Wunderschön – Filmkritik: Gesellschaftskritik von und mit Karoline Herfurth

Wunderschön: Sonja (Karoline Herfurth) hat alles im Griff TM © Warner Bros. Entertainment Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Die Kritik:

Wir befinden uns im Jahr 2022. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wird von beiden Geschlechtern gelebt und die Reduzierung des Menschen auf sein Aussehen ist längst Geschichte. Oder etwa doch nicht?

Wunderschön
Wunderschön _ Poster © Warner Bros.

Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Karoline Herfurth zeigt in ihrer Komödie „Wunderschön“ mit Humor, aber auch dem direkten Fingerzeig, dass die Gesellschaft noch immer weit davon entfernt ist, Vorurteile und Klischees gänzlich über Bord zu werfen.
Herfurth selbst schlüpft in die Rolle von Sonja (35), verheiratet mit dem ambitionierten Geschäftsmann Milan (Friedrich Mücke) und Mutter der zwei gemeinsamen Kindern. Nach der Geburt der Tochter fühlt sich Sonja in ihrem Körper, der die Spuren der Schwangerschaft noch immer erkennen lässt, unwohl. In der Mutter-Kind-Gruppe scheinen alle um sie herum wunderschön und zudem erfolgreich zu sein, während Sonja selbst mit dem Muttersein an sich schon genug zu tun hat. Sie möchte sich endlich wieder begehrenswert fühlen, doch ob der Weg zum Schönheitschirurgen wirklich der richtige ist? Doch noch viel mehr als ein „gutes“ Aussehen wünscht sich Sonja endlich wieder beruflich Fuß fassen zu können. Ihre beste Freundin Vicky (Nora Tschirner), die sich als Kunstlehrerin täglich mit pubertierenden Teenagern umgibt und versucht, deren oberflächliche Ansichten auf das Leben zu revidieren, tritt ihr immer wieder gehörig in den Hintern. Vicky hat bereits gelernt, sich aus alten Rollenmustern zu befreien und versucht, diese Einstellung sowohl an die Kids, als auch an Sonja weiterzugeben. Dass dabei ihr eigenes Liebesleben auf der Strecke bleibt, merkt sie allerdings erst, als sie ihren neuen Kollegen Franz (Maximilian Brückner), der sich für eine ernsthafte Beziehung ausspricht, fast schon vergrault hat.

An Männergeschichten ist das 24jährige, semi-erfolgreiche Model Julie (Emilia Schüle) nicht interessiert. Sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, ja kein Gramm zuzunehmen, um dem Geschmack der Fotoagenturen zu genügen, um eines Tages auf den ersehnten Laufsteg zu kommen. Mit Hunger, Sport und Tabletten versucht sie sich nach oben zu kämpfen. Lediglich die Freundschaft mit Nachbarmädchen Toni (7) grenzt an Normalität. Dass ausgerechnet Julies Agentin Gabo (Melika Foroutan) sie zur Perfektion antreibt scheint unvorstellbar. Ist doch Gabos eigene Teenagertochter Leyla (Dilara Aylin Ziem) alles andere als schlank und todunglücklich mit ihrem Aussehen. Jegliche Versuche von Gabo, Leyla mit „healthy food“ zu unterstützen, schlagen fehl, da diese doch den Models wie Julie nacheifert.

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Wunderschön: Leyla (Dilara Aylin Ziem) möchte aussehen, wie die Models in der Agentur ihrer Mutter © Warner Bros.

Schwangerschaft, Diäten und Berufsdruck sind für Frauke (Martina Gedeck), kurz vor der 60, schon lange kein Thema mehr. Sie kann den Magerwahn ihrer Tochter Julie nicht nachvollziehen und versteht auch nicht, warum ihre Schwiegertochter Sonja unbedingt wieder arbeiten will, wo doch ihr Sohn Milan die Familie ernährt. Doch auch sie ist nicht rundum zufrieden. So sehr hat sie sich auf den Ruhestand von ihrem Mann Wolfi (Joachim Król) gefreut. Gemeinsame Aktivitäten schwebten ihr vor, doch stattdessen schreckt er schon vor einer Berührung von ihr zurück. Der gebuchte Tanzkurs endet im Streit, was Frauke dazu veranlasst, ihr Leben nun selbst in die Hand zu nehmen. Die Schwärmerei für ihren Tanzlehrer tut ihr gut. Ähnliches Glück erfährt auch Sonja kurzzeitig, als sie mit einem Job wieder durchstarten will. Kurzerhand dreht sie den Spieß um und überträgt die Kinder ihrem Mann, der gerade erst eine Beförderung angenommen hat. Während er nun (erstmals) in Stress gerät, weil er vor der Arbeit den Sohnemann bei der Kita und die Tochter bei den Großeltern abgeben muss, verlässt Sonja morgens stressfrei das Haus. Doch nur allzu schnell merkt sie, dass sie sich ohne Hilfe weder auf die Arbeit noch die Familie konzentrieren kann, um beiden gerecht zu werden. In der Mittagspause den Familienalltag planen und auf der Toilette schnell die Milch abpumpen kann keine Dauerlösung sein. Das schlechte Gewissen plagt sie. Selbst anhand eines Kinderbuches wird ihr vor Augen geführt, dass die Männer die Jobs auf der Chefebene führen, während die Mütter daheim die Kinder hüten. Doch Sonja weigert sich, dieses Rollenklischee weiterhin zu leben und sucht nach einer Lösung des „Problems“.

