Nightmare Alley – Filmkritik: beeindruckender Neo-Noir

Nightmare Alley: Bradley Cooper und Roony Mara
Nightmare Alley: Bradley Cooper und Roony Mara © Walt Disney

Die Kritik:

Guillermo del Toro ist einer der letzten Märchenerzähler Hollywoods. Immer wieder vermischt der mexikanische Autorenfilmer phantastische Elemente mit einem historischen Hintergrund, wie beispielsweise in seinem großen Meisterwerk „Pans Labyrinth“, in welchem sich ein Mädchen, während des spanischen Bürgerkrieges, in eine Traumwelt flüchtet. Auch sein letzter Film „Shape of Water: Das Flüstern des Wassers“, der mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet wurde, arbeitete mit dieser Thematik und griff eine komplizierte Liebesgeschichte zwischen einem amphibischen Wesen und einer stummen Frau auf. Nun wagt sich del Toro an eine Neuverfilmung des US-amerikanischen Noir-Klassikers „Der Scharlatan“ (auf Englisch „Nightmare Alley“), der keinerlei Phantastik innehat. Sorge muss nun jedoch nicht aufkommen, denn „Nightmare Alley“ beweist, dass Guillermo del Toro auch ohne Phantastik einen grandiosen Film erschaffen kann.

Nightmare Alley: Filmplakat
Nightmare Alley: Filmplakat © Walt Disney

Stanton ‚Stan’ Carlisle (Bradley Cooper) sucht einen Unterschlupf, um sich vor seiner düsteren Vergangenheit zu verstecken und zufällig kommt er auf einem düsteren Jahrmarkt an. Der widerliche Clem Hoatley (Willem Dafoe), welcher Menschen auf die übelste Weise ausnutzt, nimmt Stan auf und gibt ihm Arbeit. Auch bei dem Mentalistenpaar Zeena und Pete (Toni Collette und David Strathairn) kommt Steve gut an, denn sein Talent für Manipulation und Täuschung wird ebenfalls von ihnen gebraucht. Schon bald reicht der Jahrmarkt-Kosmos für Stan aber nicht mehr aus, weshalb er mit seiner Ehefrau Molly (Rooney Mara) in die Großstadt zieht, um seine manipulativen Fähigkeiten auf ein reiches Publikum anzuwenden. Als die Psychiaterin Lilith Ritter (Cate Blanchett) Stan neue gefährliche Möglichkeiten eröffnet, bekommt er immer noch nicht genug…

Wenn man del Toro nun, abseits seiner Märchen, ein weiteres Charakteristikum zuschreiben möchte, dann wäre es wohl seine Liebe zu alten Filmen. „Shape of Water“ ist natürlich stark inspiriert von „Dem Schrecken vom Amazonas“ und „Pacific Rim“ gleicht einer Hommage an die frühen Kaiju-Klassiker aus Japan. Del Toro macht nichts, was er nicht liebt und diese Liebe zum originalen „Nightmare Alley“ spürt man über die komplette Laufzeit. Er versteht genau, worauf Edmund Goulding 1947 schon eingehen wollte, nur durfte er durch die damaligen Konventionen, es nicht so ausspielen, wie es del Toro nun endlich kann. An dieser Stelle kann man nur froh sein, dass der Mexikaner größtenteils frei von äußeren Einflüssen seine Filme drehen darf. Der Jahrmarkt selber ist hervorragend ausgestattet und lebt von seiner Detailverliebtheit. Ein Highlight ist dabei, wie Bradley Coopers Figur durch eine Geisterbahn läuft, welche von liebevollen Kleinigkeiten lebt.

Nightmare Alley
Nightmare Alley: Lillith Ritter (Cate Blancett) und Stanton Charlisle (Bradley Cooper) © Walt Disney

Insgesamt kann man „Nightmare Alley“ gut in zwei Teile ordnen, die sich in der Qualität leicht unterscheiden, denn wie schon im Original ist der Jahrmarkt-Abschnitt das Beste im gesamten Film. Del Toro gelingt es nämlich ganz pointiert, die negativen und positiven Aspekte eines Jahrmarktes der 1940er-Jahre zu zeigen. Durch Willem Dafoes Clem bekommt der Zuschauer einen Einblick in die abscheulichste Form der Ausnutzung und Behandlung. Menschen mit Behinderungen oder auch arme Bettler wurden als „Freaks“ getauft, mit denen der Besitzer machen konnte, was er wollte. So zuckt der Zuschauer immer wieder zusammen, wenn Dafoe seine Wut an dem wehrlosen Menschen abbaut. Gleichzeitig können diese Jahrmärkte ebenso eine Familie sein, wie schon Tod Brownings Klassiker „Freaks“ aus dem Jahr 1932 auf humanistische Art zeigt. Dies wird insbesondere an Bruno geschildert, der von Ron Perlman verkörpert wird. Ihm wäre es wahrscheinlich sogar am liebsten, wenn niemand diese Familie jemals verlassen würde. Liebe und Leid ist bei den Filmen von Guillermo del Toro immer nah beinander und „Nightmare Alley“ ist dabei keine Ausnahme.

