Seefeuer – Blu-ray Kritik: Lampedusa und die Flüchtlinge

Seefeuer Flüchtling
Seefeuer Flüchtling (© 21 Uno Film)

Die Kritik:

Seefeuer - Blu-ray Cover
Seefeuer – Blu-ray Cover © Weltkino Filmverleih GmbH

Die zwischen Sizilien und Tunesien liegende Mittelmeerinsel Lampedusa hat durch ihre Flüchtlings-Auffanglager und tragischen menschlichen Schicksale seit vielen Jahren einen regelmäßigen Platz in den weltweiten Schlagzeilen sicher. Tausende afrikanische Flüchtlinge, die über die Insel versuchten Europa zu erreichen, kommen hier regelmäßig auf See ums Leben, unzählige andere gelangen schließlich in besagte kontrovers diskutierte Auffanglager, weshalb bereits vor einigen Jahren von der italienischen Regierung der humanitäre Notstand ausgerufen wurde. Der italienische Filmemacher Gianfranco Rosi, selbst in seiner Jugend während des eritreischen Unabhängigkeitskriegs nach Italien geflüchtet, wollte zunächst in einem Kurzfilm Lampedusa thematisieren, jedoch lebte er schließlich über ein Jahr konstant auf der Insel, um einen abendfüllenden Dokumentarfilm über die Insel und ihre Menschen zu machen. Heraus gekommen ist der unkonventionelle „Seefeuer“, der nicht nur bei der letztjährigen Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hat, sondern auch bei den Oscars mit einer Nominierung als bester Dokumentarfilm geehrt wurde.

Wer bei „Seefeuer“ einen typischen, informationsreichen und erhellenden Dokumentarfilm im herkömmlichen Sinne erwartet, wird hier womöglich enttäuscht werden. Gianfranco Rosi verzichtet auf die fast obligatorischen sprechenden Köpfe, die das Gesehene kommentieren, nicht mal aus dem Off hört man Stimmen, die den Zuschauer durch den Film führen. Auch grob informierende Texttafeln finden sich nur unmittelbar zu Beginn. „Seefeuer“ erweist sich letztlich als unkonventionelle und gelegentlich faszinierende Variante des investigativen Dokumentarfilms, die den Zuschauer mit seiner etwas sperrigen und intellektualisierten Herangehensweise durchaus herausfordert. Rosi zeigt in sehr langen und überaus ruhigen Momentaufnahmen nahezu primär das Leben einiger weniger Einwohner Lampedusas, seine ruhende Kamera offenbart dabei in intimen und präzise komponierten Bildern eine überraschende Schönheit.

Seefeuer - Junge auf Boot
Seefeuer – Junge auf Boot (© 21 Uno Film)

Im Mittelpunkt steht unter anderem der zwölfjährige Samuele, dem Rosi in alltäglichen und eigentlich banalen Situationen folgt, etwa beim Bau einer Steinschleuder, den Gesprächen mit seinem Vater über seine Zeiten als Seemann, beim gemeinsamen Familienessen oder beim Augenarzt, der ihm eine Brille verschreibt, bei der ein Auge verdeckt bleibt, um das andere träge Auge zu trainieren. Samuele ist an sich ein gewöhnlicher Junge, der seiner Welt mit Neugier, aber auch mit erwachsener Ruhe und Abgeklärtheit begegnet. Außerdem folgt der Film dem in zahlreichen Medien bekannt gewordenen Arzt Pietro Bartolo, der nicht nur die Einheimischen versorgt, sondern sich vor allem auch unermüdlich seit vielen Jahren um unzählige Flüchtlinge kümmert. Letzteres bereitet ihm erhebliche Traumata, er ist derjenige, der hier am ehesten seine Lebenssituation schildert und damit zumindest ansatzweise gängige Dokumentarfilm-Konventionen bedient. Doch auch Bartolo wird größtenteils nur in stillen Alltagssituationen, etwa beim Behandeln einer schwangeren afrikanischen Frau beobachtet, mit der er nicht mal kommunizieren kann. Weitere Nebenfiguren sind etwa ein lokaler Radiomoderator oder Familienmitglieder von Samuele.

