Systemsprenger – DVD Kritik: ein Meisterwerk

Helena Zengel in Systemsprenger
Helena Zengel in Systemsprenger © Port au Prince

Die Kritik:

Systemsprenger DVD Cover
Systemsprenger DVD Cover © Port au Prince

Der nicht einfach nur wichtigste, sondern wohl auch beste deutsche Film des Jahres 2019 erwartet uns am kommenden Donnerstag, den 27.02.2020, auf Blu-ray und DVD. Der diesjährige deutsche Oscar-Beitrag, der an Härte kaum zu überbieten ist, erzählt die Geschichte der neunjährigen Benni, die aufgrund ihres aggressiven und unberechenbaren Verhaltens von Pflegefamilien über Kinderheime, bis hin zur Psychiatrie geschickt wird. Doch obwohl es an hilfsbereiten Wegbegleitern nicht mangelt, scheint keiner der Aufgabe gewachsen, Benni eine dauerhafte Familie zu bieten. Zu impulsiv und unkontrolliert sind die ständigen Wutausbrüche der „Systemsprengerin“. Der Anti-Aggressions-Trainer Micha schlägt als womöglich letzten Ausweg einen Isolationsaufenthalt der beiden in einer Hütte mitten im Wald vor. Benni möchte jedoch nur Eines: Zurück zur Mutter. Dass eben jene mit der Situation völlig überfordert ist, vermag keiner der Neunjährigen zu erklären.

Es ist kaum zu glauben, mit was für einer Wucht der erste Spielfilm der Regisseurin Nora Fingscheidt einschlägt. Von der ersten Minute an fesselt dieser den Zuschauer mit seiner unbarmherzigen Grausamkeit und lässt diesen auch nicht wieder los. Diese Grausamkeit aber rührt schlicht und einfach daher, dass es solche Fälle wie die der Protagonisten tatsächlich, im realen Leben hier in Deutschland gibt. Fingscheidt versucht nichts weiter, als die Zuschauer aufzuwecken, indem sie uns vor die (für die meisten) unvorstellbare Situation stellt, ohne Eltern, ohne Heimat, ohne Bindung und ohne Liebe aufzuwachsen. Wie kann man es einem Kind, das solch eine Kindheit erlebte, verübeln, zu handeln wie es eben handelt? Was tut man, wenn ein Kind wie Benni einfach nicht in das „System“ passt? Fingscheidt zeigt gnadenlos die Extremsituation eines solchen Falles. Dieser Film kann als Aufruf verstanden werden, jenes System zu revolutionieren und anzupassen. Es ist unglaublich herzzerreißend zu sehen, wie die vielen wohlgesonnenen und liebevollen Erzieher, Vormünder, Aufsichtspersonen und Lebensbegleiter Bennis es aufgrund der Vorschriften nicht vermögen, ihr das zu bieten, was sie verdient hat: Ein Zuhause mit mütterlicher Liebe.

Albrecht Schuch in Systemsprenger
Albrecht Schuch in Systemsprenger © Port au Prince

Neben dem großartigen Drehbuch und der tollen Regie glänzen vor allem die Darsteller des Films. Die clevere Idee, für die meisten Rollen eher unbekannte Schauspieler zu engagieren, lässt den Zuschauer manchmal fast vergessen, dass man gerade einen Spielfilm schaut. Man verliert sich so völlig im Geschehen und fühlt sich als Teil der Handlung um Benni. Helena Zengel verkörpert das Pflegekind mit all seinen Aggressionen und Ticks so dermaßen brillant, dass sie völlig zurecht mit namenhaften Preisen und Nominierungen wie für den Europäischen Filmpreis als beste Darstellerin geehrt wurde. Keine Überraschung also, dass sie 2021 in dem Hollywood-Western „News of the World“ neben Schauspiel-Legende zu sehen sein wird. Neben ihr glänzen vorallem auch Albrecht Schuch als Anti-Aggressions-Trainer Micha und Gabriela Maria Schmeide als Bennis Verantwortliche vom Jugendamt, Frau Bafané, die es schafft, in nur einer einzigen Szene, in welcher sie Benni eine schlimme Nachricht überbringen muss, wohl so ziemlich jeden Zuschauer zum Weinen zu bringen. Eine solch mitreißende Szene gab es im deutschen Kino lange nicht mehr.

Benni (Helena Zengel) in Systemsprenger
Benni (Helena Zengel) in Systemsprenger © Port au Prince

Der deutsche Film hat seit Jahrzehnten mit dem Vorurteil zu kämpfen, nur schlechte Komödien oder schnulzige Romanzen hervorzubringen. Doch gerade das vergangene Jahrzehnt hat gezeigt, das hierzulande auch großartige, mitreißende Dramen produziert werden können. Ob „Victoria“, „Aus dem Nichts“ oder „Toni Erdmann“: Eine neue Ära des deutschen Kinos scheint eingetreten zu sein. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte man nun mit „Systemsprenger“, der ohne Frage einer der traurigsten, herzzerreißendsten und beklemmensten, aber auch besten Filme der letzten Jahre ist und das sogar im internationalen Vergleich.

Bild:

Als eine der wenigen Schwächen des ganzen Films muss die Kameraarbeit gesehen werden. Oft unnötig wackelnde Aufnahmen lenken die Aufmerksamkeit vom Geschehen ab, in dem dieses unübersichtlich wird. Positiv ist zu vermerken, dass die Kamera immer nah am Geschehen bleibt und auf Großaufnahmen verzichtet, was die Beklemmung des Films unterstützt.

Ton:

Auch wenn der Film natürlich keine technische Meisterleistung ist (oder sein will), bleibt er auch beim Ton dem Standard treu. Ohne besondere Sound-Effekte fällt der Ton weder besonders positiv noch negativ auf.

Extras:

Die bei den Extras enthaltenen Interviews mit Cast & Crew könnten als störend empfunden werden, wenn man den Film eher als reine Erfahrung betrachten möchte.

DVD Wertung
  • 9/10
    Film - 9/10
  • 7/10
    Bild - 7/10
  • 7/10
    Ton - 7/10
  • 6/10
    Extras - 6/10
8/10

Kurzfassung

Ein Meilenstein für das deutsche Kino.

Fazit:

„Systemsprenger“ ist ein Meisterwerk, das fassungslos, wütend und traurig zugleich macht. Großartige Schauspieler, tolle Regie und ein einzigartiges Drehbuch ergeben einen Meilenstein für das deutsche Kino. Ein paar Minuten weniger Laufzeit und eine öfter ruhige Kamera hätten vielleicht noch verhindert, dass der Film zwischenzeitlich für ein paar Szenen an eine Dokumentation erinnert. Nichtsdestotrotz ein Ausnahmefilm.


von Tavius Audersch

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