West Side Story: Das klassische Musical lebt! – im Schatten der Vergangenheit

West Side Story - Tanzszene
West Side Story - Tanzszene © Disney

Die Kritik:

Es ist ein mutiger Schachzug von Steven Spielberg. Um an die Magie vergangener Filme heranzukommen, wagt sich der Altmeister an die legendäre Musical-Adaption West Side Story (1961) von Jerome Robbins und Robert Wise heran. Uraufgeführt im Jahre 1957, vier Jahre später verfilmt, avancierte das shakespearsche Musicaldrama über Nacht zum Kassenschlager und erlangte ganze zehn Oscars (u.a. für besten Film, Regie und Darsteller*innen). Unter all dem Erfolg des Originals, entstehen dadurch gigantische Fußstapfen. In diese Schuhe schlüpft nun Spielberg hinein, der in den letzten Jahren zwischen historischen Dramen (The Post) und CGI-Bombasten (Ready Player One) feststeckte und sich nicht wirklich fortbewegen konnte. Gelingt es Spielberg und Drehbuchautor Tony Kushner nicht nur dem Vermächtnis gerecht zu werden, sondern gleichzeitig eine eigene Identität zu finden?

West Side Story - Filmplakat
West Side Story – Filmplakat © Disney

New York in den 1950ern: Die Straßen werden von den Gangs regiert. Auf der einen Seite die “Jets”: junge, weiße “amerikanische” Knaben, die stets auf den nächsten Coup warten, um ihren größten Rivalen, den puerto-ricanischen “Sharks”, die nächste Demütigung zu verpassen. Seien es Prügeleien auf der offenen Straße oder bei Tanzabenden in der Sporthalle, die Anspannungen drohen zu überhitzen, als “Jets”-Gründer Tony (Ansel Elgort) sich in Maria (Rachel Zegler), die kleine Schwester von “Sharks”-Anführer Bernardo (David Alvarez), verliebt und dadurch einen Krieg zwischen den beiden Jugendbanden anzettelt. Kann die Liebe zweier Welten diesen Konflikt überstehen oder geht man hier sprichwörtlich über Leichen?

Eine der essenziellen Fragen, die man über Remakes immer wieder stellt: Warum sollte ausgerechnet dieses oder jenes Werk neu verfilmt werden? Was kann man besser machen? Eines der Hauptargumente wird immer sein, dass man eine klassische Geschichte im neuen Gewand, einem neuen Publikum präsentieren möchte. Die Gesellschaft entwickelt sich stets weiter, so auch die Erwartungen an neuen Filmen. Würde man das Original aus dem Jahre 1961 erstmalig einem modernen Publikum zeigen, müsste man häufig den Film im Kontext seiner Zeit betrachten, denn das Original leidet unter stereotypischer Darstellung von Lateinamerikaner*innen, einer fehlenden Repräsentation und unter Fällen von “Brownfacing” (Eine weiße Person färbt ihr Gesicht braun, um “authentisch” für die zu darstellende Figur auszusehen). Diese alten Tropen umgeht Spielberg, indem er sein Casting diversifiziert und seine Figuren mit Menschen mit puerto-ricanischen Wurzeln besetzt. Es gibt dem Film dadurch ein höheres Maß an Authentizität, auch gerade, weil Spielberg sich entscheidet die spanischen Dialoge unübersetzt ohne Untertitel auf die Leinwand zu bringen. Dadurch kriegt der Zuschauende einen Blick in eine fremde Kultur, ohne dass sie für sein Weltverständnis angepasst werden muss.

West Side Story - Ansel Elgort
West Side Story – Ansel Elgort © Disney

Wie sieht es mit dem Rest aus? Spielberg bleibt dem Original über weite Strecken treu. Er respektiert die einprägsamen Klänge von Leonard Bernstein und die wunderbaren und immer noch aktuell-wirkenden Texte Stephen Sondheims. Er präsentiert diese nur in einer anderen Reihenfolge und erweckt die Klassiker zu neuem Leben wie America, Maria oder Gee Officer Krupke!. Das Herzstück dieser Neuverfilmung sind die Tanzeinlagen, die virtuos inszeniert und perfekt eingefangen wurden von Spielbergs-Stammkameramann Janusz Kamiński. Es erzeugt eine großartige Stimmung im Kinosaal, der Spaßfaktor steht dabei im Vordergrund und prägen sich für eine neue Generation an Filmfans auf ewig ein. Spielbergs Handschrift ist seit Jahren wieder erkennbar geworden, die Nähe zu seinen Figuren während sie spielen und performen, ist für den Zuschauenden greifbar geworden.

West Side Story - Ariana DeBose, Ana Isabelle und Ilda Mason
West Side Story – Ariana DeBose, Ana Isabelle und Ilda Mason © Disney

Auch das wird erkennbar, weil Spielberg seinen Figuren verschiedene Facetten verleihen möchte. “Jets”-Leader Tony erhält eine vielschichtigere Charakterisierung als im Original. Tony wird als Ex-Krimineller gezeichnet, der sein altes Leben hinter sich lassen möchte, für Valentina (Rita Moreno), eine Witwe eines “Gringos” (so nennen die “Jets” die Puerto-Ricaner), arbeitet und mit ihr eine komplexe Beziehung führt, da beide über die gesellschaftlichen Probleme philosophieren und sich in einem Raum aufhalten, der beide Welten in Frieden koexistieren lässt. Tonys größter Konflikt bleibt am Ende aber dennoch seine Vergangenheit als “Jet” und seine Verbindung zu dieser Rivalität. So gelungen die Figurenzeichnung von Tony sein mag, kommt Hauptdarsteller Ansel Elgort nicht an die Erwartungen an dieser Figur heran und verbleibt über den größten Teil des Films blass, trotz seiner musikalischen und rhythmischen Erfahrungen in Edgar Wrights Musik-Heist-Film Baby Driver. Schauspielerisch am meisten können hingegen die legendäre Rita Moreno, die im Remake mit der neuen Figur Valentina eine willkommene Abwechslung reinbringt. Ebenfalls glänzt Debütantin Rachel Zegler als Maria, die mit allen möglichen Facetten glänzen kann. Mit ihr sollte in Zukunft zu rechnen sein, auch wenn ihre Maria keinen neuen, komplexeren Anstrich erhalten hat.

Filmwertung
7/10

Zusammenfassung

Handwerklich brillant inszeniert, alle Songs und Tanzeinlagen sind grandios performt und die Story bringt zeitlich relevante Diskurse mit.

Fazit:

Schließlich bleibt zu sagen, dass Spielbergs moderner Versuch von West Side Story als Erfolg verbucht werden kann. Es ist handwerklich brillant inszeniert, alle Songs und Tanzeinlagen grandios performt und die Story bringt zeitlich relevante Diskurse mit. Abzüge gibt es jedoch für Ansel Elgort als Hauptfigur, der visuellen Darstellung von New York und, dass trotz der modernen Anpassungen, das Original weiterhin unerreicht bleibt.


von Lukas Weinandy

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