Die Aussprache – Filmkritik

Michelle McLeod, Sheila McCarthy, Liv McNeil, Jessie Buckley, Claire Foy, Kate Hallett, Rooney Mara und Judith Ivey in Die Aussprache
Michelle McLeod, Sheila McCarthy, Liv McNeil, Jessie Buckley, Claire Foy, Kate Hallett, Rooney Mara und Judith Ivey in Die Aussprache - Photo credit: Michael Gibson © 2022 Orion Releasing LLC. All Rights Reserved.

Die Kritik:

Man könnte beim Ansehen von „Die Aussprache“ (OT: „Women Talking“) leicht zu dem Irrglauben geraten, dass es sich hierbei um die Adaption eines Theaterstücks handelt: So spielt der Film fast vollständig in einer kargen Scheune, in der im Verlauf von zwei Tagen mehrere Frauen darüber debattieren, ob sie ihre abgeschiedene Kolonie verlassen, dort bleiben oder gegen die dort ansässigen Männer kämpfen sollen. Anstoß dieser Diskussion ist der tragische Umstand, dass die streng religiösen Frauen nicht wie lange vermutet von Geistern oder Dämonen vergewaltigt wurden, sondern eben von den Männern ihrer ultrakonservativen Gemeinde. Statt der Verfilmung eines Theaterstücks handelt es sich bei diesem zweifach Oscar-nominierten Film jedoch um eine Adaption von Miriam Toews gleichnamigem Tatsachenroman, für die sich Sarah Polley verantwortlich zeichnet.

Polley, die ihre Schauspielkarriere mittlerweile lange an den Nagel gehängt hat, erwies sich mit ihren vorigen Regiearbeiten „An ihrer Seite“, „Take this Waltz“ und dem außergewöhnlichen Dokumentarfilm „Stories We Tell“ als bemerkenswert empathische Filmemacherin, die gekonnt Intellekt mit Emotionalität und Naturalismus verknüpfen konnte. In ihrem neuen Film „Die Aussprache“ stehen zweifelsohne gewichtige Themen und große Botschaften im Mittelpunkt, jedoch verliert der Film trotz hochkarätiger Besetzung und spürbar großer Empathie für seine Figuren den Blick für emotional mitreißendes und ergreifendes Geschichtenerzählen.

Ben Whishaw, Rooney Mara und Claire Foy in Die Aussprache
Ben Whishaw, Rooney Mara und Claire Foy in Die Aussprache – Photo credit: Michael Gibson © 2022 Orion Releasing LLC. All Rights Reserved.

Die anfangs erwähnte Theaterhaftigkeit zeigt sich in leider wenig einfallsreicher und wenig dynamischer Inszenierung, die sich ganz auf die starke Darstellerriege um Claire Foy, Jessie Buckley, Rooney Mara, Sheila McCarthy, Michelle McLeod und Ben Whishaw verlässt. Die arg geschrieben wirkenden Dialoge laden die AkteurInnen zu oft recht undankbaren und dadurch überraschend steifen Monologen ein, die durchaus interessante intellektuell-philosophische Gedankengänge beinhalten, aber nur selten wie lebendige oder natürliche Unterhaltungen daherkommen. So baut sich schon frühzeitig eine kaum überwindbare Distanz zum Zuschauer auf, die nur in manchen Momenten aufgebrochen wird.

Das ist schade, denn die Prämisse und Herangehensweise sind originell und vielversprechend: So lässt sich hier nur lange vermuten, in welcher Ära und an welchem Ort sich das Geschehen abspielt. Klar ist, dass die gezeigten Frauen schon seit Jahren morgens aufwachen, Vergewaltigungsspuren an sich wahrnehmen, ohne aber aufgrund ihrer patriarchalischen und gläubigen Erziehung von dem Gedanken abzukommen, dass sie nicht von Geisterhand geschändet oder gar geschwängert wurden. Das ändert sich alles, als die männlichen Täter, die ihre Opfer mit Tierbetäubungsmitteln regelmäßig nachts in eine tiefe Ohnmacht versetzt haben, nach frischer Tat ertappt werden.

Was diese erschreckende Erkenntnis mit Menschen macht, die ihr ganzes Leben hermetisch abgeriegelt waren und die Außenwelt überhaupt nicht kennen, ist potentiell spannend. Doch leider erweist sich „Die Aussprache“ als seltsam sperriger und wenig zugänglicher Film, der zudem sehr monoton um die immer gleichen Diskussionen und Leidenserfahrungen kreist, ohne zu einem größeren Erkenntnisgewinn zu gelangen. Zugleich hat man aber auch den Eindruck, dass sich der Film unangenehm an seiner eigenen Wichtigkeit ergötzt und einen botschaftsschwangeren Grundtenor intellektuell wie emotional stimulierender Unterhaltung vorzieht.

Sheila McCarthy und Jessie Buckley as Mariche in Die Aussprache
Sheila McCarthy und Jessie Buckley as Mariche in Die Aussprache – Photo credit: Michael Gibson © 2022 Orion Releasing LLC. All Rights Reserved.

„Die Aussprache“ möchte derart holzhammerartig eine feministische Bewusstseinswerdung filmisch darstellen, dass für den Zuschauer kaum die Möglichkeit bleibt, subtile Zwischentöne zu entdecken. Da hilft es auch nicht, dass der einzige präsente Mann der Besetzung in Form des Lehrers August (Ben Whishaw) daherkommt, der als sensibles und sich immer am Rande der Tränen befindliches Lämmchen portraitiert wird. Er ist auf Seite der Frauen und protokolliert die Debatte, da seine Gegenüber des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind. Da hier die Frauen sprechen sollen, ist seine symbolhafte Aufgabe klar gestellt: Er soll zuhören. Dennoch ist es die platonische Liebesbeziehung zwischen ihm und der schwangeren Ona (Rooney Mara), die wohl die berührendsten und subtilsten Momente des Films hergibt. Insbesondere die wie immer großartige Mara darf hier am meisten mit reiner Ausstrahlung machen, ohne sich auf groß geschriebene Schauspielmomente zu verlassen.

Das Pro und Kontra der drei Pole Bleiben, Gehen oder Kämpfen sorgt zwar stets für konfliktreiche Diskussionen, doch baut der Film einfach keine innere Spannung auf. Wirkliche Konflikte sind das dann eben nicht, eher bietet der Film sehr schnell einfache Lösungen und kein echtes Drama, sodass sich schon nach kurzer Zeit ein Gefühl von Vorhersehbarkeit und Monotonie einstellt. Dass man sich dann in seiner tristen Symbolhaftigkeit fast schon aufdringlich monochromatisch-digitalen Look entschieden hat, macht diesen eigentlich so vielversprechenden Film leider nur noch enttäuschender.

Filmwertung
6/10

Kurzfassung

Leider enttäuschender Oscar-Kandidat, der seine eigene Bedeutung über emotional mitreißende und dynamische Inszenierung stellt.

Fazit:

„Die Aussprache“ war einer der vielversprechendsten Filme der Awards Season und wurde letztlich auch in den Kategorien bestes adaptiertes Drehbuch und bester Film für Oscars nominiert. Als symbolhafte und bedeutungsschwangere feministische Bewusstseinswerdung ist das nachvollziehbar, als emotional mitreißender Film leider nicht.


von Florian Hoffmann

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