Nebenan – Filmkritik: überzeugendes Regiedebüt von Daniel Brühl

Nebenan - Peter Kurth und Daniel Brühl
Nebenan - Peter Kurth und Daniel Brühl © Warner Bros.

Die Kritik:

Daniel ist erfolgreicher Schauspieler in Berlin. Mit zahlreichen renommierten Rollen hat er es auch nach Hollywood geschafft, nun steht ein prestigereiches Vorsprechen in London für eine Comicverfilmung an. Ja, Daniel hat es geschafft, neben seinem beruflichen Erfolg lebt er auch mitten in Berlin gemeinsam mit seiner Ärzte-Frau und Kindern mitten in der Hauptstadt in einer schicken Designer-Maisonette mit persönlichem Aufzug. Doch mit einem Zwischenstopp vor dem Flug nach England in einer Kiez-Kneipe gerät sein perfektes Leben unerwartet ins Wanken. Nicht nur konfrontiert Kneipengast Bruno ihn mit ungewohnt pointierter Kritik an seinem Lebenswerk, er scheint den Schauspielstar auch weit besser zu kennen, als diesem lieb ist. Es entwickelt sich ein Dialogduell zwischen den beiden Männern, das zunehmend intensiver und wendungsreich wird…

Nebenan - Hauptplakat
Nebenan – Hauptplakat © Warner Bros.

Nun ist auch Daniel Brühl unter die Regisseure gegangen. Nach Brühls eigener Idee entwickelte Autor Daniel Kehlmann („Ich und Kaminski“, „Die Vermessung der Welt“) ein ganz offensichtlich überaus persönliches und nahezu autobiografisches Drehbuch, das zunächst wie ein reines Ego-Projekt des aktuell erfolgreichsten deutschen Schauspiel-Exports daherkommen mag. Und durchaus, „Nebenan“ erscheint wie eine Bestandsaufnahme und Seelenschau von Brühl, der mit nun 43 Jahren und bald 30 Jahren Schauspielerfahrung einen Schnitt macht. Zugleich ist „Nebenan“ auch eine Meditation über das Schauspielerdasein an sich, es ist ein Film über Gentrifizierung, das moderne Großstadtleben, die Schere zwischen Arm und Reich und zudem schließlich über private Lebenslügen.

Schon die Eröffnungsszene bringt vieles in diesem bemerkenswert selbstbewussten und souveränen Regiedebüt, wenn auch wenig subtil, auf den Punkt: Daniel wird hier in seiner morgendlichen Routine in seinem kühl-minimalistischen Designer-Appartement gezeigt, in dem alles seine perfekte Ordnung hat: Die präzise Körperpflege im Bad, das sorgsame Auswählen des genau richtigen Hemdes im tadellos sortierten begehbaren Kleiderschrank, selbst die eines Hipster-Kochbuchs würdige millimetergenaue Anordnung der Müsli-Zutaten auf dem Teller schreien nach einem Mann, der alles bis auf das letzte Staubkorn im Griff hat. Bis von oben Daniels Kinder die Treppe herunter gehüpft kommen, könnte man allerdings auch meinen, man wäre in der deutschen Version von „American Psycho“ gelandet. Dann findet Brühl auch visuell pointierte Ideen, wie eben das langsame Herabfahren des an der Außenfassade installierten gläsernen Aufzugs, der in diesem Berliner Hinterhof wie ein Fremdkörper erscheint.

Nebenan - Peter Kurth und Daniel Brühl
Nebenan – Peter Kurth und Daniel Brühl © Warner Bros.

