A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani – Filmkritik

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Rahim (Amir Jadidi)
A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Rahim (Amir Jadidi)© Neue Visionen Filmverleih

Die Kritik:

Nach seinem polarisierenden Ausflug ins mit Javier Bardem und Penélope Cruz starbesetzte spanische Kino (“Offenes Geheimnis“) kehrt der gefeierte iranische Oscar-Preisträger Asghar Farhadi mit „A Hero“ in seine Heimat zurück. Und wieder beweist sich Farhadi als meisterhafter Beobachter scheinbarer Alltagsbanalität, die er in völlig unaufdringliche, aber hochwirkungsvolle und moralisch aufgeladene dramaturgische Konstrukte verwebt. Erneut kommen Farhadis Lieblingsthemen Schuld, Sühne, Ehre und Familie überdeutlich zum Vorschein, was dem Genuss dieses feinen Films trotz gewisser Vertrautheit keinen Abbruch macht. Tatsächlich entpuppt sich der subtil packende und still berührende „A Hero“ möglicherweise sogar als Farhadis stimmigster und bester Film seit seinem Oscar-Triumph „Nader und Simin“.

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Filmplakat
A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Filmplakat © Neue Visionen Filmverleih

Rahim (Amir Jadidi) ist im Gefängnis. Sein Vergehen: er konnte Schulden an Bahram (Mohsen Tanabandeh) nicht zurückzahlen. Nun hat er für zwei Tage Freigang, die er nutzen möchte, um seine Schulden irgendwie zu tilgen. Gelingt es ihm, die Summe von 150 Millionen Rial (umgerechnet 3.000 €) aufzutreiben, muss er seine Strafe nicht weiter verbüßen. Der Schlüssel zum Erfolg könnte eine Handtasche voller Goldmünzen sein, die seine Freundin Farkhondeh (Sahar Goldust) gefunden hat. Mit dem Verkauf der Münzen und dem Ende seiner Haftstrafe könnte er sie endlich heiraten und ein friedliches Leben führen. Doch Rahims gewissenhafte Entscheidung, die Tasche seiner Besitzerin zu übergeben, stellt sich als fatal heraus…

Es ist faszinierend zu beobachten, wie Farhadi erneut aus so etwas scheinbar Profanem wie dem Fund einer Handtasche derartig explosives dramaturgisches Potential schöpfen kann. In gewohnt unaufgeregtem und nahezu dokumentarischem Stil ohne jede Filmmusik beobachtet Farhadi mit chirurgisch fokussierter Präzision und zutiefst menschlichem Blick den Alltag seiner Figuren. Mit größtem Naturalismus wird man für zwei Stunden zum Beobachter des Lebens einfacher iranischer Menschen, jedoch liegt Farhadis Klasse darin, ein aufgeladenes dramaturgisches Szenario zu schaffen, das allgemeingültig und wahrhaftig ist. Farhadi ist Meister darin, das Große im Kleinen zu finden, scheinbare Nebensächlichkeiten zu einem hochpotenten und komplexen dramatischen Katalysator zu machen.

Wie gewohnt, legt der iranische Ausnahmeregisseur die Hintergründe seiner Figuren geduldig zwiebelartig nach und nach offen. So ist es für den Zuschauer sehr interessant, insbesondere die Hauptfigur Rahim kennenzulernen und durchschauen zu wollen. Jede Geste, jede kleine Gesichtsregung und jede Verhaltensweise sagt etwas über Rahim aus, der eigentlich ein ehrbarer Mann sein will, aber kontinuierlich falsche Entscheidungen trifft, die dafür sorgen, dass er sich in einem immer größer werdenden Schlamassel verstrickt.

