Ema – Filmkritik: Charakterstudie einer ambivalenten Persönlichkeit

Mariana Di Girolamo in Ema
Mariana Di Girolamo in Ema © Koch Films

Die Kritik:

Ema - Filmplakat
Ema – Filmplakat © Koch Films

Ema ist eine starke, selbstbewusste Persönlichkeit. Die Titelgebende (Anti-) Heldin ist begeisterte Reggaeton-Tänzerin und lebt mit ihrem Partner Gastόn, dem Choreographen besagter Tanzgruppe ein individuelles und freies Künstlerleben an der chilenischen Küste. Da sie selber keine Kinder bekommen können, haben sie den 8-jährigen Polo adoptiert, welcher zugleich der Auslöser für eine Reihe von unvorhersehbaren Ereignissen ist. Als Polo für einen tragischen Unfall verantwortlich wird, in dem Emas Schwester schwer verletzt wird, beschließt sie kurzerhand, ihren Sohn wieder zur Adoption freizugeben, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen diese impulsive Handlung für sie und ihr Umfeld haben wird.

Eine brennende Ampel. Das erste Bild, welche der Zuschauer zu Gesicht bekommt, ohne zu wissen, dass genau dieses Bild noch im späteren Verlauf seine symbolträchtige Kraft entfaltet. Die Tanzgruppe, in der Ema ihrer Leidenschaft nachgeht, bildet nach dem Vorfall ihr Ventil und lässt zumindest vorerst nicht vermuten, dass es schon bald nicht mehr ausreichen wird, um kommende Probleme zu überdecken. Der Reggaeton-Tanz selber ist dabei nicht bloß ein in Südamerika beliebter Tanzstil, welcher passend in die chilenische Kultur passt, sondern steht cleverer Weise stellvertretend für den Charakter von Ema selber: kraftvoll, sinnlich, emotional und selbstbewusst.

Wo wir Anfangs bereits beim Feuer waren, spielt dieses auch weiterhin eine tragende Rolle in der Figurenzeichnung und sorgt auch bei der Interaktion derer für massig Zündstoff. Besonders die Beziehung zwischen Ema und Gastόn ist wahnsinnig interessant, vielschichtig, aber auch tragisch und unberechenbar. Mariana Di Girolamo verkörpert ihre Figur mit einer Anmut, die sowohl faszinierend als auch mysteriös daherkommt und aufgrund ihrer verschiedenen Facetten verdammt frustrierend sein kann. Gael Garcia Bernal kommt hingegen mit einer etwas undankbareren, da tragischeren Rolle daher, weiß jedoch durch sein meist emotional geprägtes Schauspiel ebenfalls zu überzeugen.

Mariana Di Girolamo in Ema
Mariana Di Girolamo in Ema © Koch Films

Häufig spielt der Film mit kleinen, subtilen Momenten, welches die Kraft in Emas Persönlichkeit nach und nach zum Vorschein bringt. Ein Schlüsselmoment, den man als solchen fast gar nicht wahrnehmen würde, ist dabei clever in einer unbedeutend scheinenden Situation versteckt, welche den Weg für den kommende, intriganten Abschnitt ebnet. Dieser lässt nicht bloß unsere Hauptfigur auf Hochtouren drehen, sondern offenbart uns tiefe persönliche Abgründe, die nur darauf aus sind, ein Ziel zu erreichen, koste es, was es wolle. Und auch, wenn der Film zeitweise sperrig und emotional unterkühlt erscheint, so steht er letztendlich am Ende, wenn auch nicht sichtbar, unter der Oberfläche genauso lichterloh in Flammen, wie die Ampel aus der Eröffnungsszene. Eine so ambivalente Persönlichkeit wie Ema erfordert von Zuschauer, dass er sich auf das Geschehen und besonders auf seine Hauptakteurin einlässt und eher als Beobachter statt als Urteiler agiert. Andernfalls durfte es schwerfallen, die Hauptfigur in irgendeiner Weise greifen zu können.

Szene aus Ema
Szene aus Ema © Koch Films

Ästhetisch erinnert „Ema“ immer wieder in Zügen an Regisseure wie Gaspar Noe und Nicolas Winding Refn, denen es mit ihrer visuellen und auditiven Kraft immer wieder gelingt, den Zuschauer mit ihrer Komposition aus Bild und Ton in ihren Bann zu ziehen. Ob in aufwendig choreographierten Tanzszenen, im grellen Neonlicht, in betörenden Erotikmomenten oder bloß in Momenten von symbolischer Bedeutung, weiß der Film audiovisuell auf ganzer Linie zu überzeugen und trägt dazu bei, der impulsiven Hauptakteurin allein durch seine Bilder Charakter zu verleihen.

Filmwertung
7/10

Kurzfassung

Kraftvolles Portrait einer schwierig zu greifenden Person mit zahlreichen Persönlichkeiten, welche in diesem Fall auf zerstörerische Werte, Manipulation und einer toxischen Beziehung fußt. Lässt sich wunderbar dem Arthauskino zuordnen.

Fazit:

Pablo Larrains „Ema“ ist die Charakterstudie einer ambivalenten Persönlichkeit in einer schmerzhaften wie tragischen Familiengeschichte aus Liebe, Leidenschaft, Hass und Schuldzuweisungen sowie einem kraftvollen und konsequenten Ende. Das Ganze verpackt in einer betörenden Mixtur aus Bild und Ton. Trotz seiner zeitweise auftretenden Sperrigkeit faszinierend und sehenswert.


von Marcel Windisch

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