Till – Kampf um die Wahrheit: Kraftvoll, mitreißend und wichtig – Filmkritik

Danielle Deadwyler (left) as Mamie Till Mobley and Jalyn Hall (right) as Emmett Till in TILL
Danielle Deadwyler (left) as Mamie Till Mobley and Jalyn Hall (right) as Emmett Till in TILL Credit: Courtesy of Orion Pictures © ORION RELEASING LLC

Die Kritik:

Im Jahr 1955 wurde der 14-jährige Chicagoer Emmett Till in Mississippi Opfer eines unglaublich brutalen Lynchmords. Der Grund dafür: Er war farbig und hat einer weißen Frau mutmaßlich hinterhergepfiffen. Doch Emmetts Mutter Mamie ging mit dieser kreischenden Ungerechtigkeit nicht nur ganz offensiv an die Presse und damit Öffentlichkeit, sie zog auch im rassistischen Sumpf Mississippi vor Gericht und klagte die beiden weißen Täter an, um einen fast aussichtslosen Kampf gegen ein ganzes System zu führen. Diese unglaubliche und wichtige Geschichte erzählt Regisseurin Chinonye Chukwu („Clemency“) in dem kraftvollen, unnachgiebigen und wütenden „Till“, der besonders dank seiner herausragenden Hauptdarstellerin Danielle Deadwyler unbedingt sehenswert ist.

TILL - Filmplakat
TILL – Filmplakat © ORION RELEASING LLC.

Besagter Mordfall verfügt über immense historische Relevanz, die bis heute spürbar ist und erstaunlicherweise erst im Jahr 2022 zum von Joe Biden verabschiedeten Emmett Till Antilynching Act geführt hat, der Lynchmorde von Gesetzeswegen verbietet. Große Bürgerrechtsbewegungen, die von Größen wie Rosa Parks, Martin Luther King, Cassius Clay oder Fannie Lou Hamer initiiert wurden, waren in Teilen ebenfalls direkt vom Mord an dem jungen Emmett inspiriert. Dass Regisseurin Chinonye Chukwu mit dem exzellent recherchierten Drehbuch von Keith Beauchamp und Michael Reilly sowohl dieses aufrüttelnde Ereignis als auch den Kampf dieser bemerkenswerten Frau mit derartiger Klarheit inszeniert hat, verdient Lob.

Ganz behutsam und unschuldig, aber auch mit einem Gefühl düsterer Vorahnung beginnt sie diesen Film, indem sie das starke und herzliche Band zwischen Mutter Mamie (Deadwyler) und ihrem Sohn Emmett (Jalyn Hall) wirkungsvoll etabliert. Dass dieser beabsichtigt vom toleranteren Chicago in Mamies Südstaaten-Heimat Mississippi zu ihrer Verwandtschaft zu reisen, gefällt Mamie überhaupt nicht. Sie weiß, wie leicht es dort unten zu Hassverbrechen kommt und scheint bereits zu spüren, dass diese Reise Emmetts letzte sein wird. Mit ihrer mütterlichen Sorge steht sie in starkem Kontrast zu ihrem Sohn, der hier überaus optimistisch, charmant und lebensfroh daherkommt. Im Mississippi Delta angekommen muss er mit seiner unbekümmerten und etwas naiven Art auch immer wieder von seinen Cousins gemaßregelt werden, um nicht in Ungunst der weißen Bevölkerung zu fallen. Doch bei einem scheinbar harmlosen Aufeinandertreffen mit Supermarkt-Inhaberin Carolyn Bryant (Haley Bennett) kommt es zu verhängnisvollen Sekunden, in denen Emmett unwissentlich sein Todesurteil unterschrieben hat…

Danielle Deadwyler als Mamie Till Mobley in TILL
Danielle Deadwyler als Mamie Till Mobley in TILL, Credit: Lynsey Weatherspoon / Orion Pictures © ORION RELEASING LLC.

