Tides – erschreckende und glaubwürdige Zukunftsvision

Blake (Nora Arnezeder) auf gefährlicher Erkundungsmission
Blake (Nora Arnezeder) auf gefährlicher Erkundungsmission © Constantin Film

Die Kritik:

Tides
Tides – Poster © 2021 Constantin Film Verleih GmbH

Heute will ich meine Kritikpunkte einfach mal gleich am Anfang aus dem Weg schaffen. Denn diese gibt es ohne Zweifel, sind aber in meinen Augen nur kleine Unstimmigkeiten in einem sonst großartigen Film. Die Geschichte kann sich einer gewissen Vorhersehbarkeit leider nicht entziehen (und dennoch überrascht der Film mit einer nie verschwindenden Grundspannung), das ansonsten tolle Worldbuilding lässt mir einige Fragen etwas zu unbeantwortet (z.B. in Bezug auf Nahrung) und im dritten Akt trifft der Film bzw. treffen die Figuren einige wenige fragwürdige Entscheidungen. Und dennoch hört „Tides“ auf einer ungemein kraftvollen Note auf. Denn obwohl der Film sicherlich nicht perfekt ist, hat mich die europäische Produktion voll und ganz überzeugen können. Und nachdem die Schwächen aus dem Weg geräumt sind, kann ich euch gleich davon erzählen, warum ich Tides so stark fand.

Das fängt gleich bei der Bildsprache an. In dieser post-apokalyptischen Version der Erde nimmt uns der Nebel die Sicht in die Ferne, und erzeugt so eine beklemmende, beinahe klaustrophobische Atmosphäre. Man raubt uns den Horizont, und dadurch auch den Blick in eine bessere Zukunft. Dabei entsteht in der trostlosen Einöde der nahen Zukunft eine bedrückende, beinahe poetische Schönheit, die durch einige wenige Sonnenstrahlen, die beinahe durch den unendlichen Nebel dringen, dann doch so etwas wie Hoffnung aufkommt. Untermalt wird das von einem ungemein stimmungsvollen Soundtrack, der durch Gesang immer wieder clever die Wichtigkeit der Mission unserer Protagonistin hervorhebt.

Apropos Protagonistin. Diese landet als Teil eines Expeditionsteams auf der Erde, um sie auf eine mögliche Kolonisierung zu überprüfen. Denn nach dem vermeintlichen Weltuntergang konnten sich einige Menschen auf den fremden Planeten Kepler 209 retten, die nun aber aus Gründen, die ich hier nicht verrate, erneut auf die Erde zurückkehren wollen. Diese Astronautin mit Namen Blake wird dabei von Nora Arnezeder mit einer unglaublichen Kraft zum Leben erweckt. Sie spielt oft subtil, und bringt die Verletzlichkeit ihrer Figur, genauso wie ihre Willenskraft ungemein authentisch auf die Leinwand. So passt sie sich perfekt in einen genauso ruhigen und kraftvollen Film ein.

Blake (Nora Arnezeder), bewacht von Narvik (Sarah-Sofie Boussnina), kümmert sich um einen Verletzten.
Blake (Nora Arnezeder), bewacht von Narvik (Sarah-Sofie Boussnina), kümmert sich um einen Verletzten. © Constantin Film

Dabei erzählt der Film meist aus ihrer Perspektive. Sie ist der fish out of water, wodurch uns Regisseur Tim Fehlbaum an sie bindet. Generell gerät Blake zu einer mitreißenden und spannenden Hauptfigur, auch weil der Film stets ihre Menschlichkeit betont. Wir erleben aus ihrem Blickwinkel diese harte, dreckige Zukunftsvision, die nach dem sie wenig überraschend auf Menschen trifft, nur umso bedrohlicher wird. Die Kamera wird dabei oft nah an ihr positioniert, fängt dabei trotzdem vielen Wackeln dieser ihre Emotionen hervorragend ein, erhält dadurch aber auch eine gewisse Unmittelbarkeit und Intensität. Dabei wird sie auf ihrer Reise sowohl vor moralische, als auch körperliche Herausforderungen gestellt. Genau so haucht ein Film seiner Hauptfigur Leben ein.

Doch auch die anderen Figuren, die durch diese albtraumhafte, aber durch echte Sets greifbare, Szenerie wandern, geraten mitreißend, weil wir trotz aller moralischer Ambivalenz (hier findet sich immerhin eine zerrissene Gesellschaft, die verzweifelt versucht sich am Leben zu erhalten) stets den Blickwinkel der jeweiligen Figur verstehen.

Blake (Nora Arnezeder) und Tucker (Sope Dirisu) werden im Brunnen gefangen gehalten.
Blake (Nora Arnezeder) und Tucker (Sope Dirisu) werden im Brunnen gefangen gehalten. © Constantin Film

Dabei können auch die restlichen Darsteller vollkommen überzeugen. Auf Schritt und Tritt tragen sie alle die Geschichten ihrer Charaktere mit sich herum. Wir spüren, was sie durchgemacht haben und wir verstehen deshalb, warum sie so handeln. Dabei ist nicht einmal besonders viel Speck an vielen Charakteren dran (sprich- und wortwörtlich), geraten aber vielleicht genau deshalb so mitreißend.

Filmwertung
7.5/10

Kurzfassung

Eine erschreckende und glaubwürdige Zukunftsvision.

Fazit:

„Tides“ mag zwar definitiv seine Schwächen haben, doch wird hier eine erschreckende und glaubwürdige Zukunftsvision beschwört, die selbst in den schwächeren Momenten vor Kraft und Menschlichkeit nur so strotzt. Solche Filme gibt es, gerade als deutsche Ko-Produktion, einfach zu selten.


von Sebastian Stegbauer

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