The Nest – stark gespieltes Ehedrama

The Nest - Jude Law und Carrie Coon
The Nest - Jude Law und Carrie Coon © Ascot Elite

Die Kritik:

Mit The Nest bekommt ab Freitag, dem 12. November 2021, ein Kritiker-Liebling seinen Blu-ray-Release in Deutschland, der – nimmt man die IMDb-Userwertung (6,3) und den Rotten Tomatoes-Userscore (46%) als Indikatoren – vom Publikum mittelmäßig bis schwach aufgenommen wurde. Diese Rezension versucht nun auch nicht nur die Schwächen und Stärken des Films darzulegen, sondern zu analysieren, warum die Wahrnehmung des Streifens zwischen Kritiker und Zuschauer so stark auseinander klafft.

The Nest - Blu-ray
The Nest – Blu-ray © Ascot Elite

Wie die meisten Reviews zu The Nest, fällt auch diese grundsätzlich positiv aus. Dafür hat der Film objektiv betrachtet viel zu viele Stärken, als dass er nicht mindestens als gut bewertet werden könnte. Allen voran das Schauspiel-Duett mit Jude Law und Carrie Coon als scheinbar vorbildliches Ehepaar. Beide spielen hier auf allerhöchstem Niveau. Trotz vieler kammerspielartiger Sequenzen und längerer Streit- und Diskussionsszenen, zeichnet sich das Schauspiel der beiden vor allem durch eine besondere Natürlichkeit aus. Ob in den ruhigen Momenten oder in lauteren Streitszenen – beide geben hier ein authentisches Ehepaar mit zwei Kindern ab. So verfällt hier keiner auch in „Over-Acting“, obwohl viele Szenen Spielraum hierfür bieten. Beide zeigen jeweils eine ihrer besten Karriereleistungen und sind das Prunkstück des Films.

Mátyás Erdély – der Kameramann vom ungarischen Meisterwerk und Oscargewinner Son of Saul – ist hier der Mann hinter der Kamera. Während sich seine Arbeit in Son of Saul durch die hektische, äußerst dynamische und wackelige Kamera auszeichnete, um eben das Durcheinander und das Chaos aus der Ich-Perspektive in einem Konzentrationslager darzustellen, so ist seine Kameraführung in The Nest fast das komplette Gegenteil. Die Kamera ist meistens fast komplett statisch, in vielen Szenen wird mit wenigen Schnitten gearbeitet. So kreiert er mit seiner ruhigen Kameraarbeit einen nüchternen und beinahe analytischen Blick auf die Geschehnisse. Teilweise gibt es spezielle Nahaufnahmen aus ungewöhnlichen Winkeln. Oder er lässt die Kamera ungewöhnlich lange stehen. Die beobachtende Funktion erinnert schon fast an einen Michael Haneke-Film. Grundsätzlich ist dies jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn neben dem Drehbuch, auf das gleich näher eingegangen wird, sorgt die Herangehensweise für einen sehr trägen Erzählrhythmus und einer Langatmigkeit, weswegen man sich schnell von den Geschehnissen distanzieren könnte.

The Nest - Jude Law
The Nest – Jude Law © Ascot Elite

Das Drehbuch ist wohl das Element, dass die Geister scheidet. Sozioökonomische Elemente, Gesellschaftskritik, exemplarische Fallstudie einer gescheiterten Ehe usw. – all dies wird in diesem Film relativ elegant, wenn auch sehr zäh verpackt, sodass man sich schnell auch nach einer halben Stunde fragen könnte, worauf dieser Film eigentlich hinaus will und was The Nest dem Zuschauer im Kern erzählen will. Die Stärken von The Nest, sind zugleich auch seine Schwächen. So kann man ihn für seine Subtilität in der Erzählweise besonders loben, gleichzeitig suhlt er sich in dieser Subtilität so sehr, dass dies für viele Zuschauer fast schon befremdlich ist. Den Stempel „Arthouse“ lässt sich The Nest zu sehr mit der Brechstange aufdrücken. Nichtsdestotrotz muss man Sean Durkin – dem Regisseur des Films – zu Gute halten, dass es ihm definitiv gelungen ist, hier ein realistisches und natürliches Ehedrama zu inszenieren. Er skizziert hier im Kern den Zerfall und das Auseinanderleben eines Ehepaares, ausgelöst durch das ständige Verlangen nach Mehr.

Diese Sinnlosigkeit der Gier wird in einer äußerst tollen Szene relativ am Ende des Films bei einer Taxifahrt aufgezeigt. Was der Film auch schafft, ist die Darstellung des Scheiterns, ohne ein besonderes Ereignis als Auslöser hervorzuheben. Er seziert vor allem den Niedergang der Ehe nicht in seinem Moment, sondern in seiner Entwicklung. Denn man spürt als Zuschauer den negativen Verlauf der Ehe sukzessive von Szene zu Szene, ohne dass es einen entscheidenden Auslöser hierfür gibt. Dies untermauert letztlich schlichtweg den authentischen Blick auf die Dinge. The Nest bleibt jedoch unter dem Strich ein äußerst spezieller und vor allem sperriger Film, der gewiss nicht für Jedermann ist und deren Stärken nicht leicht entfacht werden.

The Nest - Jude Law und Carrie Coon
The Nest – Jude Law und Carrie Coon © Ascot Elite

Bild:

Der Film hat zwar in den hellen Szenen ein scharfes Bild, doch in den dunklen Szenen gibt es hier – insbesondere im Hintergrund – ein unscharfes, fast schon verschwommenes Bild, dass immer wieder störend wahrgenommen wird.

Ton:

Die Soundabmischung passt, denn Dialoge sind klar verständlich, die Musik (welche nebenbei gewöhnungsbedürftig ist), übertönt nichts und passt sich der Atmosphäre gut an.

Extras:

Hier gibt es ein kleines Featurette, der zum einen kurze Einblicke hinter den Kulissen sowie Ausschnitte aus den Interviews bietet. Daneben sind die Interviews (insgesamt fünf à 4-7 Minuten) mit dem Regisseur und dem Cast in voller Länge erhältlich. Neben einem kurzen B-Roll gibt es dann noch den Trailer auf deutsch und in der Originalversion. Grundsätzlich gibt es damit lediglich das Standardrepertoire – solide, aber nicht berauschend.

Filmwertung
  • 7/10
    Film - 7/10
  • 6/10
    Bild - 6/10
  • 9/10
    Ton - 9/10
  • 6/10
    Extras - 6/10
7/10

Kurzfassung

The Nest ist ein stark gespieltes Ehedrama, wenngleich er mit seiner teilweise erzwungen wirkenden Subtilität viele Zuschauer nicht zu unterhalten weiß.

Fazit:

Jude Law und Carrie Coon spielen famos auf. Sean Durkin kreiert hier ein authentisches und vielschichtiges Werk, welches eine Ehe auf dem Weg des Scheiterns natürlich und realistisch skizziert und insbesondere die aussichtslose Gier nach Verbesserung und mehr ehrlich und direkt darstellt. Der Film verliert sich jedoch etwas in seiner Überheblichkeit, ein anspruchsvoller Film zu sein und vermisst manchmal eine etwas präzisere und „messerscharfe Analyse“ des Geschehens. Nichtsdestotrotz bleibt der Film schauspielerisch auf allerhöchstem Niveau, überzeugt mit einer sicheren und stilsicheren Inszenierung und bleibt trotz aller oberflächlicher Schwächen erzählerisch auf einem guten Niveau.


von Morteza Wakilian

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