Ein Glücksfall – Kritik zu Woody Allens 50. Spielfilm

Lou de Lâage & Niels Schneider © Weltkino
Lou de Lâage & Niels Schneider © Weltkino

Die Kritik:

Alles scheint perfekt im Leben von Fanny (Lou de Laâge): Als leitende Mitarbeiterin in einem Pariser Auktionshaus steht sie beruflich auf tadellosen Füßen. Ihr älterer Mann Jean (Melvil Poupaud) ist darüber hinaus ein windiger Finanzhai, der für einen exquisiten Lebensstandard in der Pariser Oberschicht sorgt. Fanny liebt Jean natürlich auch, doch als ihr aus heiterem Himmel Alain (Niels Schneider), ein alter Studienfreund aus New Yorker Tagen, über den Weg läuft, wird ihr heiles Leben auf den Kopf und in Frage gestellt. Aus anfänglicher Neugier und gelegentlichen Treffen zum Mittagessen entwickelt sich eine intensive Liebschaft zu dem idealistischen Autor, die Fanny kaum noch verstecken kann. So wittert der zunehmend misstrauische Jean, dass mit seiner Frau irgendwas nicht stimmt und hetzt einen Privatdetektiv auf sie…

Aus bekannten Gründen muss Woody Allen, die große Instanz des amerikanischen Autorenkinos, mittlerweile seine Filme meist im Ausland finanzieren lassen und drehen. Wie auch schon ein paar Mal zuvor führt der Weg des nun 88-jährigen New Yorker Urgesteins für seinen 50. Spielfilm zu einem seiner Herzensorte nach Paris. Zum ersten Mal dreht Allen dann aber auch einen Film vollständig in einer fremden Sprache, in diesem Fall wenig überraschend französisch. Auch wenn Allen eine leicht überhöhte Version der französischen Metropole und seiner Bewohner präsentiert, bringt er wieder einmal die Komplexität menschlicher Befindlichkeiten meisterhaft in 93 Minuten auf den Punkt, ohne auch nur eine Silbe zu verschwenden. Hierbei steht er überdeutlich in der Tradition seiner eigenen präziser Sezierungen menschlicher Schwäche wie „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“, „Match Point“. Kurzum: „Ein Glücksfall“ macht seinem Titel alle Ehre und ist mindestens Allens bester Film seit dem ebenfalls ähnlich gearteten „Irrational Man“, vielleicht aber sogar „Blue Jasmine“.

Lou de Lâage & Valérie Lemercier © Weltkino
Lou de Lâage & Valérie Lemercier © Weltkino

Es ist schlichtweg ein Genuss, dieser punktgenauen Beobachtung zuzusehen. Was mit dem Wiedersehen der beiden alten Bekannten und auch der Einführung der weiteren Figuren durchaus noch ein wenig holprig daherkommt, entwickelt schnell eine bemerkenswerte Klarheit und unbestreitbare Sogwirkung. Die Anziehungskraft zwischen Fanny und Alain ist greifbar, der Idealismus dieser jungen und doch so unmöglichen Romanze völlig nachvollziehbar. Allen findet hierfür mit Lou de Laâge und Niel Schneider zwei attraktive Performer mit knisternder Chemie, während im Hintergrund das kontrollsüchtige Alphamännchen Jean für ein schlechtes Gewissen sorgt. Er vergöttert seine Frau, aber dass er sie auch als Besitz und Trophäe ansieht, schwingt auch unmissverständlich mit. Für ihn ist klar – und das ist das wenig subtile, da häufig erwähnte Grundthema des Films – so etwas wie Glück gibt es nicht. Noch schlimmer, er verachtet die Menschen, die daran glauben. Wenn überhaupt, muss man das Glück provozieren. Das genau gegenteilige Weltbild vertritt Alain: Für ihn ist das ganze Leben ein einziges Glück, schließlich liegt alleine die Wahrscheinlichkeit der eigenen Geburt bei eins zu vier Billionen.

Die Affäre intensiviert sich, die Ausreden häufen sich und alles an Fannys spürbar unbeholfener und überforderter Körpersprache schreit förmlich nach Unehrlichkeit und Gedankenverlorenheit in Jeans Anwesenheit. Keine Frage, man würde der jungen Frau, die eigentlich in einem Goldkäfig lebt, den Erfolg ihres zweites Erwachens wirklich wünschen. Doch als Zuschauer beobachtet man auch mit gewissermaßen perfidem schicksalhaftem Genuss, wie hier alles auf einen Riesenunfall hinausläuft. Allen hat hieran spürbare Freude: Mit bitterböser Leichtigkeit präsentiert er hier die Banalität der Kaltblütigkeit, ohne mit der Wimper zu zucken. Das ist zweifelsohne mit einer großen Klarheit und Ernsthaftigkeit, aber eben bemerkenswerterweise ohne jede Schwere erzählt und inszeniert. Überall platziert Allen im Stile eines brillanten wie versierten Geschichtenerzählers kleine Motive, die er in dieser herrlich wendungsreichen und pointierten Geschichte aufgreift und schließlich zu einem unvermeidbaren Schlusspunkt perfekt zu Ende führt.

Lou de Lâage & Valérie Lemercier © Weltkino
Lou de Lâage & Valérie Lemercier © Weltkino

Mag sein, dass das alles nicht neu ist, insbesondere, wenn man Allens Werk kennt. Aber gerade für Fans seines Werks, ist „Ein Glücksfall“ schlichtweg eine überaus willkommene Brise frischer Luft in einer Kino- und Serienlandschaft, die voll ist von aufgeblasenen Narrativen. Hier braucht es eben nur besagte 93 Minuten, um hochgradig unterhaltsam eine komplett runde Geschichte zu erzählen, die alles auf den Punkt bringt, was es zu sagen gibt. Das glaubhafte Ensemble hier ist gut, auch wenn vielleicht ein wenig die Finesse von Allens üblicher Schauspielelite fehlt, um hier den ganz großen Wurf zu erreichen. Dennoch, eine gewisse Meisterklasse kann man hier einfach nicht von der Hand weisen, die hier schlichtweg für einen Heidenspaß sorgt.

Ein Glücksfall - Kritik zu Woody Allens 50. Spielfilm
8/10

Kurzfassung

Mit seinem 50. Film „Ein Glücksfall“ präsentiert sich Woody Allen mal wieder in perfider Bestform – für Fans ein Hochgenuss!

Fazit:

„Ein Glücksfall“ steht in der Tradition von Woody Allens herausragenden Kriminalgeschichten „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ oder „Match Point“. Auch hier seziert er genüsslich und hochgradig pointiert menschliche Schwäche, wobei sich der spürbare Spaß des Altmeisters hinter der Kamera auf sein Publikum überträgt. So ist hier ein 93-minütiger Hochgenuss zu sehen, der im gleichen Maße packt wie amüsiert.


von Florian Hoffmann

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