Men – Was dich sucht, wird dich finden – Filmkritik

Men - Was führt der seltsame nackte Unbekannte (Rory Kinnear) im Schilde?
Men - Was führt der seltsame nackte Unbekannte (Rory Kinnear) im Schilde? © Men Film Rights LLC./Koch Films/Kevin Baker

Die Kritik:

Schon mal eins vorweg: Die letzten 15 Minuten von Alex Garlands dritter Regiearbeit gehören sicherlich zum bizarrsten, was seit vielen Jahren über die Kinoleinwände geflimmert ist. Sie garantieren, dass sich an „Men“ die Geister scheiden, starke und sehr polarisierende Reaktionen inklusive jeder Menge Diskussionsstoff sind hier jedenfalls garantiert. Es ist die wahnwitzige Kulmination eines metaphorisch immens aufgeladenen Kinoalbtraums, der zum einen Meditation über Trauma und Schuld ist, zum anderen aber auch eine entweder sehr plumpe oder auch sehr clevere Abrechnung mit dem männlichen Geschlecht darstellt. Ja, Alex Garland („Ex Machina“, „Auslöschung“) macht es dem Zuschauer auch mit seinem neuen und heiß erwarteten Spielfilm wahrlich nicht leicht. „Men“ ist ein psychologisches Horrordrama, das sich ganz behutsam und unwohl unter die Haut schleichen möchte, um sich dann in einer grotesken, fleischigen und Cronenberg-esquen Explosion zu entladen. Wer jedoch glaubt, am Ende wirklich schlauer zu sein, wird sich mit einem Film konfrontiert sehen, dessen wilde Ideen und starke Bilder erst mal eine Weile im Kopf seiner Zuschauer gedeihen müssen.

Das ist natürlich nun alles sehr vage ausgedrückt, jedoch ist der reine Plot von „Men“ grundsätzlich denkbar simpel wie klassisch gestaltet: Harper (Jessie Buckley) will sich von einem schicksalhaften Ereignis erholen und fährt raus aufs englische Land, wo sie Ruhe und Abstand in einem alten Landhaus finden möchte, dass sie von dem netten wie etwas verschrobenen Geoff (Rory Kinnear) gemietet hat. In der ländlichen Idylle scheint sie zunächst auch wieder zu sich zu finden, jedoch sorgt schon bald ein nackter heruntergekommener Rumtreiber (auch Rory Kinnear) für Unwohlsein bei der jungen Frau. Die örtliche Polizei ist auch keine große Hilfe, während der arg konfrontative und bevormundende Vikar (erneut Rory Kinnear) wie auch ein maskierter und beleidigender Schuljunge (wer wohl: Rory Kinnear) Harpers Beklemmung und Isolation nur weiter steigern.

Men - Der Vikar (Rory Kinnear) hat zweifelhafte Absichten
Men – Der Vikar (Rory Kinnear) hat zweifelhafte Absichten
© Men Film Rights LLC./Koch Films/Kevin Baker

Es ist offensichtlich, der wohl plakativste wie cleverste inszenatorische Kniff von Garland ist es, all seine männlichen Figuren vom gleichen Schauspieler in unterschiedlichsten Masken und Kostümen spielen zu lassen – alle Männer sind im wahrsten Sinne des Wortes gleich. Mit dem sehr direkt gewählten Titel muss man den Film kaum gesehen haben, um seine scheinbar offensichtliche Botschaft deuten zu können: Hier wird toxische Maskulinität ganz zeitgemäß und facettenreich aus einer bestimmten, durch negative Erfahrungen geprägten weiblichen Sicht seziert. Natürlich lässt Garland in seiner kraftvollen metaphorischen Bildgewalt und seiner gleichzeitig vagen wie äußerst direkten Herangehensweise aber jederzeit sehr viel Interpretationsspielraum, da Dinge nur gezeigt und nicht offen ausgesprochen werden. Ein simpler und selbsterklärender Botschaftsfilm ist „Men“ wahrlich nicht, zufriedenstellend ist er aber auch nur bedingt.