Lange fragt man sich in diesem Film dennoch, ob Brühl gewollt so dermaßen perfekt und affektiert in Gestik, Körperhaltung, Sprache und Mimik daherkommen will, oder ob er auch ein wenig zu bemüht erscheint. Doch letztlich ist es so: Brühl spielt eine Rolle eines Mannes, der dauerhaft eine Rolle spielt. Sympathisch erscheint dieses überhöhten Daniel-Alter Ego jedenfalls nicht, doch das muss er ja auch nicht. „Nebenan“ erweist sich zunehmend als durchweg bewusst und kontrolliert inszenierter Film, der genau weiß, was er tut und will. Schnell ist Daniel in der miefig-ranzigen Berliner Eckkneipe angelangt, man riecht schon förmlich die dort versackten Gestalten wie auch das angetrocknete Bier auf der Theke. Der Kontrast zu Daniels weltmännischer Erscheinung könnte also nicht größer sein. Sicher, irgendwann hat Daniel hier auch bestimmt mal reingepasst, jetzt ist er mit seinen Designer-Klamotten, dem perfekt manikürten Bart und Haar sowie vor allem seinem subtil über allem stehenden Auftreten ein schmerzhafter Fremdkörper. Dass er zudem lautstark Gespräche mit je nach Gesprächspartner wechselndem perfekt angepassten wahlweise britischem oder amerikanischem Dialekt führt, lässt ihn unweigerlich wie eine Kunstfigur erscheinen, der kaum noch echtes Leben innewohnt. Die Perfektion hat in dieser affektierten und eitel-selbstsicher umher stolzierenden Gestalt Überhand genommen.

Doch nach und nach beginnt in dieser urigen Kneipe die Fassade zu bröckeln: Es fängt mit starrend-penetrierenden Blicken an, setzt sich mit der scheinbar gar nicht ernst gemeinten Bitte nach einem Autogramm fort und mündet schließlich in ungewohnt klaren kritischen Worten, die Bruno (Peter Kurth) an Daniel richtet. Schnell wird klar, Bruno kennt Daniels Filmografie peinlich genau, jedoch ist er ganz sicher nicht da, um dem Star wie gewohnt Honig ums Maul zu schmieren. Im Gegenteil, es beginnt eine Dekonstruktion des Schauspieler-Egos und dessen affektierten Weltbildes, das eben nicht einfach verletzend ist. Insgeheim weiß Daniel wohl – auch wenn er es nicht wirklich zeigt – dass an Brunos Kritik etwas dran ist. Zuviel sollte man an dieser Stelle nicht verraten, denn eine der Freuden von „Nebenan“ ist eben zu sehen, wie sich dieser Film mit seinen Enthüllungen kontinuierlich entfaltet und sich zunehmend ein unerwartetes Duell dieser beiden so unterschiedlichen Männer entwickelt, das viel weiter geht als eine reine Schauspiel-Kritik. Gesagt werden darf, dass Peter Kurth mit seiner Präsenz und seinem hervorragenden Spiel einer der großen Gewinner des Films ist.

Nebenan - Daniel Brühl und Aenne Schwarz
Nebenan – Daniel Brühl und Aenne Schwarz © Warner Bros.

Brühl und Kehlmann gelingt es, diesen Film so zu gestalten, dass er immer interessanter wird und vor allem unvorhersehbar bleibt. Der inszenatorische wie schauspielerische Prozess entwickelt sich hier mit akkurater Präzision schrittweise und angenehm subtil, auf allzu großen und möglicherweise aufgesetzt wirkenden Punch verzichtet der Regie-Neuling. Sicher, all dem liegt schon eine unbestreitbare Konstruiertheit zugrunde, die Brühl aber gekonnt überspielt. „Nebenan“ funktioniert, da er packt und in seinen menschlichen Beobachtungen schließlich trotz seiner kammerspielartigen Inszenierung wahrhaftig und lebendig daherkommt. Perfekt mag der Film letztlich zwar nicht sein, aber am Ende geht man hier durchaus nachdenklich raus, denn der Film geht über die Dekonstruktion des Schauspiel-Egos in die des Gesamt-Egos über und lädt so auch wirkungsvoll zur Selbstreflexion ein.

Filmkritik
7.5/10

Kurzfassung

Ein überzeugendes und souverän inszeniertes Kammerspiel.

Fazit:

Daniel Brühl gelingt mit dem Kammerspiel „Nebenan“ ein letztlich überzeugendes und souverän wie selbstbewusst inszeniertes Regiedebüt, das kontinuierlich interessanter und wahrhaftiger wird. Was als pointierte und einsichtsreiche Dekonstruktion des Schauspieler-Egos beginnt, entwickelt sich im weiteren Verlauf zur Selbstreflexion anregenden Dekonstruktion des Gesamt-Egos.


von Florian Hoffmann

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