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Opa, Sohn, Vater
A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Opa, Sohn, Vater © Neue Visionen Filmverleih

Amir Jadidis freundlicher und treuer Blick, sein dauerndes Lächeln sowie seine weiche und ruhige Stimme machen ihn direkt zu einem offensichtlichen Sympathieträger, jedoch sieht man seinen Augen auch immer an, dass er etwas verbirgt und immer nur ein Stück der Wahrheit preisgibt. So möchte man ihm eigentlich immer das Beste wünschen, doch uneingeschränktes Vertrauen kann man ihm auch als Zuschauer nicht schenken. Nutzt er seine bemitleidenswerte Erscheinung nur geschickt opportunistisch oder ist er tatsächlich ein bedauernswerter netter Kerl, der es nur allen Recht machen will? Gibt es darauf überhaupt eine einfache Antwort? Wie dem auch sei, Jadidi liefert eine wahre Masterclass im Understatement.

Selbst sein scheinbarer Antagonist Bahram entpuppt sich als dreidimensionale Figur, deren Motivation und Handeln völlig nachvollziehbar erscheint. Durch diese präzise und sehr menschliche Beobachtung sowie Farhadis dramaturgisches Gespür bleibt „A Hero“ in seiner eigentlich entschleunigten und zurückhaltend inszenierten Machart konstant spannend und unberechenbar. Was ist richtig, was ist falsch? Ständig muss man sich als Zuschauer selbst hinterfragen, welche moralischen Entscheidungen man in den Schuhen der Charaktere treffen würde.

Wie der Titel andeutet, ist „A Hero“ sowohl zutiefst humane und komplexe Charakterstudie eines einfachen Mannes als auch Dekonstruktion des Heldenbildes und damit eindrückliche wie intelligente Gesellschaftskritik. Durch Rahims scheinbar große und selbstlose Geste der Rückgabe der Handtasche wird er von einer wankelmütigen Gesellschaft in Windeseile zum Helden hochstilisiert, ohne dass er es selbst beeinflussen kann. Doch Farhadi macht unmissverständlich deutlich wie fragil dieser Status ist, wie aus Verehrung aus scheinbar moralisch höhergestellten Gründen im Handumdrehen Verachtung werden kann. So wird eindrücklich geschildert, wie das Individuum in einer unnachgiebigen Gesellschaft im einen Moment getragen und im nächsten bespuckt und zerstört wird.

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani
A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani: Ein guter Mensch: Rahim (Amir Jadidi) möchte vor allem das Richtige tun. © Neue Visionen Filmverleih

Sowohl in seinem Portrait des Helden als auch der Gesellschaft beweist sich Farhadi erneut als Meister im Offenbaren von Grauzonen und dem geschickten Umgehen von Stereotypen. Bewundernswert ist auch der Verzicht auf einfache Antworten, die den Zuschauer am Ende im selben Schwebezustand wie seine Figuren lässt. Farhadi kennt kein objektiv moralisch sinnvolles oder richtiges Handeln, er beobachtet nur genau und erweist sich erneut als größtmöglich empathischer und humanistischer Filmemacher.

Zuviel über den Handlungsverlauf von „A Hero“ zu verraten, würde dem Film Unrecht tun und dem Genuss des Zuschauers abträglich sein. Auch dieser Film von Asghar Farhadi erweist sich wenig überraschend als sehr anspruchsvoll und erwachsen, weshalb man sich unbedingt voll und ganz auf ihn einlassen muss. Farhadi läuft jedoch immer einen schmalen Grat, gerade so in seiner langsamen und naturalistischen Beobachtung des tristen Alltags einfacher Menschen nicht langweilig zu werden, was jedoch sicher nicht für jeden funktioniert. Wer sich jedoch von „A Hero“ einnehmen lässt, wird es nicht bereuen und einen subtil kraftvollen Film mit Tiefgang und Nachwirkung erleben.

Filmwertung
8.5/10

Kurzfassung

Zutiefst menschliche Charakterstudie über einen einfachen Mann.

Fazit:

Mit „A Hero“ setzt Asghar Farhadi konsequent seine Serie von meisterhaft subtil wie profund beobachteten und dramaturgisch ausgetüftelten Dramen weiter. Seine zutiefst menschliche Charakterstudie über einen einfachen Mann, der einfach nicht die richtigen Entscheidungen treffen kann und sich immer weiter ins Schlamassel reitet, ist außergewöhnlich intelligentes Kino mit Anspruch, das lange nachwirkt.


von Florian Hoffmann

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