Air – Der große Wurf: Erstklassiger Hollywood-Film alter Schule

Air - Artwork
Air - Artwork © Warner Bros.

Die Kritik:

Mit über fünf Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2022 bleibt Air Jordan eine der bekanntesten und ertragreichsten Marken der Welt, wobei Michael Jordan in besagtem Jahr alleine 150 Millionen Dollar und damit fast doppelt so viel Geld wie in seiner gesamten NBA-Karriere einnahm. Die abenteuerliche Erfolgsgeschichte hinter der ikonischen Marke mit dem Jumpman-Logo findet ihren Ursprung im Jahr 1984 bei ein paar wenigen Männern, die das damals schwächelnde Geschäft des in Oregon sitzenden Sportartikelherstellers Nike mit visionärem Weitblick und vor allem jeder Menge Mut in ungeahnte Sphären katapultierten. Diese mitreißende und hochgradig unterhaltsame Geschichte erzählt Ben Affleck in seinem neuen Film „Air“, der sich zu den ersten Oscar-Kandidaten des Jahres zählen dürfte.

Im Mittelpunkt des Films steht Nike Marketing-Manager und Talentscout Sonny Vaccaro (Matt Damon), der wie jedes Jahr seinem Arbeitgeber dabei helfen soll, vielversprechende Basketball-Talente mit Schuhdeals auszustatten. Zu diesem Zeitpunkt spielt Nike aber nicht ganz vorne mit, andere Ausstatter wie Converse und Adidas haben in dem umkämpften Business die Nase vorn, weshalb die Basketball-Division bei dem Unternehmen sogar kurz vor dem Aus steht. Aus einem Geistesblitz heraus ist Vaccaro davon überzeugt, alles auf eine Karte zu setzen: Das komplette Jahresbudget soll nicht auf mehrere Athleten verteilt, sondern auf einen einzigen 21-jährigen Rookie gesetzt werden, der sein letztes College-Jahr übersprungen hat, um bei den Chicago Bulls zu spielen – Michael Jordan. Wird Vaccaros wahnwitziger und hochriskanter Plan zunächst von Nike-Boss Phil Knight (Ben Affleck) und Marketing-Chef Rob Strasser (Jason Bateman) noch als ebensolcher abgetan, ziehen die Männer bald in der „Make or Break“-Talent-Akquise an einem Strang. Geht der Plan schief, Adidas-Befürworter Jordan für die Marke Nike zu begeistern, könnte die Zukunft des gesamten Unternehmens auf der Kippe stehen.

Ben Affleck hat sich in der Vergangenheit mit seinen vielfach ausgezeichneten Filmen „Gone Baby Gone“, „The Town“ und „Argo“ als herausragend effizienter filmischer Geschichtenerzähler entpuppt. War sein ambitionierter Gangsterfilm „Live by Night“ noch ein nobler Fehlschlag, zeigt er sich mit „Air“ wieder in enorm gut aufgelegter Form: Er präsentiert diese Underdog-Geschichte enorm temporeich, spritzig, kurzweilig, humorvoll, herzlich und einsichtsreich, während er mit starker Figurenzeichnung und fantastischen Schlagabtäuschen oft herausragende Akzente setzt.

Man kennt natürlich den Ausgang der Geschichte und wer die herausragende Netflix-Dokureihe „The Last Dance“ kennt, der weiß auch um die Genese der Air Jordan-Marke Bescheid. Dennoch ist diese Story einfach zu gut, um sie nicht auch in filmischer Form aufleben zu lassen. Matt Damon ist der gewohnt zuverlässige Sympathieträger, der mit lässiger Selbstverständlichkeit, zugänglichem Jedermann-Charme, Polo-Shirts und kleiner Plautze den Film mit mühelosem Star-Charisma auf seinen Schultern trägt. Er ist das Zentrum von „Air“, um das sich diverse farbenfrohe und erinnerungswürdige Charaktere bewegen. Wesentlich sind hier der leicht exzentrische Nike-Gründer Phil Knight, der in einer herausragend trockenen und humorvollen Performance von Affleck selbst dargestellt wird. Wie es ihm gelingt, in seinem eigenen Film jede Szene zu stehlen, hat schon was.

