Blue Bayou – Filmkritik

Blue Bayou - Alicia Vikander, Sydney Kowalske und Justin Chon
Blue Bayou - Alicia Vikander, Sydney Kowalske und Justin Chon © Focus Features

Die Kritik:

Antonio LeBlanc (Justin Chon) lebt mit seiner schwangeren Frau Kathy (Alicia Vikander) und ihrer Tochter Jessie (Sydney Kowalske) in New Orleans. Eine Bilderbuch-Familie sind die drei aber nicht, denn Jessie stammt aus Kathys voriger Beziehung mit Polizist Ace (Mark O’Brien), der sie sitzen gelassen hat und nun mit allen Mitteln versucht, seine Tochter gegen ihren und Kathys Willen zu sehen. Antonio hat eine kriminelle Vergangenheit als Motorraddieb hinter sich und schlägt sich nun als Tattoo-Künstler durch, während Kathys Gehalt als Reha-Schwester die junge Familie auch nur gerade so über Wasser hält. Das Glück der dreien ist also konstant fragil und wird schließlich nach einer folgenschweren Auseinandersetzung mit Ace und dessen Kollegen Denny (Emory Cohen) aus der Bahn geworfen…

Blue Bayou - Hauptplakat
Blue Bayou – Hauptplakat © 2021 Focus Features

„Blue Bayou“ macht auf ein interessantes wie selten beleuchtetes Thema aufmerksam: das Schicksal von adoptierten Menschen in den Vereinigten Staaten. Stellvertretend für das Schicksal vieler aus aller Welt in die USA eingewanderten Menschen steht Antonio, der mit drei Jahren aus Südkorea als Adoptivkind in die Staaten kam, durch die Hände verschiedener Adoptiveltern gereicht und missbraucht wurde und schließlich als mittellose Waise alleine zurückgelassen wurde. Nun ist er 36 Jahre alt, durch und durch Amerikaner, aber durch ein juristisches Schlupfloch in der US-Einwanderungspolitik mehr als bedroht, deportiert zu werden – ausgesetzt in ein Land, mit dem er außer seiner Herkunft nichts zu tun hat, in dem er nicht mal Kontakte geschweige denn eine Perspektive hätte.

Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Justin Chon, der selbst einst aus Südkorea in die USA emigrierte, brennt dieses Thema spürbar auf der Seele. Das ist „Blue Bayou“ in jeder Sekunde mit flammender Intensität anzumerken, was für den Film sowohl Fluch als auch Segen ist: Was ein herkömmliches, wenn auch dramaturgisch sehr zugespitztes Sozialdrama mit deutlicher Message sein könnte, wird von Chon in eine rohe wie intensive 16mm-Ästhetik verpackt, die dem Film einen ungewöhnlichen künstlerischen Anstrich verschafft. Bei den farbstarken und körnigen Bildern, die gelegentlich – und nicht nur in den eingestreuten Traum- bzw. Rückblendensequenzen – eine lyrische Qualität ausstrahlen, werden sogar manchmal Erinnerungen an das Frühwerk von Wong Kar-Wai wach. Doch wo Hong Kong-Ästhet Kar-Wai auf die Kraft und Poesie seiner Bilder vertraute, um Themen ambivalent zu vermitteln, setzt Chon auf brutale Holzhammermethoden und dick aufgetragenen Symbolismus.

Blue Bayou - Justin Chon
Blue Bayou – Justin Chon © Focus Features

Keine Frage, „Blue Bayou“ gestaltet sich grundsätzlich kraft- und schmerzvolles Dramakino mit ganz eigener Stimme, jedoch hätte ein wenig inszenatorische wie dramaturgische Zurückhaltung dem Film sehr gut getan. Chon überzeugt weitestgehend mit seiner Darstellung eines unmenschlichen, unbarmherzigen und unreflektiert bürokratischen Systems, das den Letzten in der Nahrungskette keine Chance lässt, ihren Weg selbstbestimmt zu gehen. Auch wenn Antonios Anwalt Barry (Vondie Curtis-Hall) durchaus empathisch und verständnisvoll daherkommt, verlangt er trotzdem seinen üblichen 5000 Dollar-Vorschuss, obwohl die Erfolgschancen verschwindend gering sind. Wäre Antonio nach 2000 adoptiert worden, sähe die Sache anders aus, jedoch sorgt besagtes Schlupfloch dafür, dass er vermutlich nicht in seiner Heimat bleiben darf. Dass er gerade ein Kind erwartet, spielt keine Rolle, Antonios Adoptiveltern hatten es schlicht versäumt, ihren Ziehsohn formal einbürgern zu lassen.

