Joe Bell – Blu-ray Kritik zum Drama über Mobbing, Hass und vielem mehr

Joe Bell: Reid Miller und Mark Wahlberg
Joe Bell: Reid Miller und Mark Wahlberg © LEONINE

Die Kritik:

Auf den ersten Blick erscheint dieser ungepflegte Mann mit Zottelbart und seinem selbstgebauten Bollerwagen wie ein einfacher Landstreicher. Doch Joe Bell (Mark Wahlberg), der hier einsam über Amerikas Landstraßen wandert, hat eine Mission: Der Familienvater ist auf dem Weg von Oregon nach New York, um ein Zeichen gegen Mobbing und für Akzeptanz zu setzen. Hierfür macht er Halt an Schulen und anderen öffentlichen Orten, um den Menschen ins Gewissen zu reden. Das alles tut er für seinen Sohn Jadin (Reid Miller), der nach seinem Outing an seiner Kleinstadt-High School unerbittlich Opfer von Hassattacken wurde.

Joe Bell - Blu-ray
Joe Bell – Blu-ray © LEONINE

„Joe Bell“ ist ein schwieriger Film zum Rezensieren und ein noch härterer Film zum Besprechen. Die wahre Geschichte des High School-Schülers Jadin Bell und dessen Vater Joe hat ihr Herz ganz sicher spürbar am rechten Fleck und ist kompetent umgesetzt. Doch insbesondere heutzutage werden wohlmeinende Intentionen gerne gegen einen verwendet, weshalb dieser Film nach seiner Premiere in Toronto 2020 äußerst polarisiert angenommen und schließlich weltweit kaum verwertet wurde.

Warum ist das so? Ist es wirklich so entscheidend, dass „Joe Bell“ seinen erzählerischen Fokus primär auf die Geschichte eines Vaters legt, der aus vergangenen Fehlern lernen und seinem Sohn gerecht werden will? Dass die tragische Geschichte des jungen homosexuellen Mannes, der weltweit 2013 für Schlagzeilen sorgte, nur geisterhaft im Hintergrund wabert und primär in Rückblenden behandelt wird? Oder ist es tatsächlich die Tatsache, dass Hauptdarsteller Mark Wahlberg die Hauptrolle in „Brokeback Mountain“ vor 16 Jahren abgelehnt hat, weil das Drehbuch ihn „verstört“ hat? Das darf es eigentlich nicht sein.

„Joe Bell“ erzählt tatsächlich eine tieftraurige und aufrichtig empfundene Geschichte, die insbesondere nach dem ersten Akt einen echten emotionalen (wenn auch manipulativ gesetzten) Punch setzt und bis zum Ende nicht mehr loslässt. Die Rahmenhandlung ist die Geschichte von Joe, eine durch und durch maskulin geprägte Figur, die das Outing seines Sohnes zwar weitestgehend verständnisvoll akzeptiert, aber sich trotzdem vor den Konsequenzen des engstirnigen Umfelds des 13.000-Seelen-Örtchens La Grande fürchtet. So soll Jadin dann eben nicht unbedingt für alle sichtbar mit seiner besten Freundin Marci (Morgan Lily) ausgerechnet im Vorgarten Cheerleader-Moves trainieren. Und überhaupt geht Joe eher stiefmütterlich und geduckt mit den Sorgen seines Sohnes um, der sich zunehmend von allen alleine gelassen fühlt. Dabei hilft dann auch nicht, dass die Mobbing-Attacken gegen ihn immer drastischer werden und er zu zerbrechen droht.

Joe Bell: Mark Wahlberg und Connie Britton
Joe Bell: Mark Wahlberg und Connie Britton © LEONINE

Joe ist also alles andere als eine idealisierte Persönlichkeit. Sein Weg und die Gründung einer Non-Profit-Organisation gegen Mobbing mag ein gutmeinender Versuch sein, um für sich und seine eigenen Vorurteile persönlich Vergebung zu finden. Doch dass er mit seiner drastischen Entscheidung, sich zwei Jahre von seiner Frau Lola (Connie Britton) und seinem jüngeren Sohn Joseph (Maxwell Jenkins) zu trennen, auch wegen eines gewissen Eigensinns für familiäre Spannungen sorgt, lässt Regisseur Marcus Reinaldo Green durchaus kritisch im Raum stehen. Auch ist Joe ein bemerkenswert schlechter öffentlicher Redner, der sich eher in überraschenden kleinen Begegnungen wie spät im Film mit einem ebenfalls schuldbeladenen Kleinstadt-Sheriff (stark: Gary Sinise) öffnen kann. Dieser Joe ist ein gebrochener Mann, der versucht das Richtige zu tun, aber eigentlich weiß, dass es dafür schon längst zu spät ist. Eine einfache Absolution hält dieser Film für ihn löblicherweise nicht bereit, seine Katharsis besteht stattdessen in der Erkenntnis seines eigenen Egoismus.

