Filmkritik zum neuen Universal-Horror Abigail

Alisha Weir als Abigail
Alisha Weir © Universal Pictures

Die Kritik:

Eine Gruppe von Kriminellen um Mastermind „Frank“ (Dan Stevens) entführt in einer Nacht- und Nebelaktion ein junges Mädchen namens Abigail, das sie betäuben und in eine abgelegene Villa verfrachten. Dort sollen sie auf Geheiß ihres Bosses Lambert (Giancarlo Esposito) einfach nur 24 Stunden der Dinge weilen, bis Abigails Vater die geforderten 50 Millionen Dollar Lösegeld bezahlt hat. Keine Namen, keine Fragen und keine Erzählungen über Vorgeschichten und Hintergründe, das ist die einzige Marschroute für die Kidnapper. Doch wie Abigails einziger designierter Kontakt Joey (Melissa Barrera) im vertrauensvollen Gespräch mit der jungen Ballerina herausfindet, haben sie sich wohl mit einer Unterweltgröße angelegt. Es kommt, wie es kommen muss und die Gangster finden sich bald in einem hermetisch verschlossenen Komplex ohne Ausweg wieder, während einer nach dem anderen von einer zunächst unsichtbaren Gefahr um die Ecke gebracht wird… 

Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, kurz Radio Silence, haben sich insbesondere mit „Ready or Not“ sowie den beiden „Scream“-Fortsetzungen einen Namen im Mainstream-Horror gemacht. Das setzt sich nun mit „Abigail“, ihrem bisher möglicherweise besten Film, recht eindrucksvoll fort. Hier wird äußerst deftige, aber eben auch augenzwinkernde Horrorkost geboten, die herrlich spaßig, kurzweilig und sehr gut aufgelegt daherkommt. Erinnerungen an „Ready or Not“ kommen so nicht nur wegen des ähnlichen Settings hoch. Entscheidend für den Erfolg dieser packenden Horror-Achterbahnfahrt ist insbesondere der hervorragende Cast, der neben den genannten Stevens und Barrera aus Kathryn Newton, Kevin Durand, Angus Cloud sowie William Catlett gebildet wird. Bettinelli-Olpin und Gillett, die bereits zuvor ein Händchen für farbenfrohe Figurenzeichnung und Ensembleführung bewiesen haben, erschaffen erneut eine wunderbar dynamische Charakterkonstellation. Hier haben nicht nur die DarstellerInnen spürbar Spaß, sondern dann auch das Publikum.

Alisha Weir als Abigail
Alisha Weir © Universal Pictures

Im Stile guter wie routinierter Geschichtenerzähler entfalten die beiden Regisseure nach und nach die Hintergründe von Abigail wie auch der Kriminellen, wodurch der Film von Anfang an einen wunderbaren Sog aufbaut. Die Eröffnung des Films etabliert effektiv die Figuren und die schön geheimnisvolle Prämisse, während die Entführung in all ihren Schritten abläuft. Das ist spannend und macht Lust auf mehr. Schön sind auch die eleganten Bilder von Kameramann Aaron Morton sowie das herausragend stimmungsvolle Szenenbild der riesigen Schauervilla von Susie Cullen. Klare Sympathie- und Identifikationsfigur in diesem Szenario ist Joey, die fürsorglich und behutsam mit dem entführten Mädchen umgeht. Joeys Hintergründe werden etwas klarer angedeutet als die der restlichen Gaunerbande – so ist sie Mutter eines Kindes und ihre Beweggründe für die kriminelle Tat scheinen ambivalent wie nachvollziehbar. 

