Ruf der Wildnis – Filmkritik zum Abenteuer mit Harrison Ford

Der Ruf der Wildnis: John Thornton (Harrison Ford) und sein treuer Begleiter
Der Ruf der Wildnis: John Thornton (Harrison Ford) und sein treuer Begleiter © 2019 Twentieth Century Fox

Die Kritik:

Ruf der Wildnis - Filmpalakt
Ruf der Wildnis – Filmpalakt © Disney

Jack Londons 1903 erschienener Roman „Ruf der Wildnis“ gehört zu den bedeutendsten und einflussreichsten Abenteuern der Literaturgeschichte. Zahlreiche Male wurde das Buch bereits verfilmt, während die 1935 erschienene Version mit Clark Gable wohl noch die bekannteste ist. Mit immensem Aufwand erscheint nun eine weitere Adaption der Geschichte eines domestizierten Bernhardiner-Mischlings, der aus seinem behüteten Haus im sonnigen Kalifornien entführt und nach Alaska als Nutztier verkauft wird. War Londons Roman eine thematisch dichte und durchaus harte Überlebensgeschichte, entschärft „Drachenzähmen leicht gemacht“-Regisseur Chris Sanders in seinem Realfilmdebüt die Vorlage deutlich. Heraus gekommen ist eine familienfreundliche und verflachte Variante des Literaturklassikers, der gutes und aufwändiges Abenteuerkino bietet, das vor allem durch seinen sympathischen Helden zu gefallen weiß.

Santa Clara, Kalifornien um die Jahrhundertwende: Der Bernhardiner-Scotch Collie-Mischling Buck lebt ein gutes, verhätscheltes und ruhiges Leben im pompösen Anwesen von Richter Miller (Bradley Whitford). Doch als er es doch einmal mit seiner ungestümen Spielfreude zu weit getrieben hat, verbannt Miller seinen treuen Hund auf die Veranda. Es dauert nicht lange, bis Buck von einem Hundefänger angelockt und schließlich eingesperrt und verfrachtet wird. War Buck gerade noch im Hundehimmel, findet er sich plötzlich in unwirtlicher Umgebung wieder und wird von einem Hundehändler mit einem Knüppel bedroht. Besser ergeht es dem zahmen Tier, als er an seinem Ziel in Alaska angekommen ist und zu den Schlittenhunden der Postzusteller Perrault (Omar Sy) und Françoise (Cara Gee) zugeteilt wird. Wirklich motiviert ist Buck zunächst nicht, doch die Güte seiner neuen Herrchen sorgt schließlich dafür, dass er seine Aufgabe annimmt. Es dauert sogar nicht lange, bis Buck den Status des Alphatiers übernimmt, jedoch ist sein Glück nur von kurzer Dauer…

Der Ruf der Wildnis: Buck
Ruf der Wildnis: Cara Gee © Disney

Der Film folgt auch dem Goldsucher John Thornton (Harrison Ford), der, nachdem er alles verloren hat, eine verbitterte Existenz lebt. Thornton ist auch der Erzähler des Films, der sich immer wieder einschaltet und mehrere kurze Begegnungen mit Buck hat. So entpuppt sich der traurige alte Mann auch als sehr gutmütig und baut schnell eine Verbindung mit seinem hündischen Gegenüber auf. Später gerät Buck mit seinen Schlittenhundekollegen an den aggressiven und gierigen Schnösel Hal (eindimensional: Dan Stevens), der mit seiner Schwester Mercedes (völlig unterfordert: Karen Gillan) und deren Ehemann Charles (Colin Woodell) ebenfalls auf der Suche nach Gold ist. John rettetet den Hund aus den Klauen des manischen Hal, woraufhin sich der Film seinem zentralen Teil widmet: Der Freundschaft zwischen John und Buck, der sich nach und nach von seiner domestizierten Herkunft löst und sich seiner wilden Natur hingibt.

„Ruf der Wildnis“ ist fabelhaft ausgestattet, bietet schöne Bilder von Spielberg-Stammkameramann und Oscar-Gewinner Janusz Kaminski und atmet von Beginn an die Atmosphäre klassisch-altmodischen Abenteuerkinos, wie man es aus Hollywood nicht mehr oft zu Gesicht bekommt. So wird die potentielle Achillesferse des Films tatsächlich zügig egalisiert: Buck ist eine komplett digitale Kreatur, die über Performance Capture-Verfahren zum Leben erweckt wird. Londons Vorlage zeichnete sich auch schon durch seine anthropomorphischen Züge aus und wurde aus Sicht eines Hundes erzählt, so nutzt Sanders alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um die Tiere auch hier zu vermenschlichen. Buck erweist sich als so charmante und ausdrucksstarke Kreatur, dass man gerade als Tier- und Hundefan kaum wiederstehen kann und schnell zumindest fast vergisst, dass man es hier nicht mit einem echten Tier zu tun hat. Perfekt ist die Illusion zwar nie, dennoch wurde Buck so liebevoll und detailreich animiert, dass man ein Auge zudrückt und sich der Erzählung einfach hingibt.

