The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht: Blu-ray Kritik zur HBO Miniserie

The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht - John Stone (John Turturro)
The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht - John Stone (John Turturro) © Warner Bros. Entertainment Inc.

Die Kritik:

HBO, die die letzten Jahre mit Serien wie „Game of Thrones“, „Westworld“, „True Detective“ oder „The Leftovers“ einige der Höhepunkte in der aktuellen Serien-Hochzeit verzeichnen konnten, begeisterten letztes Jahr mit „The Night Of“ mit einer weiteren bemerkenswerten Premium-Produktion auf höchstem Niveau.

The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht: Blu-ray Cover
The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht: Blu-ray Cover – © Warner Bros. Entertainment Inc.

Die achtteilige Miniserie ist ein amerikanisiertes Remake der ersten Staffel der britischen TV-Serie „Criminal Justice“ und bietet nicht nur sehr packende und visuell brillante Unterhaltung, sondern auch eine inhaltlich wie moralisch komplexe und ambivalente Erforschung des kompletten amerikanischen Justizsystems. Federführend bei der kompletten Serie, die im Grunde wie ein sehr langer Spielfilm aufgebaut ist, war der Oscar-nominierte Schriftsteller und Drehbuchautor Richard Price („Die Farbe des Geldes“, „Clockers“, „Kopfgeld“), während Oscar-Gewinner Steven Zaillian (Drehbücher für „Schindlers Liste“, „Verblendung“ und „American Gangster“) die Regie bei sieben von acht Folgen übernahm. „The Night Of“ funktioniert wie ein guter Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen will, bis man zum Schluss angelangt ist.

„The Beach“, der Pilotfilm der Serie, gehört mitunter wohl zum Besten, was man überhaupt, unabhängig ob Film oder TV, in den letzten zwölf Monaten bewundern konnte. Am besten ist es wohl, überhaupt nichts über die Serie zu wissen, hier dennoch eine Zusammenfassung der Serien-Prämisse: „The Night Of“ spielt im New York City der Gegenwart, wo sich der schüchterne halb-pakistanische College-Student Nasir „Naz“ Khan (Riz Ahmed) in eine verhängnisvolle Nacht begibt, die sein Leben einschneidend verändern wird. Um von Queens zu einer Party in Manhattan zu gelangen, nimmt er ohne Erlaubnis seines Vaters dessen Taxi, in das die junge Frau Andrea Cornish (Sofia Black D’Elia) steigt. Einem Impuls folgend, klärt er sie nicht über das Missverständnis auf und fährt mit der aufgewühlt wirkenden Frau los. Nach einer drogen- und alkoholreichen Nacht haben die Beiden Sex. Als Naz wieder in Andreas imposantem Stadthaus aufwacht, findet er die junge Frau nackt und mit 22 Messerstichen übersät in einem schrecklichen Blutbad wieder. Naz packt die Panik und anstatt die Polizei zu verständigen, flüchtet er, während er von einem Nachbarn beobachtet wird. Zu allem Unglück wird er wenig später von der Polizei angehalten, denen nicht die Alkoholfahne entgeht, die aus Naz Taxi hervorsteigt. Die beiden Beamten nehmen Naz in ihrem Streifenwagen mit, als sie ausgerechnet zum gerade entdeckten Tatort gerufen werden. Erst auf der Polizeistation angekommen, wird klar, dass die Polizei in einer Fügung des Schicksals ihren Hauptverdächtigten im Mordfall von Andrea Cornish auf dem Servierteller präsentiert bekommen.

The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht
The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht – © Warner Bros. Entertainment Inc.

Die Beweislage gegen Naz ist erdrückend, alles spricht dafür, dass er derjenige ist, der diesen grausamen Mord begangen hat – inklusive des blutigen Messers, das man in seiner Jacke gefunden hat. Durch Zufall entdeckt der Strafverteidiger John Stone (John Turturro) den unscheinbaren Naz in der U-Haft-Zelle des Polizeireviers sitzen und entscheidet sich spontan dafür, den jungen Mann als seinen Klienten anzunehmen.

Der 78-minütige Pilot von „The Night Of“ könnte nicht packender erzählt und inszeniert sein. Zunächst werden die Hintergründe von Naz etabliert, dann folgt Zaillian minutiös den Ereignissen dieser verhängnisvollen Nacht: Jede Überwachungskamera, die Naz auf dem Weg passiert, jede kleine, noch so unscheinbare Begegnung mit Fremden ist Teil dieses ominösen Mosaiks. Was zunächst wie bedeutungslose Kleinigkeiten erscheint, erhält durch die Inszenierung eine bedeutungsschwere Dimension, bevor überhaupt irgendetwas passiert ist. Man begibt sich hierbei auch in die Fußstapfen dieses unscheinbaren und introvertierten Jedermanns, der eigentlich noch nie viel mit Frauen zu tun hatte und plötzlich in ein aufregendes, traumartiges, glückerfülltes Abenteuer stolpert, das sich völlig unverhofft in seinen schlimmsten Albtraum verwandelt. Ebenso fühlt man sich als Zuschauer in diesem Albtraum gefangen, man fragt sich selbst, wie man aus dieser scheinbar ausweglosen Situation herauskommen kann. Wie bereits erwähnt, ist Zaillians Regie überaus detailverliebt, die Figuren machen allesamt einen hochindividualisierten und eingelebten Eindruck, ein großes Gefühl für Authentizität, gerade was Polizeiarbeit betrifft, wird erweckt.

