Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes: Filmkritik zum soliden Prequel

Tom Blyth & Rachel Zegler © Leonine Distribution

Die Kritik:

Kaum jemand hat sich wohl wirklich gefragt, ob es nicht nochmal einen neuen „Tribute von Panem“-Film geben könnte – Die Geschichte um Rebellin Katniss Everdeen, die in Suzanne Collins Young Adult-Dystopie im Mittelpunkt stand, ist schließlich auserzählt. Tatsächlich waren es dann sogar die Produzenten, die für den Anstoß sorgten, der die Autorin dazu brachte, eine Vorgeschichte in Form ihres 2020 erschienenen Bestsellers „Das Lied von Vogel und Schlange“ zu schreiben, um die Franchise doch noch etwas auszumelken. Für die Adaption zeichnet sich nun erneut „I Am Legend“- und „Constantine“-Macher Francis Lawrence verantwortlich, der bereits seit dem zweiten „Tribute von Panem“-Teil „Catching Fire“ auf dem Regiestuhl saß. Der nun bereits fünfte „Panem“-Film fügt sich so stilistisch nicht nur nahtlos in die Reihe ein, er ist nach genanntem zweitem Part wohl sogar überraschend der beste der Saga. Gewichtig und ernsthaft in großen Bildern erzählt hat „The Ballad of Songbirds and Snakes“ bei einer Lauflänge von 157 Minuten zwar sicher einige Längen, einen oft spannenden, solide mitreißenden und in seiner Charakterzeichnung durchaus facettenreichen Film hätte man aber wohl kaum erwartet.

Rachel Zegler © Leonine Distribution

64 Jahre vor den Ereignissen der Trilogie: Erzählt wird die Geschichte von dem 18-jährigen Coriolanus Snow (der 28-jährige Tom Blyth), der später bekanntlich zum von Donald Sutherland gespielten Antagonisten der Serie wird. Coriolanus stammt einer reichen Familie ab, doch der Großteil ihres Reichtums ist in Folge des großen Krieges, der im Capitol gewütet hat, versiegt. So versuchen der Nachfahre des gefallenen Kriegshelden und Generals Crassus Snow mit seiner Großmutter (Fionnula Flanagan) und seiner Cousine Tigris (Hunter Shaefer) den Schein besserer Tage nach außen aufrechtzuerhalten. Als hervorragender Schüler der Akademie wird Coriolanus nun auserwählt, um bei den zehnten Hungerspielen als Mentor eines Tributen zu fungieren. Ihm zugeteilt wird die rebellische wie rätselhafte Lucy Gray Bird (Rachel Zegler), die aus dem verarmten 12. Distrikt stammt. Teils aus Sympathie, wohl aber vor allem angetrieben durch den unbedingten Willen das Preisgeld für den Gewinn der Hungerspiele einzuheimsen, baut er eine enge Beziehung zu der vielversprechenden Kandidatin auf. Es folgt nicht nur ein Kampf um Leben und Tod, sondern auch um Loyalitäten, Liebesbeziehungen und nichts Geringeres als die Gestaltung der Zukunft von Panem.

Anders als in der bisher bekannten Trilogie nimmt „The Ballad of Songbirds and Snakes“ spannenderweise nicht die Perspektive der Rebellen, sondern die der Besserbetuchten ein. Konkret ist das Coriolanus, dem man in einer Art Charakterportrait dabei zusehen kann, wie er ganz langsam von der Macht korrumpiert wird. Erinnerungen an die „Star Wars“-Prequels und den Fall von Anakin zu Darth Vader werden hier unweigerlich wach, wobei es hier dann doch weit weniger dramatisch und zugleich viel subtiler zur Sache geht. Dieser junge Coriolanus ist nicht zwingend das personifizierte Gute, tatsächlich ist er im gesamten Verlauf des Films dank Hauptdarsteller Tom Blyth zwar eine faszinierende, aber eben auch eher stille und nur schwer greifbare Präsenz. Das ist interessant wie dramaturgisch wenig zündend zugleich, denn so ganz mitgehen kann man mit dieser enigmatischen Figur nur bedingt.

Viola Davis als Dr. Volumnia Gaul © Leonine Distribution

Sein Coriolanus ist sichtlich gefangen in einem Zwiespalt: Er scheint die Hungerspiele zwar ähnlich wie sein bester Freund Sejanus (Josh Andrés Rivera) auf der einen Seite abzulehnen, jedoch möchte er auch den sozialen Status seiner Familie unbedingt erhalten. Er geht human vor, baut anders als alle anderen Mentoren hautnahen Kontakt und Augenhöhe mit seiner Tributin auf, stiehlt ihr sogar Nahrung. Ob er das aus reiner Nächstenliebe oder – wie er es vor Sejanus behauptet – um wettbewerbsfähiger zu sein, das wird dem Zuschauer letztlich immer ein wenig überlassen. Zugleich steht Coriolanus auch immer unter Beobachtung der zwielichtigen Figuren Dr. Volumnia Gaul (Viola Davis) und Casca Highbottom (Peter Dinklage): Gaul fungiert als Oberste Spielmacherin und versucht Coriolanus mit ihrem kaltherzigen und nüchternen Weltbild zu beeinflussen. Highbottom hingegen mag zwar als Erfinder der Hungerspiele gelten, der ehemalige Weggefährte von Coriolanus Vater und jetzige Dekan der Akademie verbirgt unter der Oberfläche jedoch zahlreiche Konflikte, die im Verlauf des Films zum Vorschein kommen.