Dass Green und seine beiden Oscar-prämierten „Brokeback Mountain“-Drehbuchautor*innen Diana Ossana und Larry McMurtry ihre Rahmenhandlung auf Joe fokussieren, heißt nicht, dass das Schicksal von Jadin geschmälert wird. Im Gegenteil, die Passagen mit dem 15-jährigen jungen Mann sind überaus eindringlich inszeniert und von Newcomer Reid Miller aufsehenerregend gespielt. In sensiblen und prägnanten Tönen etabliert „Monsters and Men“-Regisseur Green nicht nur diese Figur, sondern auch deren Gefühl, wie sich die Schlinge der Nichtakzeptanz immer enger um den Hals zieht. Da helfen auch irgendwann die beste Freundin und auch die geheim gehaltene Liebschaft mit Boyd (Blaine Maye) nicht, der sich noch nicht geoutet hat. Die sich scheinbar nie verändernde Natur des Menschen, Außenseiter konsequent an den Rand zu drängen, fängt Green effektiv ein und befreit letztlich auch niemanden von seiner Schuld.

Joe Bell: Mark Wahlberg
Joe Bell: Mark Wahlberg © LEONINE

So ist „Joe Bell“ dann letztlich ein differenziert beobachteter Film, der leicht in melodramatische TV-Film-Klischees versinken könnte, aber dann doch aufrichtig und eindringlich berührt. Green schafft eine gespenstische wie introspektive Stimmung, die gänzlich ohne laute Töne auskommt und stilsicher Vergangenheit und Gegenwart verwebt. Hier ist letztlich kein Gramm Fett zu viel dran, viel mehr gelingt es Green kleine und pointierte Momentaufnahmen einzufangen. Mark Wahlberg trägt diesen Film mit seiner gewohnt zugänglichen und starken Präsenz, die dann eben auch in stillen Zwischentönen zu berühren weiß. „Joe Bell“ mag zwar nicht der komplexeste Film sein, jedoch gelingt es ihm seine Message in starken wie unmissverständlichen Tönen effektiv nachhallen zu lassen, ohne einfache Antworten zu liefern.

Bild:

Der auf Analogfilm gedrehte „Joe Bell“ sieht auf Blu-ray sehr gut und hochwertig aus. Im ungewöhnlichen 2.76 : 1-Breitbild gibt es viele Gelegenheiten für aufsehenerregende Landschaftsaufnahmen, die auf Blu-ray sehr gut zur Geltung kommen. Das Bild verfügt durchweg über sehr gute Schärfe- und Detailwerte, auch Kontrastumfang und Schwarzwerte überzeugen. Der Bildeindruck ist sehr natürlich und filmisch, auf Stilisierungen und farbliche Verfremdungen wurde verzichtet. Echte Bildfehler bleiben aus.

Ton:

„Joe Bell“ ist zwar primär dialog- und damit frontbasiert, jedoch setzt die Tonspur immer wieder gekonnt atmosphärische Akzente. Regenfälle oder Zuschauer bei einem Footballspiel werden sehr differenziert auf die Surround-Lautsprecher platziert. Dialoge und Stimmen ertönen in einwandfreier Klarheit und Verständlichkeit.

Extras:

Leider liegen der Blu-ray lediglich Trailer als Bonusmaterial bei.

Blu-ray Wertung
  • 7.5/10
    Film - 7.5/10
  • 9/10
    Bild - 9/10
  • 8/10
    Ton - 8/10
  • 1/10
    Extras - 1/10
7/10

Kurzfassung

Wohlmeinendes und differenziert beobachtetes Drama über Mobbing, Hass und schließlich Akzeptanz und Selbstfindung.

Fazit:

„Joe Bell“ entpuppt sich als wohlmeinendes und differenziert beobachtetes Drama über Mobbing, Hass und schließlich Akzeptanz und Selbstfindung. Auf einfache Antworten verzichtet dieser ruhige und gespenstische Film, der Vergangenheit und Gegenwart eindringlich und mit starken Darstellerleistungen verwebt. Einfach anzusehen ist dieser tieftraurige Film durch seine kraftvoll-emotionalen Momente allerdings wahrlich nicht.


von Florian Hoffmann

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