Der zweite Teil des Filmes konzentriert sich daraufhin, wie sich Stan und Molly, die Tochter von Bruno und nun Ehefrau von Stan, in der Großstadt immer weiter entfremden, da Stan nur das Geld vor Augen hat. Langsam entwickelt sich der charismatische und hilfsbereite Stan in einen selbstüberschätzenden Egoisten, der nur an das schnelle Geld denkt. Ihm ist auf seinem Weg völlig egal, wen er verletzt und mit wem er zusammenarbeitet, weshalb er keine Reue empfindet, als er sich immer häufiger mit der Psychiaterin Lilith trifft. Zusammen manipulieren und belügen die beiden die ganz großen Fische. Diese Charakterentwicklung ist sehr spannend anzusehen, täuscht dennoch aber nicht über die lange Laufzeit von 150 Minuten hinweg, die gerne etwas kürzer hätte ausfallen können. Zumindest nimmt das Finale noch einmal richtig an Fahrt auf und schließt in Perfektion den Geist des Originals ab. Gerade im Finale merkt man wieder, dass del Toro einfach in allen Belangen „Der Scharlatan“ überlegen ist und dies trifft ebenfalls auf das Schauspiel zu.

Nightmare Alley: Szenenbild
Nightmare Alley: Szenenbild © Walt Disney

Diese spannende Charakterentwicklung von Stan ist der zentrale Punkt in „Nightmare Alley“, weshalb es wichtig ist, dass genau in diesen Momenten das Schauspiel des Hauptdarstellers passt und Bradley Cooper („A Star is Born“) schafft es sogar, diese Erwartungen noch einmal zu übertreffen. Es ist die anspruchsvollste und herausforderndste Rolle seiner Karriere und wie er sie meistert, ist wirklich beeindruckend. So langsam emanzipiert sich Cooper von seiner Rolle des klassischen Schönlings und diese neue Seite steht ihm richtig gut. Auch der restliche Cast ist mit Hochkarätern geschmückt, die alle groß aufspielen. In der ersten Hälfte überzeugt gerade Willem Dafoe („Der Leuchtturm“), auf welchen in dieser Kritik schon zu genüge eingegangen wurde und Toni Collette („Hereditary“) liefert ebenfalls ab, wie man es von ihr gewohnt ist. In der zweiten Hälfte rücken Rooney Mara („Verblendung“) und Cate Blanchett („Carol“) in den Vordergrund. Vor allem Blanchett reißt die Leinwand immer wieder an sich, Maras Rolle ist deutlich ruhiger. Außerdem spielen Richard Jenkins („,Shape of Water“), Ron Perlman („Hellboy“) und David Strathairn („Nomadland“) mit.

Doch nicht nur das Schauspiel ist fabelhaft, die Inszenierung steht diesem in nichts nach. Besonders der Jahrmarkt ist mit schönen langen Kamerafahren eingefangen, welche mal surreal oder richtig gruselig wirken. Horror spielt in „Nightmare Alley“ zumindest eine untergeordnete Rolle und dieser wird vor allem durch die Kamera ausgedrückt. Mit den klassischen Ausblenden, wie sie Filme aus den 40ern und 50ern besitzen, macht „Nightmare Alley“ zudem Lust auf eine schwarz-weiß Fassung, die del Toro schon fertig hat.

Filmwertung
8/10

Kurzfassung

Ein beeindruckender Neo-Noir, der das Original sinnvoll ergänzt.

Fazit:

„Nightmare Alley“ unterstreicht eine weitere Facette in Guillermo del Toros künstlerischen Schaffens und ist somit ein wirklich gelungenes Remake von „Der Scharlatan“. Ausstattung, Schauspiel und Kamera sind, wie man es von del Toro kennt, auf einem sehr hohen Niveau, nur die lange Laufzeit stört etwas in der zweiten Hälfte. Trotzdem ist „Nightmare Alley“ ein Muss für echte Noir- und Thriller-Fans.


von Lukas Weinandy

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