„Men“ funktioniert lange Zeit als surrealer Albtraum, der mit herausragenden audiovisuellen Mitteln für latentes Unwohlsein und ganz behutsam gesteigerte Beklemmung sorgt. Garland gelingt es, das eigentlich pittoreske englische Landleben in saftigen Grüntönen und offenen Weiten gleichsam wunderschön und idyllisch wie auch bedrohlich und klaustrophobisch zu gestalten. So ist Harpers Umherwandern durch die Wälder und über die Felder zum einen ein Akt der Selbstreinigung und -findung, aber im nächsten Moment auch ein sehr realer Albtraum: So erkennt sie in einem der effektiveren Szenen des Films am anderen Ende eines Tunnels mitten im Wald eine schemenhafte Figur, die sich ihr plötzlich nähert und sie zu verfolgen scheint. Schließlich gelangt die flüchtende Harper dann an einen Tunnel, der dem ersten sehr genau gleicht, aber komplett zugemauert ist. Garland suggeriert hier immer wieder mit zahlreichen inszenatorischen Kniffen effektiv Ausweglosigkeit für seine Protagonistin.

Weitere Überraschungen dieses zunehmend unwirklichen Trips sollen an dieser Stelle nicht offenbart werden. „Men“ ist zweifelsohne anspruchsvolles Kino, das mit oft meisterhaften Mitteln überaus originell und frisch gestaltet ist, aber für viele Zuschauer auch eine Spur zu selbstverliebt am Rande der Prätention mit seiner eigenen Symbolik und Metaphorik umgehen könnte. Garland liefert hier im Großen und Ganzen aber erneut ab und untermauert seinen neugewonnenen Status als einer der aufregendsten Filmemacher unserer Zeit, auch wenn „Men“ sein bislang sicher schwächster Film ist.

Men - Harper (Jessie Buckley)
Men – Harper (Jessie Buckley) © Men Film Rights LLC./Koch Films/Kevin Baker

Über jeden Zweifel erhaben ist aber erneut die herausragende Jessie Buckley, die nach ihrem Oscar-nominierten Part in „The Lost Daughter“ eindrucksvoll in einer weiteren Tour de Force untermauert, dass sie zu den spannendsten Schauspieltalenten der Gegenwart gehört. Sie trägt den Film nahezu alleine, besonders ragen aber die immer wieder eingebetteten Rückblenden durch bemerkenswerte Intensität heraus, die sie mit ihrem Ex-Mann James (Stark: Paapa Essiedu) in stetigem, teils gewalttätigem Konflikt zeigen und ihr Trauma in wichtigen Kontext setzen. Auf keinen Fall unerwähnt bleiben darf auch Charaktermime Rory Kinnear, der in seiner chamäleonartigen Multifiguren-Performance sein immer wieder angedeutetes Potential faszinierend ausspielen kann und sicher damit zu den Highlights des Films gezählt werden muss.

Nach „Men“ wird man sich zunächst einmal sammeln müssen, um das herausfordernde Gezeigte erst mal adäquat einzuordnen. Ganz im Stile eines David Lynch funktioniert dieser Film wunderbar auf reiner Wirkungsebene, richtig Spaß macht es dann aber, seine Themen und Metaphern anschließend auseinanderzunehmen. Ob „Men“ dann letztlich so viel narratives Futter bietet wie Garlands vorige Filme, muss man dann aber selbst entscheiden, kalt lässt dieser faszinierende Film aber sicher niemanden.

Filmwertung
7.5/10

Kurzfassung

Unter die Haut gehende Psychodrama.

Fazit:

Auch wenn „Men“ vielleicht der bislang schwächste Film von Alex Garland ist, liefert der Ausnahmefilmemacher dennoch erneut mit surrealer Albtraumatmosphäre, einprägsamer wie stark metaphorisch aufgeladener Bildsprache sowie viel Interpretationsspielraum stark ab. Das gemächlich unter die Haut gehende Psychodrama ist zudem mindestens dank seiner starken Hauptdarstellerin Jessie Buckley wie auch seines mehrere Parts ausfüllenden Chamäleons Rory Kinnear sehenswert.


von Florian Hoffmann

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. (Kommentar wird erst geprüft)


*