Es ist ein Genuss, den Schlagabtäuschen der Figuren zu lauschen und zuzusehen. Alex Converys gefeiertes Black List-Drehbuch liefert hier zahlreiche wunderbar geistreiche Dialoge, die von sämtlichen Akteuren mit großer Spielfreude lustvoll aufgegriffen werden. Dazu zählen Jason Bateman (dessen Figur tatsächlich noch viel aktiver war als hier dargestellt) ebenso wie der fantastische Chris Messina, der als Jordans großspuriger und aggressiver Sportagent im einen Moment Kontrahent und im nächsten wieder Mitspieler von Vaccaro ist. Die zahlreichen Telefongespräche zwischen beiden bilden einige der Highlights von „Air“ und haben vielleicht sogar Kultpotential. Schön ist es auch Chris Tucker in der schlagfertigen Rolle von Vaccaros Marketing-Kollege Howard White nach sieben Jahren Leinwand-Abstinenz wiederzusehen, bei der es ihm gelingt, in jeder Szene mit seiner unnachahmlichen Art Akzente zu setzen.

Einen wesentlichen Anteil von Vaccaros Überzeugungskünsten nimmt der Gewinn von Jordans Eltern ein. Wohl jetzt schon die größten Oscar-Chancen kann sich erneut Viola Davis als Alpha-Mutter Deloris Jordan ausrechnen, die ihre Rolle mit mütterlicher Wärme, aber auch ebenso großer Bestimmtheit und Geschäftssinn ausstattet. Betritt sie den Raum und beginnt zu sprechen, ist es Davis enorm ruhevoller Präsenz zu verdanken, dass sie die gesamte Aufmerksamkeit aller Anwesenden genießt. Ein weiterer Scene-Stealer wäre dann noch Matthew Maher, der das spleenige wie liebenswürdige Nike-Design-Genie Peter Moore verkörpert. Überhaupt ist es erstaunlich spannend zu beobachten, wie denn eben dieser so berühmte Schuh, der Air Jordan 1, erschaffen wurde.

Es ist Ben Affleck hoch anzurechnen, wie mühelos luftig-leicht sich dieser Film abspielt. Hier gibt es keine Sekunde Langeweile, jede Szene bietet ihre Höhepunkte und trägt sich sowohl selbst als auch als Baustein im narrativen Gesamtkonzept – „Air“ macht einfach herrlich gut aufgelegten Spaß. Dazu tragen auch der aus allen Nähten berstende und manchmal etwas zu dick aufgetragene Mitt-Achtziger-Jukebox-Soundtrack sowie das enorm starke und liebevoll detailreich eingefangene 80er Jahre-Flair einen großen Teil bei. Dass Kamera-Virtuose Robert Richardson auch optisch alles dran setzt, den Film so aussehen zu lassen, als entspringe er dem Jahr 1984, hilft ungemein.

So unterhaltsam und rund der Film dann aber auch daherkommt, fehlt es ihm letzten Endes jedoch eine Spur an echtem Konflikt und dramaturgischen Reizen. Über das Privatleben der Figuren erfährt man quasi nichts, der komplette Fokus liegt ungewöhnlicherweise auf dem geschäftlichen und zwischenmenschlichen Part. Insbesondere gegen Ende mutet der Film dann immer mehr wie ein etwas glatt gebügelter Werbefilm für Nike, die Jordans und ihre Marke an, bei dem man das Gefühl hat, das alle unbequemen Elemente bewusst abgeschliffen wurden. Das hinterlässt dann zwar einen leicht faden Beigeschmack, dennoch ist „Air“ ein erstklassiger Hollywood-Film alter Schule, der es genau versteht, dem Zuschauer eine gute Zeit zu bescheren.

Filmwertung
8/10

Kurzfassung

Eine mitreißende, temporeiche und schlagfertige Underdog-Geschichte.

Fazit:

Auch wenn Ben Afflecks neuer Regiearbeit letztlich etwas mehr Konflikt und weniger Oberflächlichkeit gut getan hätten, ist hier eine ungemein gut geölte und mitreißend erzählte wie inszenierte Underdog-Geschichte zu bewundern. Temporeiche Inszenierung, schlagfertige Dialoge, exzellente Figurenzeichnung, ein stark aufgelegter Cast sowie viel 80er Jahre-Flair machen aus „Air“ beste Unterhaltung.


von Florian Hoffmann

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. (Kommentar wird erst geprüft)


*