Bram Stoker’s Dracula in der Retro Filmkritik

Gary Oldman und Keanu Reeves in Bram Stoker's Dracula
Gary Oldman und Keanu Reeves in Bram Stoker's Dracula © SonyPictures Entertainment

Die Kritik:

Bram Stoker's Dracula - 4K UHD Cove
Bram Stoker’s Dracula – 4K UHD Cover
© SonyPictures Entertainment

Die Faszination des Vampir-Mythos ging schon immer über das Böse, das sich in der Nacht versteckt, hinaus. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit, der Konflikt zwischen dem inneren Biest und der zivilisierten Welt (nicht umsonst kontrastiert man meist das mittelalterliche Transsylvanien und das fortschrittliche London), dem eigenen Verlangen und der Vernunft stellten in den besten jener Geschichten stets zentrale Themen dar. Das Dasein Draculas selbst schwankt zwischen Fluch und Segen, zwischen einem Leben in Freiheit und dem Gefängnis des eigenen Körpers. Untermalt von einer gehörigen Portion Erotik, entstand so einer der hartnäckigsten und langlebigsten Film-Bösewichte überhaupt. Klar, von Werner Herzogs legendären „Nosferatu“ bis zum ungemein witzigen „5 Zimmer, Küche, Sarg“ von und mit Taika Waititi, wandelten zahlreiche Filmemacher den Vampir für ihre eigene Interpretation ab und schufen mal mehr, mal weniger zeitlose Versionen des Blutsaugers. Doch vereint für mich kein Film all diese Elemente besser als „Brom Stoker´s Dracula“ vom einzigartigen Francis Ford Coppola. Darüber hinaus entwickelt Coppola den Mythos an entscheidenden Stellen weiter und schafft durch seine expressionistische Bildsprache einen auf Zelluloid gebannten Albtraum, eine fieberhafte Reise in die Abgründe der menschlichen Natur und zugleich die tragischsten und so mitreißendste Version Draculas.

Anthony Hopkins und Sadie Frost in Bram Stoker's Dracula
Anthony Hopkins und Sadie Frost in
Bram Stoker’s Dracula
© SonyPictures Entertainment

So gelingt hier durch Michael Ballhaus geniale, kontrastreichen Kameraarbeit, den bodennahen, sich langsam heranschleichenden Fahrten, den sexuell aufgeladenen Close-Ups und durch ein brillant-bedrohliches Spiel mit den Schatten in all diesen blutrot durchtränkten, abartigen Bildkompositionen wahrlich ein Ausflug in die Hölle selbst. Doch auch das einzigartige Setdesign mit seinen albtraumhaften Landschaften, dem übernatürlich anmutenden Schloss des Grafen, den genialen Masken und seinem grauenerregenden Make-up spielt hier eine zunehmend verstörende Rolle, in diesem vom Grafen selbst so brillant orchestrierten Puppenspiel, in dem wir selbst ebenso so hilflos zusehen müssen, wie der von Keanu Reeves verkörperte Jonathan Harker. Erst durch ein spätes, aber perfekt getimtes Auftreten von dem wie eh und je groß aufspielenden Anthony Hopkins als Professor Van Helsing entsteht in dieser grausamen, von Verlangen geprägten Welt ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont, der mit der untergehenden Sonne jedoch langsam zu verschwinden droht.

Mit einem weniger fähigen Regisseur als Coppola wäre diese offensichtlich überzeichnete Welt, eine Tatsache, die bereits in den ersten Sekunden klar gemacht wird, gefährlich über die Grenze zur Lächerlichkeit hinausgeschossen. So aber überschreitet der Filme diese nicht, er balanciert auf ihr. Erst dadurch wird diese einzigartige Atmosphäre erzeugt, durch die ein Sog entsteht, der uns immer tiefer in Draculas grausames Spiel zieht, und uns nie wieder loszulassen vermag. Erst so perfektioniert Coppola seinen visuellen Geniestreich mit Namen „Dracula“.

Gary Oldman in Bram Stoker's Dracula
Gary Oldman in
Bram Stoker’s Dracula © SonyPictures Entertainment

Bei allem Lob an Coppolas stilsichere Inszenierung wird oftmals kritisiert, dass dieser unter dieser Oberfläche nicht genug Substanz hätte. Ein Kritikpunkt, der in meinen Augen nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Vieles erzählt der Film zwischen den Zeilen. Seine Kritik an der Religion scheint nur an einigen Stellen heraus. Im Zentrum steht hingegen eine mitreißende Geschichte über sexuelles Verlangen und Lust, die sich gerade zwischen Harkers Verlobter Mina Murray (Winona Ryder) und Dracula selbst entspinnt. Eine tragische Geschichte über die zerstörerische und zugleich heilende Natur der Liebe, über einen trauernden Mann, der alles verlor, der durch großes Leid vom rechten Weg abkam, nun aber erneut auf der Suche nach der großen Liebe ist. Der bahnbrechende visuelle Stil lenkt von all dem nicht ab, vielmehr stärkt er den Subtext, und beflügelt sowohl die Handlung, als auch die Figuren. Gerade der Graf selbst war noch nie so tragisch, so zerrissen wie hier, und sollte es auch nie wieder sein. Er ist ein kaum zu fassendes Monster der Nacht, ein gefallener Held, ein trauernder Geliebter und zugleich eine unaufhaltsame Naturgewalt. In einem Film, dessen schauspielerische Leistungen von okay bis brillant reichen, sticht gerade Gary Oldmans zeitlose Verkörperung des Draculas heraus. Er vereint all diese vermeintlich gegensätzlichen Facetten in einer für die Legenden gemachten Interpretation einer scheinbar auserzählten Figur.

Winona Ryder und Sadie Frost in Bram Stoker's Dracula
Winona Ryder und Sadie Frost in Bram Stoker’s Dracula © SonyPictures Entertainment

Vermeintliche Fehler wie die etwas ungelenke Exposition im Voice-Over ermöglichen die eigentliche Geschichte erst. Dass der Film seiner eigenen Welt nicht übermäßig viele Regeln auferlegt, etwas das ich an (Horror)-Filmen oft kritisieren, und doch wieder gerade genug um sie greifbar zu gestalten, ergibt hier eine umso schreckenerregendere Welt, da Draculas Macht genau dadurch, umso größer wird. Sein Charakter wirkt greifbar, doch seine Macht können wir nie so ganz verstehen, erst durch diesen Kniff kann sich der Schrecken in unserem Geist umso mehr entfalten. Da stört es auch nicht mehr, dass wir nie wirklich erfahren, warum der Graf die Londonder Grundstücke ursprünglich erwerben wollte. Bis zum brillant konstruierten Finale ist dies längst vergessen.

Blu-ray Wertung
9/10

Kurzfassung

Ein Meisterwerk in die Untiefen der Hölle auf Erden.

Fazit:

Mit Coppolas viertem Meisterwerk gelang ihm ein fiebriger Abstieg in die Untiefen der Hölle auf Erden. Noch lange wird mich die Wirkung dieses Ausflugs in einen lebendig gewordenen Albtraum nicht loslassen, und so lebt der Fluch Draculas in mir weiter, auch noch lange, nachdem ich ihn mit dieser Kritik an euch weitergeben kann. Denn mein Durst nach guten Vampir-Geschichten ist gerade erst geweckt worden. Es ist ein Durst, der mich lange nicht loslassen wird…


von Sebastian Stegbauer

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