Nawalny – Filmkritik zur Dokumentation

Alexei Nawalny während eines Interviews
Alexei Nawalny während eines Interviews © DCM Cabel News Network Inc

Die Kritik:

Es ist nun einige Zeit vergangen, seitdem die Welt das letzte Mal so deutlich in Richtung Russland schaute wie aktuell. Auch wenn dieser Dokumentarfilm nicht von dem aktuellen Ukraine-Krieg handelt, so ist es gerade in diesen Wochen von großer Relevanz transparent zu machen, mit welchen Mitteln und Mechanismen die russische Regierung arbeitet, um ihre Macht zu halten oder gar zu expandieren. Doch auch als Dokumentation an für sich betrachtet, bietet dieser Film einiges und wird nicht ohne Grund von den Kritikern über den ganzen Globus verteilt in höchsten Tönen gelobt.

Nawalny - Filmplakat
Nawalny – Filmplakat © DCM

Regisseur Daniel Roher wurde bereits für den Dokumentarfilm „Once were Brothers“ mehrfach ausgezeichnet und so ist es wenig verwunderlich, dass das Team rund um Alexej Nawalny jenen auswählten, um diese Geschichte in die Wohnzimmer auf der ganzen Welt zu bringen. Nawalny selbst ist ursprünglich Anwalt, machte es sich im Laufe der Jahre aber immer mehr zur Aufgabe, den korrupten Machenschaften von Wladimir Putin und seinen Anhängern die Stirn zu bieten. Mit viel Arbeit und Mut entwickelte sich Nawalny zu dem größten und bedeutsamsten russischen Oppositionellen und deckte mithilfe seiner Frau und einigen weiteren Partnern bereits brisante Korruptionsfälle und Menschenrechtsverletzungen auf. Der Zuschauer verfolgt Nawalny und seine Gefolgschaft hier ab seiner Vergiftung im Sommer 2020 bis hin zu seiner Festnahme im Januar 2021.

Ich könnte an dieser Stelle damit anfangen wie gut die Geschichte ist und wie packend sie inszeniert ist, denn selten ist es in einem Dokumentarfilm so einfach gewesen sich vorzustellen, alles sei erfunden und inszeniert. Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass Nawalny’s Geschichte, so Hollywoodreif sie auch sein mag, genauso passiert ist und man sich als Zuschauer oft dabei ertappt, wie man fassungslos den Kopf schüttelt oder gar seine Hände vor das Gesicht hält. Hierbei spielt es eine große Rolle, dass das Team rund um Roher in der Tat keinen wichtigen Moment verpassten und quasi ständig hautnah am Geschehen dran waren. Besagte Nähe führt schnell dazu, dass ein starker Bezug zu den Protagonisten bzw. allen voran zu Nawalny selbst hergestellt wird und zumindest bei mir stellte sich schnell das Gefühl ein, als wäre ich Teil des Teams. Wenn dann plötzlich eine Vergiftung stattfindet, man erlebt wie aus ominösen Gründen die Verlegung in ein anderes Krankenhaus verzögert wird oder man die Hauptfigur auf dem Weg zur Passkontrolle am Flughafen begleitet, um dann die radikale exekutive Macht Putins, in Form einer mehr als fragwürdigen Verhaftung Nawalny’s, zu erleben, dann ist das nunmal äußerst packend. Roher hat es hier außerordentlich gut geschafft, den Zuschauer nicht nur völlig in den Bann zu ziehen, sondern ihn auch komplett auf die Seite Nawalny’s zu ziehen, was bei seinem verwerflichen Gegenspieler aber wahrscheinlich auch keine hohe Kunst sein dürfte.

Nawalny und seine Frau Julija
Nawalny und seine Frau Julija © DCM Cabel News Network Inc.

Eine relativ gängige aber nicht weniger kluge Entscheidung von Roher war es außerdem, zwischen den Bildern der eigentlichen Dokumentation immer wieder Ausschnitte von Interviews einzuarbeiten. Diese versorgen den Zuschauer nicht nur mit weiteren Informationen, sie tragen ebenfalls zum Integritätsgefühl bei. Zu erwähnen gilt mit Sicherheit noch, dass der Film ein sehr gutes Tempo hat, bei dem sich zwar immer wieder Zeit für ruhige Momente genommen wird, jedoch nie Langweile aufkommt. Selbst im Falle eines unschuldigen Momentes bei denen die Familie entspannt durch ein verschlafenes Dorf wandert und Tiere füttert, verlässt einen nie das Gefühl, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm ist.

Auf die negativen Aspekte des Filmes einzugehen ist jedenfalls ein sehr kurzer Prozess, denn hier fällt mir nahezu nichts ein. Bei meinem einzigen negativen Punkt ist es zuallererst einmal wichtig klarzustellen, dass dieser deutlich die Etikette der Subjektivität trägt und sicherlich nicht auf jeden Zuschauer zutreffen wird. Bei mir zumindest, schlich sich mehrfach immer wieder das Gefühl ein, dass ich dem Ganzen nicht richtig traue. Was ich damit meine ist, dass es ein paar Momente gab, in denen ich an der Glaubwürdigkeit zweifelte und mir Fragen stellte wie: „Würden die das jetzt auch ohne eine laufende Kamera machen? Würden sie das auch ohne Kamera sagen?“. Wer ein solches Porträt in Gänze erleben möchte, der muss wohl oder übel mit dem Mindset an die Sache herangehen, der kompletten Inszenierung einfach zu Vertrauen. Ich habe genau das zwar geschafft und konnte damit nicht nur den Film richtig erleben, ich habe auch Empathie und Sympathie für Nawalny und seine Gefolgschaft entwickelt. So richtig verlassen hat mich dieser Beigeschmack einer politischen Agenda nicht wirklich und kam gerade in Szenen hoch, in denen Nawalny als liebevoller Vater, als leidender Gegenspieler Putins oder als Revolutionär abgebildet wurde. Diese Attribute können aber mit Sicherheit auch der absoluten Realität entsprechen und so ist mein Misstrauen vielleicht unbegründet, in jedem Fall aber ist es subjektiv.

Filmwertung
9/10

Kurzfassung

Der Film hat alles richtig gemacht.

Fazit:

Mir fällt es immer wieder schwer, eine Kritik über eine Dokumentation zu schreiben, denn wie es der Name schon sagt, wird hier auf den ersten Blick nur das Geschehene dokumentiert. Viel mehr geht es in einer Dokumentation um das Thema, welches behandelt wird, um die agierenden Personen und darum, wie informativ und gleichzeitig packend und authentisch eine reale Geschichte inszeniert wird. Für mich hat „Nawalny“ jedes dieser Punkte vollends erfüllt und gibt einen überaus relevanten Einblick in die Funktionalitäten einer sehr besorgniserregenden Regierung. Am Ende gilt, wenn es eine Dokumentation schafft, dass ein Zuschauer beim Abspann einmal tief durchatmen muss und vom Film insoweit berührt ist, als das dann auch im Nachgang die Gedanken umherschwirren und sich reichlich mit dritten ausgetauscht wird, dann hat der Film alles richtig gemacht. Eben diesen Effekt erzielte Rohers Projekt bei mir und ich würde an dieser Stelle einiges darauf wetten, dass das mit den meisten Menschen passieren wird, die sich „Nawalny“ ab dem 5. Mai im Kino ansehen können.


von Esteban Belon

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