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Wunderschön: Julie (Emilia Schüle) möchte endlich Erfolg haben © Warner Bros.

Julie scheint ihren Träumen endlich nahe zu kommen, doch der Preis dafür ist zu hoch und sie bricht zusammen. Leyla hingegen gewinnt an Selbstbewusstsein und lernt durch das Baseballspielen sogar einen Jungen kennen, dem ihr Gewicht völlig egal ist.

Nach „SMS für Dich“ und „Sweethearts“ stellt Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin Karoline Herfurth mit „Wunderschön“ das Frausein an sich auf den Prüfstand. Gemeinsam mit Dilara Aylin Ziem, Emilia Schüle („High Society“), Nora Tschirner („Embrace – Du bist schön“) und Martina Gedeck („Ich bin dann mal weg“) skizziert sie Frauenrollen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichen Lebensphasen, die dem Zuschauer Identifikationspotenzial bieten. Jede Frau erkennt sich oder Eigenschaften von sich, in den 5 porträtierten Frauenfiguren wieder. Manches regt zum Nachdenken an, anderes hegt so großen Erkennungswert, dass man einfach nur schmunzeln muss. Insgesamt liefern aber alle Figuren das alltägliche Leben mit alle seinen Höhen und Tiefen.

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Wunderschön: Frauke (Martina Gedeck) und Wolfi (Joachim Król) haben unterschiedliche Pläne für den Ruhestand © Warner Bros.

Mit Spaß an der Freude packt Herfurth die „Probleme“ der Gesellschaft an der Wurzel an und spricht durch den Film das an, was sich viele nicht zu sagen trauen. Warum ist noch immer die Frau nach der Geburt der Kinder für deren Betreuung und Erziehung zuständig, während der Mann weiterhin seinem Arbeitsalltag scheinbar ohne Einschränkungen fortsetzt? Warum setzen sich Plus Size Models für Body Positivity ein, wenn Fotoagenturen noch immer meist das Mager-Model auf die Titelseite bringen und Fettpölsterchen und Dehnungsstreifen zum No go erklären? Warum hetzen sich Teenager gegenseitig auf und wann ist Mobbing zum Volkssport geworden, der durch zahlreiche TV-Formate unterstützt wird? Und wer sagt, dass das Liebesleben bereits mit 60 Jahren endet und anschließend jeder seinen eigenen Weg geht?

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Wunderschön: Franz (Maximilian Brückner) und Vicky (Nora Tschirner) haben Spaß zusammen © Warner Bros.

Verdammt viele Fragen wirft Herfurth mit ihrer Episodengeschichte auf, die gleich 5 Frauenbilder inkl. der dazugehörigen Männer präsentiert? Herfurth spielt mit Klischees, nutzt auch mal den Sarkasmus und wird auch mal ironisch. Doch nie sind die Momente des Films abgedroschen oder gar persifliert, sondern bodenständig und mit viel Geschick herausgepickt.
Allen voran präsentiert sich Herfurth selbst als die Mutti, die viele nach der Geburt des Kindes einfach nicht sein wollen. Dass sie selbst für die Rolle ein paar Kilo zugenommen hat, um das Bangen mit dem Körpergewicht noch authentischer darzustellen, macht sie in vielen Augen des Betrachters gerade zu „wunderschön“. Denn wer könnte einer Frau besser vor Augen führen, für was es sich wirklich zu kämpfen lohnt, als eine Frau, die genau die Ängste der Zuschauerinnen kennt und den Mut hat, diese ganz offen und ehrlich anzusprechen und vor allem auch in Frage zu stellen.

Filmwertung
7/10

Kurzfassung

Der Film spricht das an, was sich viele nicht zu sagen trauen.

Fazit:

Trotz der Fokussierung auf die Frauen als Individuen ist „Wunderschön“ nicht nur ein Frauenfilm, sondern eine mehr als nur unterhaltsame Komödie über die Beziehung von Mann und Frau in der modernen Gesellschaft, die hier und da noch ein paar Ecken besitzt, die noch angesprochen werden dürfen.


von Sandy Kolbuch

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