So wird der chronisch klamme Antonio förmlich dazu gezwungen, wieder kriminell zu werden und Motorräder für eine befreundete Bande zu stehlen. „Blue Bayou“ schaut nebenbei auch eindringlich auf das von Alltagsrassismus, aber auch Zusammenhalt geprägte Leben asiatischer Amerikaner und gönnt sich dafür einen recht unausgegorenen Subplot mit Antonios Freundschaft zu der sterbenskranken (!) Vietnamesin Parker (Linh Dan Pham). Man spürt, dass Antonio ein guter Kerl ist, der Gutes tun will, doch wo sich eine Chance auftut, bauen sich im Gegenzug wieder zehn Steine in seinen Weg. Dass er zu Kathy auch nicht immer ehrlich ist, sorgt dann noch für zusätzliches Konfliktpotential in einer ohnehin angespannten Beziehung, über die Kathys grimmige Mutter Dawn (Geraldine Singer) zu allem Übel drachenartig wacht. Dann drängt sich zudem immer wieder Ace in das Leben der beiden, obwohl Jessie Antonio als ihren Vater anerkennt und nichts mit ihrem Erzeuger zu tun haben möchte. Die Verzweiflung wächst, die Schlinge um Antonios Hals wird immer enger.

Blue Bayou - Alicia Vikander und Justin Chon
Blue Bayou – Alicia Vikander und Justin Chon © Focus Features

„Blue Bayou“ hat so also durchaus eine Sogwirkung, jedoch sind einige Plotentwicklungen auch spürbar konstruiert und zu deutlich auf weit hergeholten Zufällen basierend. Hier fehlt es dem Film an erzählerischer Eleganz, die durch teils zu plumpe Zuspitzung und eindimensionale Bösewichter unnötig an Kraft verliert. Besonders problematisch ist der insbesondere im Finale nahezu aggressive Musikeinsatz, der den Zuschauer förmlich zum Heulen zwingt und damit die zweifellos vorhandene Emotionalität erstickt und deutlich über das Ziel hinausschießt. Das ist schade, denn „Blue Bayou“ ist über weite Strecken in seiner rohen und ungeschminkten Herangehensweise bemerkenswert und oft auch wahrhaftig, jedoch verliert Chon bei den entscheidenden Momenten das Vertrauen in sein Material, das er bedeutungsschwanger überfrachtet und zu dick aufträgt. Dass sich dann seine teils etwas zu gekünstelte Ästhetik manchmal am Rande zum Prätentiösen bewegt, hilft hierbei auch nicht.

Dennoch, man muss Chon für seine leidenschaftliche und wagemutige Handschrift ebenso loben wie für seine noblen Intentionen, die sich definitiv mit Nachwirkung transportieren. Er macht hier auf ein Thema aufmerksam, das wohl nur den wenigsten bekannt und definitiv wert ist, näher und mit Nachdruck beleuchtet zu werden.

Filmwertung
6.5/10

Kurzfassung

Kraftvolles, rohes und ungeschminktes Sozial-Melodram.

Fazit:

„Blue Bayou“ ist im Kern ein kraftvolles, rohes und ungeschminktes Sozial-Melodram in außergewöhnlicher 16mm-Ästhetik mit wichtiger wie augenöffnender Botschaft. Autor, Regisseur und Hauptdarsteller gelingt hier ein interessanter Film voller guter Ansätze, die jedoch teilweise von der etwas zu offensichtlich konstruierten Erzählung und dramaturgisch zu kalkulierten Holzhammer-Methoden erstickt werden. Dennoch, Chon ist eine vielversprechende neue Stimme im US-Independentkino, die man im Blick haben sollte.


von Florian Hoffmann

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