Der Fall 9/11: Hochkarätig gespieltes Prestigekino -Blu-ray Kritik

Der Fall 9/11 - Michael Keaton
Der Fall 9/11 - Michael Keaton © capelight pictures

Die Kritik:

Das in Deutschland etwas ungelenk betitelte Tatsachendrama „Der Fall 9/11“ (OT: „Worth“) behandelt im Kern eine brisante wie faszinierende moralische Frage, die sich wohl schon viele gestellt haben: Was ist ein Menschenleben wert? Dieser unmöglichen Problematik müssen sich der vom US-Kongress beauftragte Anwalt Kenneth Feinberg (Michael Keaton) und seine Kollegen stellen, die über die Entschädigung der Hinterbliebenen der Terroranschläge vom 11. September beraten sollen. Wenig überraschend entpuppt sich dieses Anliegen als Herkulesaufgabe, denn erste Versuche individuelle Zahlungen an mathematische Formeln zu binden, die Faktoren wie Beruf und Einkommen der Opfer berücksichtigen, stoßen schnell auf erheblichen Gegenwind. Die Herausforderung, bei der Entwicklung einer Lösung auch eine für den Staat finanziell potentiell verheerende Klagewelle zu verhindern, erscheint darüber hinaus schnell unrealistisch. Wie entscheidend der menschliche Faktor in so einem Anliegen ist, erforscht Sara Colangelos hochkarätig besetzter und konzentriert inszenierter Film in feinen wie unaufdringlichen Tönen.

Der Fall 9/11 - Blu-ray
Der Fall 9/11 – Blu-ray © capelight pictures

Erzählt ist „Der Fall 9/11“ aus der Perspektive des Washingtoner Anwalts Feinberg, der wie wohl alle Menschen zunächst einmal durch den verhängnisvollen Schicksalstag im Jahr 2001 ausgebremst wird. Regisseurin Sara Colangelo („The Kindergarten Teacher“) und Autor Max Borenstein präsentieren hier eine Figur, die ihr Leben und ihren Job zunächst voll unter Kontrolle hat: Keaton schwebt so mit gewohnter Präsenz, großem Selbstverständnis und einer Prise Arroganz durch den Beginn des Films, um dann im Verlauf des Films eine angenehm subtile Läuterung zu erfahren. Den Morgen des 11. September inszeniert Colangelo dann in bemerkenswert zurückhaltender Eleganz, denn noch einmal diese Tragödie filmisch zu bebildern, hat sie dankbarerweise nicht nötig.

Der Fokus liegt in diesem nüchternen und stark dialogbasierten Film ganz klar auf den präzise und einsichtsreich dargestellten juristischen Vorgängen, bei denen viele komplexe wie sensible Abwägungen getätigt werden und alle Figuren einen Lernprozess erfahren müssen. Es ist Colangelo jedoch hierbei hoch anzurechnen, dass sie auf simple Dramaturgie und einfache Stereotypen verzichtet. So ist Feinberg zwar in manchen Formulierungen gegenüber einer ersten Versammlung von Hinterbliebenen zwar dezent unsensibel, aber keineswegs ein kühl kalkulierter Zahlenschieber, der nach und nach ganz klischeehaft zu seiner Menschlichkeit finden muss. Hier geht Colangelo intelligenter vor und es sind tatsächlich die feinen Töne, die einen ungewohnt subtilen Prozess darstellen, der schließlich zu der vermutlich besten Lösung für alle Beteiligten führt.

Der Fall 9/11 - Amy Ryan
Der Fall 9/11 – Amy Ryan © capelight pictures

Auf diesem langen, insgesamt zwei Jahre langen Weg zieht der Film dann seine größten Stärken aus den Aufeinandertreffen von Anwälten (darunter vor allem auch Feinbergs rechte Hand Camille Biros (Amy Ryan)) und Hinterbliebenen sowie auch Überlebenden. Es sind die Erzählungen einfacher Menschen, die schlimme Schicksalsschläge erfahren mussten und von Colangelo mit großer Ruhe inszeniert eine stille Kraft entfalten. Die Highlights des Films gehören dann einmal wieder dem großartigen Stanley Tucci, der den Witwer Charles Wolf spielt. Wolf hat seine Frau bei den Anschlägen verloren und entwickelt sich zum größten und öffentlich aktivsten Kritiker von Feinbergs Formel, wobei er dennoch Verständnis und Empathie für die fast unmögliche Aufgabe seines Gegenübers aufbringt.

Diese feine Ausgewogenheit, die auf simple Schwarzweiß-Zeichnung verzichtet, macht „Der Fall 9/11“ letztlich aus. Dennoch fehlt es dem beispielsweise an „Spotlight“ erinnernden und ähnlich betont unaufgeregten Film trotz allem ein wenig an dramaturgischer Dringlichkeit, Überraschungen und Höhepunkten. Wie auch in Tom McCarthys Oscar-Gewinner sind es die eindringlichen und mit großer Menschlichkeit beobachteten Gespräche, die Akzente setzen. Der Film hat unbestreitbar Herz, verzichtet aber dankbarerweise völlig auf falsche Sentimentalität. Letztlich fehlt Colangelos Film aber dann doch das gewisse Etwas und der große Aha-Effekt, um ihn richtig besonders zu gestalten. Wertig ist dieser sehens- wie lohnenswerte und überzeugend gespielte Film aber allemal.

Der Fall 9/11 - Stanley Tucci
Der Fall 9/11 – Stanley Tucci © capelight pictures

Bild:

Das Pepe Avila del Pino digital fotografierte Bild von „Der Fall 9/11“ erscheint ähnlich zurückhaltend wie der Film: Die Farben sind natürlich, aber etwas entsättigt, das Bild ist ansonsten klar und sauber. Die Schärfe- und Detailwerte sind sehr gut, Kontraste und Schwarzwerte erscheinen bewusst eher weich, wodurch insgesamt ein angenehmer und harmonischer Bildeindruck entsteht.

Ton:

Auch auf der Tonspur geht es betont dezent zu: Die Stimmen könnten insgesamt etwas lauter abgemischt sein, ansonsten bleibt das kaustische Schauspiel größtenteils frontaler Natur. Auch Nico Muhlys Filmmusik wird nur äußerst spärlich eingesetzt, dann aber auch mal ganz subtil auf den Surroundsprechern. Diese werden ansonsten nur mal etwas präsenter bei einer Dialogszene eingesetzt, während im Hintergrund eine Opernaufführung läuft. Druckvoll geht es hier nie zu, jedoch gibt es dafür auch keinerlei Anlass.

Extras:

Die Blu-ray kommt leider nur mit einer Trailershow daher.

Blu-ray Wertung
  • 7/10
    Film - 7/10
  • 8/10
    Bild - 8/10
  • 7.5/10
    Ton - 7.5/10
  • 1/10
    Extras - 1/10
7/10

Kurzfassung

Ein absolut sehenswerter und lohnender Film.

Fazit:

„Der Fall 9/11“ bietet hochkarätig gespieltes Prestigekino, das den juristischen Prozess um die Hinterbliebenen-Entschädigung im Nachgang des 11. September intelligent, konzentriert und in angenehm unaufdringlichen wie subtilen Tönen schildert. Auch wenn dem Film die letzte Kraft fehlt, um ihn außergewöhnlich zu machen, ist hier dennoch ein absolut sehenswerter und lohnender Film zu sehen.


von Florian Hoffmann

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