„The Ballad of Songbirds and Snakes“ baut von Beginn an eine unterschwellige Spannung auf, die die beiden Teile von „Mockingjay“ sträflich vermissen ließen. Diese Spannung zieht der Film natürlich daraus, dass hier die Fragestellung im Raum steht, wie aus einem idealistischen jungen Mann ein unerbittlicher autokratischer Herrscher werden kann. Waren die Geschwätzigkeit und ein schlicht fehlendes erzählerisches Momentum in den Vorgängerfilmen ein Problem, bietet diese Geschichte einfach schon mal mehr Zündstoff. Da ist dann eben auch die aufkeimende Beziehung zwischen Coriolanus und Lucy Gray, die auch dank der beiden recht charismatischen Darsteller für Aufmerksamkeit sorgt. So richtig abheben will der Film dann aber nie so ganz, denn zu mysteriös bleiben die Intentionen und Gedanken dieser Hauptfigur. Das gleiche gilt für Gray, die eben keine Sympathieträgerin wie Katniss Everdeen ist, sondern bis zum Schluss kaum greifbar ist.

Fionnula Flanagan, Tom Blyth & Hunter Shaefer © Leonine Distribution

Die Hungerspiele, die dann das mittlere und zentrale Kapitel des Films ausmachen, bieten darüber hinaus solide Genrekost, die abgesehen von besagter zentraler Beziehung aber leider auch nicht viel Neues beiträgt. Lediglich der Umstand, dass die Spiele noch in den Kinderschuhen stecken und von Coriolanus zu dem gemacht werden, was sie später sind, macht dieses Unterfangen etwas frisch. Wie auch bei den Vorgängern geht es hier natürlich sehr brutal, aber leider auch wegen der Altersfreigabe reichlich unblutig zu. Derartige Gewalt ohne Blut erscheint immer etwas paradox und fast schon verantwortungslos, denn so macht man sich letztlich auch etwas vor und verharmlost letztlich all diese rohe Brutalität.

Francis Lawrence und sein Kameramann Jo Willems gestalten nichtsdestotrotz erneut große Bilder und erschaffen gemeinsam mit dem gestalterischen Team eine fantastisch greifbare und durch zahlreiche Original-Locations (viele davon in Deutschland) angereicherte Welt. Die herausragend komponierten Breitwandbilder gehören sogar mitunter zum Besten, was es dieses Jahr ins Kino geschafft hat und lassen andere sogenannte Blockbuster wie „The Marvels“ fast wie einen Fernsehfilm erscheinen. Gepaart mit der erwachsenen Ernsthaftigkeit der Erzählung ist mit „The Ballad of Songbirds and Snakes“ ein sehr solider Film mit überraschend viel Seele gelungen, der nicht nur Fans der Reihe einiges bieten sollte.

Rachel Zegler & Tom Blyth © Leonine Distribution

Hierfür sollte aber klar sein, dass man ohne Vorwissen vermutlich völlig auf der Strecke bleibt. Die Hungerspiele selbst oder gar den Hintergrund dieser Dystopie werden nicht mal in kurzen Worten erklärt. Selbst diejenigen, die die immerhin vor neun Jahren beendete Trilogie nicht erst vor kurzem gesehen oder tief in der Roman-Materie stecken, könnten hier einigermaßen oft verwirrt sein. In seinen schwächeren Momenten mäandert auch dieser Film wieder zu sehr umher und verliert sich in einer gewissen Geschwätzigkeit. Lawrence grundiert das Gezeigte dennoch immer trotz den wohl weiterhin absurdesten Fantasynamen und überlebensgroß aufspielenden über-flamboyanten Figuren in wilden Kostümen glaubhaft und bettet die gesellschaftspolitischen Untertöne wirkungsvoll in dieses überhöhte Science-Fiction-Abenteuersetting. 157 Minuten sind dafür jedoch nicht nötig, auch wenn Roman-Puristen dann hier angesichts der werktreuen Adaption besonders auf ihre Kosten kommen. Insbesondere beim letzten Akt nach den Hungerspielen ist die Luft ziemlich raus und das bemühte Romeo und Julia-Szenario zwischen Coriolanus und Lucy Gray fällt eher flach. Gerade das Handeln von Lucy erweist sich am Ende als mitunter sehr verwirrend.

Dann ist da eben auch die entscheidende Frage, ob der Wandel von Coriolanus hier wirklich packend und zufriedenstellend erzählt wird. Hier hat man das Gefühl, dass ebenfalls Potential nicht ausreichend genutzt wurde. Ein emotionaler Punch bleibt nicht nur deshalb aus, dass man keine emotionale Bindung zu dieser Figur aufbaut. Auch ist diese Entwicklung derart subtil erzählt, dass man sich am Ende nur schwer vorstellen kann, wie aus diesem jungen Mann die später von Donald Sutherland verkörperte Figur werden kann. Um das wirklich zu verkaufen, muss dann wohl eine noch nicht geschriebene Fortsetzung herhalten.

6.5/10

Kurzfassung

„Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes“ ist überlanges, aber über weite Strecken überraschend gelungenes Sci-Fi-Abenteuerkino.

Fazit:

„Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes“ hat bei einer Laufzeit von 157 Minuten einige Längen und einen nicht ganz runden Erzählrhythmus. Auch ist diese Vorgeschichte des späteren autokratischen Herrschers Coriolanus Snow zwar überraschend nuanciert, aber eben auch nicht ganz zufriedenstellend erzählt. Dennoch gelingt Regisseur Francis Lawrence hier ein ernsthafter und oft spannender Film mit Seele, der in der Franchise mindestens die beiden „Mockingjay“-Filme überholt.


von Florian Hoffmann

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