Der goldene Handschuh – Filmkritik: ekelerregende Studie menschlicher Verwahrlosung und Perversion

Fritz Honka (Jonas Dassler)
Fritz Honka (Jonas Dassler) © 2018 Warner Bros. Ent photo by Gordon Timpen

Die Kritik:

Der goldene Handschuh Plakat © 2018 Warner Bros. Ent.

Wer sich in Fatih Akins neuen Film „Der goldene Handschuh“ wagt, wird schon in den ersten paar Minuten seinen Prüfstein erleben: Hier etabliert er Fritz Honkas verdreckte Wohnung in Hamburg-Altona, die so detailliert gestaltet ist, das man ihren Gestank förmlich riecht. Honka versucht hier den halbnackten Körper der ermordeten Gertrud Bräuer in einen blauen Müllsack zu zwängen, bis er schließlich erschöpft und sichtlich überfordert aufhört. Er zieht die leblose Frau auf den Boden und beginnt nach einigem Zögern mit einer Fuchsschwanzsäge ihren Kopf abzutrennen, nachdem er sich mit einer ordentlichen Portion Korn Mut angetrunken hat. Zwischendurch legt er auch noch Adamos Schlager „Es geht eine Träne auf Reisen“ auf, das immer wieder im Verlauf des Films zu hören sein wird. Den Kopf selbst sieht man nicht, doch der quälende Klang des Sägens und dieses fürchterlich realistisch wirkende Portrait des Elends in all seiner Verzweiflung und Schmierigkeit geht sehr an die Substanz. Schließlich entledigt sich Honka auf einem Hinterhof der verpackten Körperteile und offenbart dabei eine bemitleidenswerte und abstoßende Kreatur, deren seelische Abgründe dieser Film die nächsten zwei Stunden so greifbar zum Thema macht.

Heinz Strunks mehrfach ausgezeichneter Roman „Der goldene Handschuh“, der den Mikrokosmos St. Pauli mit all seinen tragischen wie skurrilen Existenzen so präzise getroffen hat, bildet die Grundlage für Akins zehnten Spielfilm. Als unverfilmbar galt dieses so bemitleidenswerte wie ekelerregende Sittenbild, das wohl nur von einem Filmemacher von Akins Gewichtigkeit hätte realisiert werden können. Rein inszenatorisch und filmtechnisch ist dem Hamburger Filmemacher und seiner Crew tatsächlich in einigen Punkten ein großer Wurf gelungen: Akins Stammkameramann Rainer Klausmann gelingt eine große bildsprachliche Klarheit, während Szenenbildner Tamo Kunz das Hamburg der 70er Jahre in erstaunlicher Präzision aufleben lässt. „Der goldene Handschuh“ ist mit einem enormen Gespür für Zeit und Ort ausgestattet, aus jeder Faser atmet dieser Film authentisches Lokalkolorit, man fühlt förmlich die abgeranzten Texturen, riecht den Mief des alten Deutschland.

Gerda Voss (Margarethe Tiesel) und Fritz Honka (Jonas Dassler)
Gerda Voss (Margarethe Tiesel) und Fritz Honka (Jonas Dassler) © 2018 Warner Bros. Ent photo by Boris Laewen

„Zum goldenen Handschuh“ selbst, die berüchtigte wie kultige Kneipe im Herzen St. Paulis, ist bemerkenswert realisiert. Es ist nicht nur das versiffte, mit Dreck und Zigarettenstummeln übersäte Szenenbild, sondern eben auch die traurigen Existenzen, die diesen Ort bevölkern. In Akins Film sind nahezu alle Figuren fast zu jeder Zeit bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, vor allem der omnipräsente Oldesloer Korn wird förmlich wie Wasser getrunken. Die Figuren scheinen schon im lebendigen Zustand zu verrotten, so speckig ist ihre meist fettleibige Haut, so ölig die Haare, so abstoßend die Zähne (sofern vorhanden). Die Gäste dieser Absteige haben zumeist jeden Halt im Leben verloren, nicht umsonst wurden für die von Honka ermordeten Frauen nie Vermisstenanzeigen aufgegeben. Doch in all diesem Elend findet Akin auch Menschlichkeit und sogar schwarzhumorigen Humor. Gerade die skurrilen Stammgäste der Kneipe lockern das Geschehen immer wieder mit ihren Eigenarten und hochoriginellen Sprüchen auf. Mit Figuren wie „Soldaten-Norbert“ (Dirk Böhling), Dornkaat-Max (Hark Bohm) oder „Nasen-Ernie“ (Lars Nagel) bewegt sich Akin zwar immer nahe an der Grenze zur Karikatur, jedoch machen sie das Gesehene auch erträglicher.

