Candyman – geheimnisvoll spannende Inszenierung mit Schwächen

Candyman - Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) und Anne-Marie McCoy (Vanessa Williams)
Candyman - Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) und Anne-Marie McCoy (Vanessa Williams) © Universal Pictures

Die Kritik:

Fast 30 Jahre nach Bernard Roses modernem Horrorklassiker nutzt Jordan Peele seinen nach den Erfolgen von „Get Out“ und „Wir“ beträchtlichen Einfluss, um den totgeglaubten Mythos des „Candyman“ fortzusetzen. Peele fungiert hier jedoch lediglich als Produzent und Autor, während Newcomerin Nia DaCosta Regie führt, deren Erstling „Little Woods“ in Deutschland bislang nicht mal erschienen ist. Wie bereits bei David Gordon Greens „Halloween“ werden die Fortsetzungen übergangen, um erzählerisch direkt am Original von 1992 anzusetzen.

Candyman - Filmplakat
Candyman – Filmplakat © Universal Pictures

So spielt auch der neue „Candyman“ in Chicago, wo der titelgebende afroamerikanische Slasher mit dem Fleischerhaken damals sein blutiges Unwesen trieb. War es damals die Studentin Helen, die im sozialen Brennpunkt Cabrini-Green verhängnisvolle Nachforschungen über die Großstadtlegende des Candyman betrieb, ist es nun der schwarze Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen II), der bei der Suche nach Inspiration auf ihn stößt. Besagte Sozialbausiedlung, die im ersten Film so prominent im Mittelpunkt stand, existiert heute abgesehen von wenigen leerstehenden Häusern so gut wie nicht mehr – die Sage des Candyman jedoch umso mehr, wie Anthony bei seinen Recherchen feststellt. So trifft er auf den Waschsalonbesitzer William Burke (Colman Domingo), der als Kind erleben musste, wie der fälschlicherweise als Kindermörder verdächtigte Sherman Fields (Michael Hargrove) von rassistischen Cops in Cabrini-Green brutal ermordet wurde. Wie Anthony erfährt, ranken sich eben nicht nur Mythen um den durch die bisherigen Filme bekannten Candyman Daniel Robitaille (Tony Todd): Tatsächlich sind es verschiedene Persönlichkeiten, die durch unterschiedliche Generationen in die Fußstapfen der titelgebenden Spukgestalt treten.

Der stagnierende Künstler Anthony, der von seiner wohlhabenden Freundin und Kunstgaleriebesitzerin Brianna (Teyonah Parris) über Wasser gehalten wird, fühlt sich durch die Spurensuche nach der modernen Horrorsage und das Vermächtnis von Cabrini-Green künstlerisch beflügelt. Doch auch er begeht den Fehler den Hakenkiller heraufzubeschwören, indem er seinen Namen fünfmal vor einem Spiegel sagt. Da auch andere durch Anthonys den Candyman thematisierende Kunst ähnlich leichtsinnig sind, stapeln sich bald die Leichen. Währenddessen beginnt für Anthony eine Abwärtsspirale, bei der Körper und Geist zunehmend degenerieren…

Die Idee, „Candyman“ neu zu interpretieren, birgt tatsächlich viel Potential: War der erste Film bereits so außergewöhnlich, da er den Horror tief in einer Sozial-und Milieustudie verwurzelte, wissen Peele und DaCosta spürbar um die Relevanz des Stoffes. So gräbt sich der neue „Candyman“ nochmal umfassender in die afroamerikanische Seele der Vergangenheit und Gegenwart, steht dabei sowohl unmittelbar am Puls der Zeit als auch im makabren Vermächtnis des Originalfilms. Jedoch garnieren die Filmemacher ihre Fortsetzung bzw. Neuauflage auch mit Peele-typischem satirischem Humor, der in diesem Kontext – ähnlich wie auch teilweise in „Wir“ – nicht immer so ganz funktionieren will, da er den Horror nur abschwächt.