Nicht jedes Detail dieser Geschichte soll hier Erwähnung finden. Emmetts grausamer Tod löst jedenfalls den Katalysator für diese tragische Geschichte aus, in der Mamie unzweifelhaft im Mittelpunkt steht. Da sich Mamie im Angesicht unglaublichen Horrors dazu entschied, ihre eigenen unbeschreiblichen Schockbilder ihres schlimm zugerichteten Sohnes zu verarbeiten (die damals auch um die Welt gingen), tut es der Film ihr gleich. Und doch ist die Ansicht dieses Grauens nötig, um eine Botschaft zu hinterlassen. So unterstreicht Mamie diese Intention auch ganz direkt, wenn die bei der Trauerfeier anwesende Großtante von Emmett (Keisha Tillis) trotz ihres schuldbewussten Unwohlseins aufgefordert wird, den Leichnam von Emmett anzusehen – „We have to“. Es ist bemerkenswert, wie präzise, bewusst und vor allem behutsam und intelligent Chukwu diese Geschichte inszeniert. So geht der Film synchron mit jeder Emotion seiner Figuren mit und wirkt dann eben auch unglaublich klar in seinen Intentionen, wenn es Mamie auch ist.

Danielle Deadwyler ist das mächtige Zentrum von „Till“: Chukwu baut Mamie Till das filmische Monument, das sie verdient hat, während Deadwyler den Hauptpart mit kraftvoller Eleganz und Würde ausfüllt. Sicher, der Film ist primär an Mamies Mutter- und schließlich ihrer Vorreiterrolle im Kampf gegen Rassenhass interessiert und hat keine Zeit darüber hinaus auf ihre Persönlichkeit außerhalb dieser besonderen Zeit einzugehen. So fokussiert sich Chukwus Kamera auch immer ganz stark auf Deadwylers in allen Facetten leidendes und dann eben auch immer wieder um den Erhalt von Fassung und Stärke bemühtes Gesicht. In ihren Augen und in jeder der zahlreichen minimalen Zuckungen und Regungen lässt sich so immens viel ablesen. Manche Momente wirken da auch mal vielleicht sowohl schauspielerisch als auch inszenatorisch durchaus ein wenig zu forciert. Mit einer denkwürdigen Szene, die Chukwu und Kameramann Bobby Bukowski in einer langen und ununterbrochenen Einstellung halten, erreicht Deadwyler jedoch eine förmlich transzendentale Qualität, die dann alle Konvention sprengt: Hier ist ihre Aussage im Zeugenstand gemeint, bei der Mamie von der Verteidigung mit Fragen gelöchert wird, ihre Pein aber in die wohl kraftvollsten Momente ihres Lebens kanalisiert und wohl-artikuliert ihr nicht zu sehendes Gegenüber abschmettern lässt. Ganz klar, spätestens hier ist ihr großer Oscar-Moment zu sehen. Überhaupt ist es interessant, wie stark Chukwu ganz intim bei ihren Figuren bleibt und sowohl die Täter als auch die Verteidigung entgegen aller Konventionen quasi nie zeigt.

(L to R) Jalyn Hall as Emmett Till, John Douglas Thompson as Moses Wright and Danielle Deadwyler as Mamie Till Mobley in TILL
(L to R) Jalyn Hall as Emmett Till, John Douglas Thompson as Moses Wright and Danielle Deadwyler as Mamie Till Mobley in TILL Credit: Lynsey Weatherspoon / Orion Pictures
© ORION RELEASING LLC

„Til“ versucht filmisch dennoch nie das Rad neu zu erfinden und große Kunst zu machen, Chukwu ordnet sich (abgesehen von einem vielleicht etwas künstlichen Vertigo-Moment) inszenatorisch unter und lässt stattdessen diese Geschichte mit seiner Protagonistin vor allem mit klarem Verstand und ganz bedacht gesetzten Bildern wirken. So ist hier ein immens packender und kraftvoller Film zu bewundern, der zu jeder Sekunde mit seiner tief empfundenen Menschlichkeit mitzureißen und zu bewegen weiß. Man kann hier einfach nicht wegsehen, so grauenhaft und tragisch das Gesehene auch ist. In einer Welt, in der sich die menschliche Natur nie fundamental geändert hat, ist es auch wichtig, dass Filme wie dieser einen immer wieder zwingen, ganz genau hinzusehen und zu verstehen.

Filmwertung
8/10

Kurzfassung

Kraftvoll, mitreißend und wichtig – die Geschichte von Emmett Till und seiner mutigen Mutter, herausragend gespielt von Oscar-Kandidatin Danielle Deadwyler.

Fazit:

„Till“ ist packendes, kraftvolles und immens relevantes Historienkino, das ein schreckliches Hassverbrechen aufarbeitet, aber vor allem die Kraft einer Mutter im Angesicht unglaublicher Ungerechtigkeit zelebriert. Herausragend ist Danielle Deadwyler, die diesen Leidensweg mit kraft- und würdevollen Zügen unmittelbar spürbar macht.


von Torge Christiansen

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