Doch nun zur Hauptfigur selbst: Fatih Akin wollte dieser Angstfigur seiner Kindheit die Würde zurückgeben. Das gelingt ihm durchaus in Teilen, doch um eine wirklich gelungene Charakterstudie zu sein, mangelt es dem Film schlichtweg an psychologischer Tiefe. Das ist zwar von Akin genau so gewollt, da er auf die Beleuchtung jeglicher Hintergründe verzichtet und Honka immer nur im Moment zeigt, erhellend ist das jedoch nicht. Unter herausragend realisierter Maske wird der erst 22-jährige Schönling Jonas Dassler zu dem hässlichen St. Pauli-Quasimodo Fritz Honka, der zum Zeitpunkt der Morde bereits fast 40 Jahre alt war. Die Meinung der Frauen im „Goldenen Handschuh“ zu Stammgast Honka ist einhellig – „der ist mir zu hässlich“ heißt es. Noch schlimmer wird es mit den Worten „den würde ich nicht mal anpissen, wenn er brennt“ auf den Punkt gebracht. Seine Vergangenheit beleuchtet Akin nicht, ebenso wenig, woher er seine entstellte Nase und das schielende Auge hat. Honka verdingt sich als Werftarbeiter, wie man ganz am Rande erfährt. Er ist ein schlimmer Alkoholiker, seine absonderlicherweise mit Puppen ausgestattete Wohnung, deren Wände mit Pin-Ups tapeziert sind, ist ein Kabinett des Ekels, wo sich das dreckige Geschirr stapelt, der Staub inmitten diverser alter Relikte zentimeterhoch liegt und angefressene Bockwürste den Wohnzimmertisch verzieren.

Fritz Honka (Jonas Dassler)
Fritz Honka (Jonas Dassler) © 2018 Warner Bros. Ent photo by Gordon Timpen

Dass Honka sogar schon verheiratet war und einen Sohn hat, könnte man nicht mal erahnen. Wie so viele andere Figuren in diesem Film ist Honka eine verlorene Existenz ohne Vergangenheit. Lediglich sein Bruder Siggi (Marc Hosemann) besucht ihn noch gelegentlich und lässt einen Hauch Normalität durch sein Leben wehen. Die Frauen, die Honka mit zu sich nach Hause nimmt, missbraucht und demütigt er auf die schlimmste vorstellbare Weise. In seinem Alkoholrausch entwickelt sich Honka zum frauenhassenden Monster mit sexuellen Machtfantasien, das vor keiner Perversität zurückschreckt. Hier werden Kochlöffel, Bockwürste und Senf auf die abartigste Weise zweckentfremdet. Hier geht Akin immer wieder an die Grenzen des Zeigbaren: Er deutet visuell zwar die Schandtaten meist nur an, jedoch sind es die Taten und die Atmosphäre von grenzenloser Perversität und Ekel an sich, die eine oft unerträgliche Wirkung aufbauen. Akin ist in der Darstellung schlimmster Verdorbenheit und einer Ästhetik der Hässlichkeit jedoch bemerkenswert konsequent. Gerade aus Deutschland ist selten ein kompromissloseres Werk zu sehen gewesen.