Parallel zur Lebensrealität der italienischen Inselbewohner, die Rosi ausschweifend bei solch profanen Aktivitäten wie Kochen, Essen oder Aufräumen beobachtet, zeigt er dazu stark im Kontrast stehende alltägliche Szenen mit afrikanischen Flüchtlingen. In überaus kraftvollen Bildern sind es vor allem die langen Einstellungen auf die Gesichter der verzweifelten Gestrandeten, die meist ohne jede Worte so viel Aussagekraft besitzen und damit beim Zuschauer hängen bleiben. Auch eine nüchtern beobachtete Rettungsmission auf offener See geht angesichts der realen Schicksale durchaus an die Nieren.

Seefeuer - Experte
Seefeuer – Experte (© 21 Uno Film)

Rosis Verzicht auf dokumentarisch typische Handkamera und Einsatz kontrollierter Bildkompositionen, die immer wieder lange Zeit ohne Schnitte auskommen, sorgt für eine fast schon meditative und gelegentlich hypnotische Wirkung. Man erhält ein überaus intimes Gefühl für die Situation auf Lampedusa, vor allem steht jedoch letztlich die banale Lebensrealität seiner Bewohner im Vordergrund. Eine soziopolitische und einsichtsreiche Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik oder gar eine erhellende Katharsis dazu lässt sich nur schwer aus „Seefeuer“ ziehen. In seiner Aussage, wenn es angesichts seiner ambivalenten Herangehensweise überhaupt eine gibt, ist Rosi denkbar simpel – Er kontrastiert lediglich die sich im Film meist nicht berührende Koexistenz des banalen Alltags der Lampeduser und des Leids tausender Flüchtlinge. Über die Flüchtlingssituation wird von den im Film beobachteten Einheimischen mit Ausnahme von Bartolo quasi nicht gesprochen. Hier liegt eher etwas Unausgesprochenes in der Luft, denn echtes Glück oder spürbare Lebensfreude strahlt hier wahrlich niemand aus. Ob dieses Gefühl von dem auf der Insel allgegenwärtigen Leid ausgeht oder von der allgemeinen Tristesse der lampedusischen Lebensrealität überlässt Rosi dem Zuschauer selbst.

Bild:

Einen stilisierten Hochglanz-Look darf man bei der Blu-ray von „Seefeuer“ erwartungsgemäß nicht erwarten, dafür erhält man aber eine lupenreine Präsentation auf hohem Niveau. Das Bild des auf einer digitalen Arri Amira aufgezeichneten Films gefällt durch hohe Natürlichkeit, starke Kontrast- und Schwarzwerte und einen kristallklaren Schärfe- und Detailgrad. Echte Schwächen sind bei diesem visuell überraschend ansprechenden Film nicht auszumachen.

Seefeuer - Tauchen auf Lampedusa
Seefeuer – Tauchen auf Lampedusa (© 21 Uno Film)

Ton:

An sich gibt es in Sachen akustischer Umsetzung nichts zu bemängeln. Der Film ist erwartungsgemäß frontlastig abgemischt, jedoch erfreut die Tonspur durch hervorragende Klarheit und Verständlichkeit. Surround-Atmosphäre kommt nur sehr subtil auf.

Extras:

Gerade im Falle von „Seefeuer“ erfreut man sich über tiefergehende aufschlussreiche Stimmen, die es hier in Form von zwei Interviews zu sehen gibt. Etwas kurz geraten sind die Statements von Regisseur Gianfranco Rosi, dennoch finden sich in diesen fünf Minuten einige interessante Einsichten in die Hintergründe der Produktion. Spannender und ausführlicher ist dann das Interview mit dem im Film zu sehenden Doktor Pietro Bartolo, der hier die Situation auf Lampedusa nochmal tiefgehender beschreiben kann.
Interview mit Gianfranco Rosi (04:59 Min.)
Interview mit Pietro Bartolo (28:41 Min.)

Blu-ray Wertung
  • 7/10
    Film - 7.0/10
  • 8.5/10
    Bild - 8.5/10
  • 8/10
    Ton - 8.0/10
  • 5.5/10
    Extras - 5.5/10
7/10

Kurzfassung

Mehr eine experimentelle und gelegentlich sperrige Auseinandersetzung mit einem komplexen Thema als informativer und einsichtsreicher Dokumentarfilm.

Fazit:

„Seefeuer“ kontrastiert den banalen und tristen Lebensalltag der Einwohner Lampedusas mit dem täglichen Leid der unzähligen Flüchtlinge, die die Insel erreichen. Ein formal faszinierender, oft meditativer Film, dessen bedächtige Bildkompositionen über große Wirkungskraft verfügt und sich seiner Thematik eher intellektuell nähert.


von Florian Hoffmann

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