„Abigail“ macht besonders dann Freude, wenn Bettinelli-Olpin und Gillett ihr Ensemble aufeinander loslassen. So entstehen in diesem von gegenseitigem Misstrauen geprägten Szenario interessante Spannungen und vor allem auch herrlich geistreich geschriebene Schlagabtäusche mit gelungenen Pointen. Fast jede Szene stiehlt zunächst der liebenswerte Mann fürs Grobe „Peter“ (Durand), der ebenso sympathisch wie einfältig daherkommt und öfter mal auf dem Schlauch steht. Seine das Offensichtliche erkennenden Kommentare erweisen sich als absolutes Gold. Insbesondere, wenn der Plot hier ins Rollen kommt und schlimme Dinge geschehen, wird hier jede Menge augenzwinkernder Witz entlockt. Im Laufe des Films entwickelt sich dann Dan Stevens zum MVP von „Abigail“, der mit seinem Charisma und spürbarer Spielfreude als schmierig-süffisanter Goldketten-Gangster alles an sich reißt. Dankbarerweise verwechseln die Macher aber nicht augenzwinkernden und wissenden Humor mit ätzender Ironie, so kommt aller Humor aus den Figuren selbst, ganz ohne distanzierenden Meta-Kommentar.

Melissa Barrera als Joey in Abigail
Melissa Barrera © Universal Pictures

Der Film lässt sich viel Zeit mit der Enthüllung der Bedrohung, was eine schöne Spannung erzeugt, jedoch hat man beim Marketing des Films kein Interesse auf Verschleierung. So ist „Abigail“ dann wenig überraschend eine Vampirgeschichte, die im Canon der Universal Monsters wohl als ganz lose Adaption von „Draculas Tochter“ daherkommen soll. Neben dem wunderbar agierenden Ganovengespann ist es dann eben die junge Alisha Weir, die als jahrhundertealte Titelfigur ebenfalls eine herausragend spielfreudigen Eindruck macht. Das diabolische Spiel mit ihren unterlegenen Opfern bringt sie ebenso genüsslich zur Geltung wie ihre unbändige zerstörerische Kraft.  

Ohne noch weiter zu viel zu verraten, darf gesagt werden, dass es bei „Abigail“ schon ordentlich zur Sache geht. Der Film hat einige wortwörtliche Knalleffekte auf Lager, aber auch sonst jede Menge Ekelmomente mit äußerst viel Gekröse und Blut. Richtig gruselig ist es hier selten, auch echte Spannungsmomente sucht man im späteren Verlauf eher vergebens. Dennoch ist „Abigail“ dank seiner nahbaren wie nachvollziehbaren Figuren und der wendungsreichen wie überraschenden Erzählung durchaus packend und hält so von Anfang bis Ende bei der Stange. Es macht einfach Spaß zu sehen, wie Bettinnelli-Olpin und Gillett hier gekonnt mit der Erwartung des Zuschauers und Genremythologie spielen. Wie man mit der Bedrohung umzugehen hat, entlockt hier auch den ein oder anderen gelungenen Lacher. Auch wenn am Ende vielleicht der letzte Clou fehlt, der die Story zu etwas ganz Besonderem abrundet und auch alles möglicherweise eine Spur zu wild getrieben wird, kann man dem Gezeigten kaum böse sein. „Abigail“ weiß genau, was er ist und macht damit einfach verdammt viel Freude.

Filmkritik zum neuen Universal-Horror Abigail
7/10

Kurzfassung

„Abigail“ ist dank gekonnter Inszenierung und hervorragend aufgelegtem Cast nicht nur ein großer Spaß für Fans von deftigem Horror.

Fazit:

Nach „Ready or Not“ und ihren beiden „Scream“-Filmen erschafft das Regie-Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett ihren bisher vielleicht besten Film. „Abigail“ ist ein mustergültiges Beispiel für gekonnt inszenierten Spaß-Horror, der zwar nicht unbedingt gruselig, aber dafür sehr effektiv ist. Das ist packend wie sympathisch augenzwinkernd und stets wendungsreich und überraschend. Auch dank einer hervorragend aufgelegten Besetzung folgt man diesem Film richtig gerne.


von Florian Hoffmann

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