The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht - John Turturro
The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht – John Turturro © Warner Bros. Entertainment Inc.

Zaillian hat schon in dem unterschätzten Justiz-Thriller „Zivilprozess“ ein großartiges Händchen für Prozedere, Details, Figuren und nüchtern beobachtete Authentizität bewiesen, die er aber zudem mit einer herausragenden menschlichen Beobachtungsgabe und Empathie garniert hat. Eben diese Qualitäten kommen auch bei „The Night Of“ zum Vorschein, bei der jedes Wort, jede noch so kleine Geste Gewicht haben. Das ist faszinierend anzusehen, angefangen bei der Polizeiarbeit einfacher Streifenbeamten bis zum alteingesessenen Detective Dennis Box, der für den Mordfall zuständig ist. Box steht kurz vor seiner Rente, dieser Fall soll sein letzter sein. Was in anderen Händen zum Klischee verkommen könnte, atmet hier ganz großes Leben, man glaubt diesen Figuren, spürt die Lebens- und Berufserfahrung, die Professionalität, die sie mit sich tragen. Die präzise beobachteten Szenen zwischen Detective Box und Naz, die sich anders abspielen, als man es wohl erwarten würde, gehören mit zu den stärksten Momenten in „The Beach“, aber auch den folgenden Episoden.

„The Night Of“ knöpft sich einsichtsreich und komplex das US-amerikanische Justizsystem von unten bis oben vor, beginnend mit der Arbeit der Polizei bis zur Arbeit eines Strafverteidigers in Form von John Stone zu weiteren Figuren des Rechtsapparats, etwa in Form der Staatsanwältin Helen Weiss (Jeannie Berlin) oder der hochprofilierten Anwältin Alison Crowe (Glenne Headly), die für kurze Zeit die Verteidigung von Naz pro bono übernimmt. In den acht Episoden kommt es zu ständigen Perspektivwechseln, da wäre die Ermittlungsarbeit von Box, aber auch die intensiven Nachforschungen der Anwälte. Ein wesentlicher Teil der Miniserie ist Naz Aufenthalt im Gefängnis auf Rikers Island. Hier wird nochmal ein ganz eigener Mikrokosmos beleuchtet, ein eng geflochtenes Gefüge, in dem man nur überleben kann, wenn man mächtige Unterstützer hat – gerade im Fall von Naz, dessen mutmaßlicher Mord an einer jungen unschuldigen Frau selbst im Gefängnis alles andere als gut ankommt. Diesen Unterstützer findet Naz schließlich in Freddy Knight (Michael K. Williams), der den jungen Sträfling unter seine Fittiche nimmt. Hier beginnt die Transformation des unscheinbaren Nerds Naz, der sich mit seinem neuen Umfeld assimiliert und sich zunehmend von seinem alten Ich zu entfernen droht.

The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht - Andrea Cornish (Sofia Black D’Elia)
The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht – Andrea Cornish (Sofia Black D’Elia) © Warner Bros. Entertainment Inc.

Als wahre Hauptfigur von „The Night Of“ entpuppt sich aber schließlich John Stone, dessen Leiden an allergischen Ekzemen und seine Beziehung zu der Andreas Katze, die er aus ihrem Haus gerettet hat, obwohl er schwer gegen sie allergisch ist, immer wieder kehrende allegorische Motive der Serie sind. Stone ist eine einsame, unglückselige, aber gewiefte Figur, die sich seit Jahren durch New Yorks Justizsystem schlängelt und Aufträge sonst als Fließbandware abarbeitet. Mit dem Fall von Naz transformiert auch er sich und es ist eine der großen Freuden dieser Serie, seiner facettenreichem Entwicklung beizuwohnen. Der immer gern gesehene Charakterdarsteller-Routinier John Turturro kriegt hier vermutlich die Rolle seines Lebens geschenkt, die er in unglücklichen Umständen von seinem leider verstorbenen Freund James Gandolfini übernommen hat, nachdem dieser vor ein paar Jahren bereits den Piloten abgedreht hatte. Überhaupt ist „The Night Of“ eine Meisterklasse in präzisem Schauspiel, bei der jede noch so kleine Rolle zu glänzen weiß. Neben Turturro ist es gerade Riz Ahmed, der hier begeistert – von ihm wird man sicher noch viel Großes zu sehen bekommen. Aber auch solche Charakterköpfe wie Michael K. Williams, Bill Camp oder Jeannie Berlin begeistern in ihren nuancierten Parts.

