In den besten Händen: Emergency Room trifft Gott des Gemetzels

In den besten Händen - Raphaelas Freundin Julie (Marina Fois)
In den besten Händen - Raphaelas Freundin Julie (Marina Fois) © Alamode Film

Die Kritik:

Frankreich im Winter 2018: Im Zuge der Gelbwestenproteste kommt es zu landesweiten Ausschreitungen, Straßenbarrikaden werden auf der Avenue des Champs-Élysées errichtet, Demonstranten versuchen die Sicherheitsbarrieren am Elysée-Palast zu durchbrechen, zehn Menschen sterben und tausende werden verletzt. Die absteigende französischen Mittelschicht rebelliert Hand in Hand mit dem schwarzen Block und die Grande Nation verfällt für kurze Zeit in bürgerkriegsähnliche Zustände. In der Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses treffen Menschen aller politischen und sozialen Couleur aufeinander. Das Wartezimmer wird zu einem elektrisierten Mikrokosmos, einem Spiegelbild der in Le Pen und Macron gespaltenen französischen Seele.

In den besten Händen - Filmplakat
In den besten Händen – Filmplakat © Alamode Film

Leider ist In den besten Händen weit entfernt davon, die subversive Abrechnung mit dem französischen Gesundheitssystem und der Macron-Regierung zu sein, an der es sich so ungelenk und ohne viel Feingefühl für gesellschaftliche und individuelle Nuancen versucht. Statt wichtige subtile Impulse zu setzen, bietet der Film kaum mehr als die holzschnittartige Nachzeichnung hinlänglich bekannter Konflikte. Das binäre Bild, das Regisseurin Catherine Corsini (La belle saison – Eine Sommerliebe) in ihrem Kammerspiel von der französischen Gesellschaft zeichnet – auf der einen Seite die liberale Oberschicht, auf der anderen die rechtskonservative Arbeiterklasse – verläuft nicht nur diachron zu den Werten des Queer Palm, den der Film zuletzt in Cannes gewann, sondern bedeutet auch eine sträfliche Vereinfachung der komplexen gesellschaftlichen Realitäten Frankreichs. Die Protagonistinnen und Protagonisten des Films, weniger echte Menschen als politische Schablonen, geraten hier zu Karikaturen.

Der unverblümte soziale Kommentar, an dem sich Corsini versucht – die Polizeigewalt während der Gelbwestenproteste war unverhältnismäßig, die französische Arbeiterklasse befindet sich im ökonomischen und sozialen Freifall, Krankenhäuser sind chronisch unterbesetzt – ist entweder in der Darstellung der Problemlage hinlänglich bekannt (und der Film fügt ihm weder künstlerisch noch inhaltlich etwas hinzu) oder er zerschellt an den beiden völlig überzeichneten Hauptfiguren. Insbesondere die Figur der liberalen Pariser Künstlerin Raf (Valeria Bruni Tedeschi) ist dermaßen überzogen, dass sie zuletzt weniger Comiczeichnerin als Comic ist. Der Film liefert für die andauernde Hysterie und Irrationalität, mit der sie das Krankenhauspersonal (und die Kinobesucherinnen und -besucher) fast in den Wahnsinn treibt, auch in 99 Minuten Laufzeit keine bessere Erklärung als ihren sozialen Status – eine fast schon zynische Verkürzung klassenbedingter Konflikte.

In den besten Händen - Kim (Aissatou Diallo Sagna), Krankenschwester in der Notaufnahme
In den besten Händen – Kim (Aissatou Diallo Sagna), Krankenschwester in der Notaufnahme © Alamode Film

Die überzeugendste Figur in In den besten Händen ist noch die von Aïssatou Diallo Sagna mit großer Authentizität gespielte Krankenpflegerin Kim. Sagna, die auch im echten Leben Gesundheits- und Krankenpflegehelferin ist, wurde für ihre Rolle mit dem César als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. In ihrem Kampf mit der Hydra, die das Wartezimmer der Notaufnahme ist, den kaum zu beherrschenden Massen leidender und frustrierter Patientinnen und Patienten, die im Verlauf des Filmes nur immer größer zu werden scheinen, übertragen sich Überforderung, Erschöpfung und Hilflosigkeit, überhaupt das ganze Spektrum des Krankenpflege-Dilemmas, auf eindringliche Art und Weise. Leider gibt Corsini diesem besseren Erzählstrang nur wenig Raum, sodass er neben den bizarren und lauthals aufgetragenen Konflikten der beiden Hauptpersonen zur verhaltenen Randnotiz wird. Das Spiel von Tedeschi ist einfach so überdreht und schrill, dass es all die durchaus ernsthaften Punkte, die der Film macht, übertönt. Am Ende des Films bleibt daher vor allem die Erinnerung an Tedeschis Hysterie – wohlgemerkt eine schauspielerische Leistung, die man durchaus würdigen kann.

Filmwertung
5/10

Kurzfassung

In den besten Händen ist letztendlich wie die Pflegeberufe, um die es sich in dem Film auch dreht – zu viel Arbeit für zu wenig Lohn.

Fazit:

Emergency Room trifft Gott des Gemetzels; Corsinis Kammerspiel sollte eine bissige Abrechnung mit dem französischen Gesundheitssystem, Klassenunterschieden und der Macron-Regierung sein. Das Ergebnis ist wie die Pflegeberufe, um die es sich in dem Film auch dreht – zu viel Arbeit für zu wenig Lohn.


von Jan Niklas Breuer

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