Candyman - Vanessa Williams als Anne-Marie McCoy
Candyman – Vanessa Williams als Anne-Marie McCoy © Universal Pictures

Gerade zu Beginn ist „Candyman“ allerdings ein überaus packendes und einnehmendes Filmerlebnis: Mit bemerkenswerter Stilsicherheit weiß DaCosta stellenweise auf nahezu virtuose Weise Aufmerksamkeit und Spannung zu generieren. So erzählt der Prolog in starken wie stimmungsvollen Bildern vom Cabrini-Green der 70er Jahre, als der mit einer Hakenhand versehene Sherman Fields als Killer verdächtigt wird. Dieser verteilt Süßigkeiten in der Nachbarschaft, in deren Packungen angeblich Rasierklingen versteckt sind. Der über Jahrzehnte immer wieder relevante Bezug zur rassistisch motivierten Polizeigewalt ist hier natürlich nicht von der Hand zu weisen. Das spricht der Film mal elegant und smart, mal aber auch plakativer und plumper an. Überhaupt spürt man dem Film DaCostas und Peeles scharfe Beobachtungsgabe zum schwarzen Lebensgefühl der Gegenwart an, während aber auch spitzfindige Beobachtungen über das Kunstmilieu eingewoben werden. Interessant ist dieser „Candyman“ also in jedem Fall, da er nicht nur jede Menge Style hat, sondern auch etwas zu sagen hat – wenn jedoch teilweise etwas zu diffus.

Ein Highlight ist der Vorspann des Films, der untermalt zu den außergewöhnlichen Klangbildern von Filmmusik-Newcomer und Experimentalmusiker Robert Auki Aubrey Lowe durch die vernebelten Chicagoer Straßenschluchten mit schrägem Blick von unten nach oben fährt. Hier kreiert DaCosta wahrlich außergewöhnliche und eigenständige Bilder, die interessanterweise in genauem Kontrast zum Vorspann des Originalfilms stehen, der die Metropole in einem gespenstischen Tracking Shot von oben gezeigt hat. Visuell ist der Film dank seiner modernen urbanen Sets und John Gulesarians stylischer und inspirierter Kameraarbeit ohnehin äußerst gelungen.

CCandyman: Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) kennt das Grauenandyman
Candyman: Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) kennt das Grauen ©2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures

DaCosta inszeniert also einen enorm atmosphärischen Film mit starkem Gespür für das Geheimnisvolle. Sie ist nah bei ihrer Hauptfigur Anthony, der charismatisch von Yahya Abdul Mateen II verkörpert wird. Man wird von diesem Film lange aufgesogen, jedoch entgleitet DaCosta das Narrativ in der zweiten Hälfte zunehmend. Während sich Anthonys Körper im Ekel-Stile von Cronenbergs „Fliege“ nach einem Bienenstich zunehmend zersetzt und sein Verhalten für Außenstehende immer beängstigender wird, gelingt es DaCosta nur bedingt eine emotionale Ebene oder auch eine Spur von tragischer Dimension auszuarbeiten. Ist das Zusammenspiel und die Zusammengehörigkeit von Anthony und Brianna über lange Strecken greifbar, verliert der Film hier zunehmend den Kontakt und irritiert mit eher irrationalem und schwer nachvollziehbarem Verhalten.

An brutalen und sehr blutigen Momenten mangelt es auch diesem „Candyman“ jedenfalls nicht: Ähnlich wie in Roses Film wird das Massaker häufig ins Off bzw. auf die Tonspur verlagert, was DaCosta immer wieder in aufsehenerregend kunstvoll-eleganten Einstellungen einfängt. Doch auch hier generiert sich bald eine gewisse Distanz und kalkulierte Oberflächlichkeit, gerade da die Opfer zunehmend wahllos werden und sich der wiederholt durch Spiegel ausgelöste Horror so auf Dauer abnutzt und so zur symbolisch aufgeladenen Stilübung wird. Schließlich muss man zu dem Entschluss kommen, dass „Candyman“ durch letztlich redundante Horrormomente überraschend wenig gruselig daherkommt und auch nicht an die unheimliche und makaber-romantische Intensität des Originals heranreicht, die auch heute noch unter die Haut geht. Das ist äußerst schade, denn man spürt zweifelsohne, dass hier jede Menge offensichtliches Potential vorhanden ist, das jedoch nicht in einen vollends überzeugenden Film umgesetzt wurde.

Filmwertung
6.5/10

Kurzfassung

Zwiespältige Angelegenheit. Der Horror ist geheimnisvoll-spannend und wirkungsvoll, jedoch verliert der Film in der zweiten Hälfte zunehmend den Draht zu seinen Figuren.

Fazit:

Der neue „Candyman“ entpuppt sich als eher zwiespältige Angelegenheit. Regisseurin Nia DaCosta gelingt zum einen mit einer enorm stilsicheren Inszenierung eine vielversprechende Visitenkarte und wie auch schon das Original hat auch dieser Film viel über Rassismus und noch mehr über schwarzes urbanes Lebensgefühl zu sagen. Der Horror ist lange dank DaCostas geheimnisvoll-spannender Inszenierung wirkungsvoll, jedoch verliert der Film in der zweiten Hälfte zunehmend den Draht zu seinen Figuren.


von Florian Hoffmann

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