„The Night Of“ ist unzweifelhaft starker Stoff, der alles repräsentiert, was Qualitätsfernsehen momentan ausmacht. Tatsächlich wirkt die Serie auch betont filmisch, die düstere, kühle Atmosphäre ist überaus dicht, die oft ungewöhnlichen Bildkompositionen und Nahaufnahmen mit geringer Tiefenschärfe sorgen für einen faszinierenden Look. Das ist unter anderem Oscar-Preisträger und Kamerakünstler Robert Elswit („Magnolia“, „There Will Be Blood“, „Nightcrawler“) zu verdanken, der den eindrucksvollen, aber nie ansatzweise aufdringlichen Look der Serie mit seiner Arbeit im Pilotfilm etabliert. Diese Ästhetik wird nicht minder stark von Igor Martinovic und Frederick Elmes fortgesetzt.

The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht - Nasir „Naz“ Khan (Riz Ahmed)
The Night Of: Die Wahrheit einer Nacht – Nasir „Naz“ Khan (Riz Ahmed) © Warner Bros. Entertainment Inc.

Auf dem Papier mag „The Night Of“ wie etwas zu wirken, was man schon häufig zu Gesicht bekommen hat, umso erfreulicher ist es dann, mit welcher Komplexität und Tiefe diese ganz starke Miniserie ausgestattet ist. Hier ist eben nicht nur ein spannender „Whodunit“ zu bewundern, bei der es um die Schuldfrage geht, sondern auch ein Kaleidoskop unterschiedlichster Charaktere und eines Amerika, das immer noch durch einen tiefsitzenden Rassismus getrennt wird, was sich eben in Naz wiederspiegelt, der laut Stone „so amerikanisch wie Baseball“ ist, aber trotzdem immer wieder aufgrund seines Aussehens vorverurteilt wird. So geht es hier mehr um die Momente, die zwischen den Zeilen stehen als um die simple Beantwortung komplexer Fragen. Dieser Vorgabe wird schließlich bis zu dem ambivalenten und symbolhaltigen Schluss der Serie gefolgt, wodurch „The Night Of“ stärker nachwirkt, als man es wohl zunächst erwarten würde.

Bild:

Der eindrucksvolle Look von „The Night Of“ ist konsequent düster gehalten. Entsprechend ragen hier vor allem hervorragende Kontrast- und Schwarzwerte hervor, die gepaart mit exzellenten Schärfe- und Detaillevels für ein sehr knackiges und intensives Bildgefühl sorgen. Hier lässt sich schlichtweg sehr wenig bemängeln, lediglich minimale Kompressionsprobleme und leichtes Rauschen in wenigen dunklen Stellen trüben eine nahezu perfekte Bildpräsentation.

Ton:

Auf sehr hohem Niveau bewegt sich auch die akustische Umsetzung der Blu-ray. „The Night Of“ ist zwar primär dialogbasiertes, dennoch erweist sich die Akustik in den entsprechenden Momenten sowohl dynamisch als auch druckvoll. Darüber hinaus erfreuen auch immer wieder sehr differenzierte atmosphärische Geräusche, die sich ebenso wie Musik auf den Surround-Lautsprechern verteilen.

Extras:

Getrübt wird dieses hervorragende Gesamtpaket dann schließlich durch die gähnende Leere beim Bonusmaterial. Gerade in Zeiten von Streaming-Diensten könnte man erwarten, dass physische Medien um einen Mehrwert in Form von exklusivem Zusatzmaterial bemüht sind. Immerhin gibt es jedoch zu jeder Folge eine kurze optionale Zusammenfassung der vorigen Episode.

Blu-ray Wertung
  • 9/10
    Serie - 9.0/10
  • 9/10
    Bild - 9.0/10
  • 9/10
    Ton - 9.0/10
  • 0/10
    Extras - 0.0/10
8/10

Kurzfassung

„The Night Of“ ist exzellent und minutiös beobachtetes Premium-Drama auf sehr hohem Niveau, das von der ersten bis zur letzten Sekunde mit facettenreich beobachteten Charakteren und thematischer Komplexität fasziniert.

Fazit:

In „The Night Of“ geht es mehr um das Aufwerfen komplexer Fragen als um das Finden einfacher und bequemer Antworten. Hier wird präzise und nuanciert das amerikanische Justizsystem untersucht, aber auch ein komplexes Portrait des gegenwärtigen Amerika gesponnen, während ein hochspannendes menschliches Drama erzählt wird.


von Florian Hoffmann

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