„Der goldene Handschuh“ ist filmisch so gut umgesetzt, dass es schwer fällt, wegzusehen. Zu bewundern ist die Konsequenz von Akin, aber auch der Darsteller, die hier mit bemerkenswerter Mutigkeit agieren. Es ist nicht nur Dasslers hässliche Maske, sondern überhaupt seine Transformation in ein so bemitleidenswertes wie furchterregendes Monster. Auch ohne ausgesprochenen Kontext vermittelt er ein starkes Gespür für seine Lebenssituation und sein durch Alkoholexzesse und jahrelanger Ablehnung angetriebenes unmenschliches Handeln. Doch gerade die fast durchweg korpulenten Darstellerinnen erstaunen durch ihren Mut zur Hässlichkeit. Immer wieder werden hier ihre nackten übergewichtigen Körper kompromisslos zur Schau gestellt, was in Verbindung mit grässlicher sexueller Gewalt wahrlich kein schöner Anblick ist. Auch hier erfährt man meist nur wenig, den wohl größten weiblichen Part bildet Gerda Voss (Margarethe Tiesel), die sich zwischenzeitlich zu Honkas dauergedemütigtem Hausmädchen und Sexsklavin machen lässt, da er an ihre Metzgertochter Rosi ran will (die er nur aus Beschreibungen kennt).

Fritz Honka (Jonas Dassler)
Fritz Honka (Jonas Dassler) © 2018 Warner Bros. Ent photo by Gordon Timpen

Gerda bleibt selbst ein widersprüchliches Rätsel, denn man fragt sich schon, warum dieser Inbegriff willenloser menschlicher Tragik trotz aller Demütigung des tyrannischen Honka sogar noch seine Wohnung putzt. Derart verloren sind die Seelen in diesem Film, dass schon das geringste Maß an Zuneigung für in sich widersprüchliches Handeln sorgt. Etwa zur Hälfte des Films, als Honka einen Job als Nachtwächter in einem Bürogebäude der City-Nord findet und dem Alkohol abschwört, findet er zu etwas Klarheit. Er lernt die Reinigungskraft Helga (Katja Studt) kennen, die sich ihm sogar mit seinen Eheproblemen anvertraut. Natürlich versteht Honka diese Zuneigung falsch, was ihn schließlich in alte Bahnen zurückwirft.

Dankbarerweise hat Honka „nur“ viermal gemordet, weswegen die (meist nur angedeuteten) Mordszenen nur einen kleinen Teil des Films ausmachen. Dennoch ist „Der goldene Handschuh“ ein konsequent ekelhaft-grotesker Film, der einiges an Durchhaltevermögen voraussetzt. Der Film strahlt sicher eine morbide Faszination aus, dennoch fühlt man sich am Ende auch etwas leer. Hätte Akin seinem durchaus empathisch gezeichneten Protagonisten dann mehr Kontext gegeben, könnte man seinem Film sicher mehr abgewinnen. Es bleibt schlichtweg unklar, was der Film erzielen möchte oder an welches Publikum er sich richtet. So bleibt letztlich ein filmisch interessanter und durchaus in seiner Konsequenz bewundernswerter Film zurück, den man aber sicher kaum mögen kann.

Filmwertung
6/10

Kurzfassung

Ekelerregende Studie menschlicher Verwahrlosung und Perversion, lässt aber psychologische Tiefe vermissen.

Fazit:

Fatih Akins ekelerregende Studie menschlicher Verwahrlosung und Perversion ist filmisch bemerkenswert umgesetzt, lässt aber psychologische Tiefe vermissen. Jonas Dassler gelingt eine erstaunliche Transformation in St. Paulis frauenmordenden Quasimodo, während Akin und seinem Team ein nahezu olfaktorisches Filmerlebnis gelingt, bei dem man den allgegenwärtigen Mief förmlich zu riechen glaubt. So gelingt Akin eine herausragend authentische Milieu- und Versagerstudie, als erhellende Charakterstudie über Serienmörder Fritz Honka funktioniert „Der goldene Handschuh“ jedoch nur in Ansätzen.


von Florian Hoffmann

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