbewusst zu einer freundlichen Freddy Kruger-Variante wird. Natürlich wird er zum Social Media-Phänomen, das plötzlich nicht nur bei seinen StudentInnen im Mittelpunkt steht, sondern auch in der internationalen Berichterstattung. Paul genießt diese Aufmerksamkeit und fordert sie auch regelrecht ein, sein Leben erhält quasi einen völlig neuen Schwung. Als dann auch noch eine junge und hippe PR-Firma um Trent (Michael Cera) eine virale Kampagne mit Paul starten wollen, bei denen so ungleiche potentiellen Partner wie Sprite oder Barack Obama genannt werden, erkennt Paul auch die Chance, auf sein naturwissenschaftliches Buch aufmerksam zu machen – das nur eigentlich leider niemanden interessiert. Avancen einer viel jüngeren Frau dieses Start-Up-Unternehmens (Dylan Gelula), der Paul ganz und gar nicht passiv im Traum erschienen ist, lässt schließlich alles aus den Fugen geraten.

Nicolas Cage in Dream Scenario
Nicolas Cage © DCM

Zuviel sollte bei dieser sonderbaren Odyssee natürlich nicht verraten werden. „Dream Scenario“ ist ein herausragend origineller wie unterhaltsamer Film über das Streben nach Bedeutung in einer wankelmütigen Welt, über Unsicherheiten, Neurosen, Einsamkeit, Trauma, Berühmtheitskult und – eben auch das thème-du-jour – Cancel Culture. Was zunächst wunderbar eigenwillig, fantasievoll, gar charmant und witzig beginnt, entwickelt sich in einen durchaus abgründigen, aber erstaunlich menschlichen und schließlich sogar sehr berührenden Film, der etwas mit dem Zuschauer macht und garantiert nicht kalt lässt. Sicher, ganz nachvollziehbar mag die Entwicklung dieses Films nicht unbedingt sein. Sein fantastisches Konzept ist dann eben aber auch Mittel zum Zweck für eine bewusst ganz leicht überhöhte Analogie auf eine zunehmend eigensinnige Gesellschaft, deren empathischer Blick auf die Mitmenschen immer enger wird. Einer Gesellschaft, in der Schwarz-Weiß-Denken und ein moralisches Überlegenheitsgefühl im sich selbst beruhigenden Namen der Menschlichkeit oft genau gegenteiliges bewirkt.

So ist Borgli hier ein herausragender und smarter Film gelungen, der viele Markenzeichen eben eines Charlie Kaufman beinhaltet, manchmal aber auch – nicht nur wegen Owen Palletts an Jon Brion erinnernde Filmmusik – an den surrealen Umgang mit Einsamkeit in Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“ erinnert. Borglis Film ist ebenso von Menschlichkeit durchtränkt wie das Werk der genannten Vorbilder. Vergleichbar findet er auch eine surreale und trotz allen schwarzen Humors unberechenbare beziehungsweise subtil bedrohliche Atmosphäre, die sich auch in manch einem überraschenden und geschickt platzierten Schockmoment entlädt. Was in weniger fähigen Händen zu einem reinen Gimmick hätte verfallen können, wird in Borglis Händen zu einem äußerst ambitionierten, vielschichtigen und thematisch potenten Film, der schon jetzt zu einem der Highlights des Kinojahres gezählt werden darf.  

Filmwertung
8.5/10

Kurzfassung

„Dream Scenario“ entpuppt sich schon jetzt als eines der Highlights des Kinojahres: Ein skurril-komisches, äußerst originelles wie auch berührendes Kleinod mit einem herausragenden Nicolas Cage

Fazit:

Mit „Dream Scenario“ liefert Regisseur Kristoffer Borgli nach „Sick of Myself“ sein zweites Highlight in kürzester Zeit: Dieser hochgradig originelle Film Film ist nicht nur äußerst skurril, er packt den Zuschauer auch mit seinen provokanten wie zeitgemäßen Themen und einem großen empathischen Herz. Hier werden Lachen, Schocker, unbequeme Situationen und berührende Menschlichkeit in einer tonalen Meisterleistung wunderbar miteinander verknüpft. Hinzu kommt ein herausragender Nicolas Cage, der hier eine seiner besten Leistungen überhaupt abliefert.


von Florian Hoffmann

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