Filmkritik zu Reality

Sydney Sweeney
Sydney Sweeney © Grandfilm

Die Kritik:

Juni 2017. Die in Augusta, Georgia stationierte NSA-Übersetzerin Reality Winner (Sydney Sweeney) kommt nach der Arbeit vom Einkaufen nach Hause in ihr kleines Ein-Familienhaus. Dort empfangen sie ganz unaufgeregt zwei FBI-Agenten (Josh Hamilton und Marchánt Davis). Die Männer haben einen Durchsuchungsbefehl für ihr Haus und ihren Wagen. Worum es geht, wird zunächst nicht ausgesprochen. Nach und nach trudeln immer weitere Männer ein, mal im Poloshirt, mal in FBI-Kleidung. Die Straße dieser US-Vorstadt ist zunehmend mit schwarzen SUVs gesäumt. Freundlich aber bestimmt geht man mit der jungen Frau um, die zunächst nur um ihre Haustiere, einen Hund und eine Katze besorgt ist. Neben um die bedrohliche Situation umhertänzelndem Smalltalk spitzt sich die Situation langsam zu und konkretisiert sich: Hat Reality streng vertrauliche Geheimdienst-Dokumente aus ihrem Büro an fremde Quellen weitergeleitet?

Die Geschichte um die ehemalige US Air Force-Mitarbeiterin Reality Leigh Winner basiert auf wahren Begebenheiten. Nicht nur das, Dramatikerin Tina Satter bildet in ihrem Debütfilm so konkret und akkurat die Ereignisse dieses gewöhnlichen Junitages ab, wie es nur möglich ist. Basierend auf den von dem vor Ort von den FBI-Agenten getätigten Mitschnitt und einem Transkript entsprechen die Dialoge (und Hundebellen) 1:1 dem damals gesprochenen Wort. So präsentiert sich hier ein hochgradig packender Film, der nahezu in Echtzeit erzählt mit chirurgischer Präzision menschliches Verhalten in einer Ausnahmesituation beobachtet.

Sydney Sweeney in Realitiy
Sydney Sweeney © Grandfilm

Im Mittelpunkt dessen steht die zentrale Performance von Shootingstar Sydney Sweeney („Euphoria“, „White Lotus“ und aktuell „Wo die Lüge hinfällt“), die diesen Film herausragend auf ihren zierlichen Schultern trägt. Als Zuschauer, der die Hintergründe um diesen historischen Fall nicht kennt, versucht man hier die allerkleinsten Manierismen zu lesen und zu verstehen, was diese Frau verbirgt. Der Aufwand, den die zentrale Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten auffährt, ist jedenfalls immens, somit kann es sich bei der mutmaßlichen Tat der Protagonistin kaum um ein Kavaliersdelikt handeln. Da der Grund des Besuchs und der Durchsuchung so lange vage bleibt, baut sich hier trotz (oder gerade wegen) des minimalen wie banalen Settings eine bemerkenswerte Spannung und unheimliche Atmosphäre auf.

Unterstützung erhält Sweeney von ihren kongenialen Leinwandpartnern in Form von Josh Hamilton und Marchánt Davis: Der von Hamilton verkörperte Agent Garrick strahlt mit seinem in die Hose gesteckten gemusterten Hemd und einer ruhig-freundlichen Ausstrahlung vertrauenserweckende Väterlichkeit aus, während sein Partner Agent Davis wesentlich determinierter vorgeht, aber auch nicht um einen lockeren Spruch verlegen ist. Ständig ist hier aber ein sehr genaues Abpassen der Parteien untereinander zu beobachten. Satter achtet mit nahezu forensischer Beobachtungsgabe darauf, dass hier jede kleine Regung und Geste beziehungsweise jeder Blick zählt und Gewicht hat. Was von dem Gesagten und Geigten beiläufig und was Teil einer sehr bewussten manipulativen Verhörtechnik ist, muss der Zuschauer stets selbst versuchen zu entschlüsseln. In kühlen, präzise komponierten Bildern erschafft Satter meisterhaft eine unterschwellig explosive Atmosphäre, die jeden Moment zum Ausbruch kommen könnte.

Marchánt Davis und Josh Hamilton
Marchánt Davis und Josh Hamilton © Grandfilm

Da wie bereits erwähnt der Original-Mitschnitt als Grundlage genommen wurde, muss Satter gelegentlich ein formal interessantes Stilmittel verwenden: Da in den 107-minütigen Aufzeichnungen auch geschwärzte Passagen vorkommen, verschwindet die sprechende Figur gelegentlich für einen kurzen Moment. Das ist kurz irritierend, aber in der Herangehensweise nur konsequent. Zudem streut Satter auch Schnipsel aus Original-Bildmaterial oder auch Social Media-Posts von der Titelfigur ein, wodurch sich ein faszinierend kaleidoskopartiger und komplexer Blick auf die Situation ergibt.

Was bietet „Reality“ letztlich aber über diese nüchterne wie subtil beklemmende Schilderung eines sich immer weiter konkretisierenden Verhörs? Ohne zu viel über die Hintergründe zu verraten, möchte Satter auch ein Plädoyer zur Wichtigkeit des Mutes des Einzelnen in der Offenbarung von gesellschaftsrelevanten Enthüllungen sein. Eine Botschaft presst Satter dem Zuschauer dennoch nicht über, viel mehr fungiert „Reality“ als Grundlage, eigene Recherchen zur Persönlichkeit Reality Winner und Thematik Whistleblowing anzustellen. Eine Charakterstudie, die diese Frau wirklich tiefgründig ergründet, darf man nicht erwarten. Diese Funktion nimmt dann eher der bereits erschienene Dokumentarfilm „Reality Winner“ ein, während sogar ein weiterer Spielfilm namens „Winner“ beim diesjährigen Sundance-Festival Premiere feierte. Das letzte Wort ist demnach noch nicht gesprochen, eine faszinierende und lohnenswerte Grundlage ist dieser Film allemal.

Filmkritik zu Reality
7.5/10

Kurzfassung

„Reality“ ist ein formal spannendes wie packend inszeniertes Stück Zeitgeschichte, das von einer herausragenden Sydney Sweeney getragen wird.

Fazit:

„Reality“ ist eine zutiefst packende, hyper-realistische und formal außergewöhnliche Studie über menschliches Verhalten in einer Ausnahmesituation. Getragen von einer herausragenden Sydney Sweeney ist hier außerdem eine meisterhafte Performance in Sachen präziser Körpersprache zu bewundern.


von Florian Hoffmann

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