Ruf der Wildnis: Omar Sy und Buck
Ruf der Wildnis: Omar Sy und Buck © Disney

Sanders prescht recht rasant durch die Erzählung und lässt Familie Miller und Bucks Heimat zu Beginn nur kurz wirken. Hier richtet der tapsige Mischling im Haus seiner Herrchen in einer amüsanten Sequenz einiges Chaos an, dann wird er auch schon vor die Tür gesetzt. Wirklich kennenlernen tut man die Millers also nicht, ein Gespür für die Umgebung und ihr Verhältnis kommt aber ausreichend zum Vorschein. Man begibt sich mit Buck dann auf diese Reise ins Unbekannte, vom sonnigen Kalifornien ins eisig-matschige Alaska. Das ist alles durchaus packend erzählt und Buck ist so süß, dass man ihm gerne folgt. Schön ist dann auch der Teil, der Bucks Reifegeschichte zum Alphatier erzählt. Tatsächlich folgt der Film bis hier der Vorlage sogar recht genau, jedoch destillieren Sanders und Drehbuchautor Michael Green („Alien Covenant“, „Blade Runner 2049“) primär die familienfreundlichen Elemente von Londons ikonischer Vorlage heraus.

Die freundschaftliche Beziehung zwischen Buck und dem liebenswerten und ehrgeizigen Perrault, der es trotz aller Mühen noch nie geschafft hat, seine Post pünktlich auszuliefern, hat echtes Herz und ist schön anzusehen. Teilweise treibt Sanders es mit der Vermenschlichung vielleicht ein Stück zu weit, meist ist das tierische Verhalten jedoch glaubwürdig und immer charmant dargestellt. Der Film hat zudem einen guten Erzählfluss, der erst in seinem letzten Drittel spürbar zum Stillstand kommt, als sich Buck zunehmend in der Natur einfindet und eine Bindung zu John aufbaut. Dessen Alkoholsucht wird immer wieder von Buck unterbunden, jedoch ist das einer der wenigen Aspekte des Films, der betont ernstere Themen anschlägt, ohne aber sich völlig darauf einzulassen. Harrison Ford überzeugt als vom Leben gezeichneter Mann, der von seinem Verlust geplagt wird und durch Buck zumindest etwas Lebenswillen zurückgewinnt. Hier ist der Film jedoch angenehm ehrlich, denn obwohl er die Härten des Buchs umschifft, lässt er sich nicht auf einfache Lösungen ein.

Man spürt den Aufwand von „Ruf der Wildnis“, jedoch legt der Film nie seinen artifiziellen Hochglanzlook ab. Das liegt sicher auch daran, dass der Film zwar zahlreiche echte Sets nutzt, aber häufig vor Bluescreen im Studio statt an Originalschauplätzen gedreht wurde. Den Unterschied sieht man nahezu immer, jedoch stört die latente Künstlichkeit angesichts der betont klassischen Inszenierung kaum. Dennoch fallen gerade in besagtem letztem Akt die dramaturgischen Schwächen des Films auf. So wirkt der Konflikt zwischen John und Hal völlig unausgegoren, denn dieser wird in wenigen Szenen oberflächlich aufgebaut. Hal ist im letzten Akt überhaupt nicht zu sehen, bis er plötzlich auftaucht und der Konflikt nur so kurz aufgebaut wird, dass er auch ebenso schnell wieder vorüber ist.

So mutet der Film am Ende unterentwickelt an, da er seine durchaus vorhandene thematische Vielfalt nur andeutet, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen. Eine ernsthafte mythische Parabel über die zivilisatorische Entwurzelung von Mensch und Tier und dem Finden seiner atavistischen Natur ist der Film sicher nur in Ansätzen. Wenig überraschend blendet der Film die brutalen Aspekte der Vorlage auch völlig aus. Dennoch: Der Wille, einen klassischen Abenteuerfilm auf eine angenehm ruhige Weise zu inszenieren, ist löblich und funktioniert über weite Strecken gut. Wären Sanders und Green jedoch noch etwas weitergegangen und hätten sie dem Film mehr Tiefe zugesprochen, hätte sogar ein sehr guter Film statt nur ein guter Familienfilm dabei rauskommen können.

Filmwertung
6.5/10

Kurzfassung

Funktioniert gut als klassisch-altmodischer Abenteuerfilm, der vor allem durch seinen liebenswerten hündischen Protagonisten sehenswert ist.

Fazit:

Chris Sanders Adaption von Jack Londons Abenteuerklassiker ist nur in seinem Grundgerüst vorlagengetreu, verzichtet aber auf echte thematische Tiefe und eine harte Kante, um familienfreundlich zu sein. Das funktioniert jedoch gut als klassisch-altmodischer Abenteuerfilm, der vor allem durch seinen liebenswerten hündischen Protagonisten sehenswert ist.


von Florian Hoffmann

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