Schachnovelle – Blu-ray Kritik

Dr. Josef Bartok (Oliver Masucci) und Alfred Koller (Samuel Finzi)
Dr. Josef Bartok (Oliver Masucci) und Alfred Koller (Samuel Finzi) © Studiocanal

Die Kritik:

Wien, 1938. Österreich steht kurz vor dem „Anschluss“, der Eingliederung an das nationalsozialistische Deutsche Reich. Dass die Lage wirklich ernst ist, wollen viele in ihrem Wohlstand noch nicht begreifen. Darunter befindet sich auch Notar Josef Bartok (Oliver Masucci), der mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) ein nobles Leben in der kultivierten Wiener Oberklasse führt. Doch plötzlich geht alles ganz schnell: Anna kann noch kurz vor der Ankunft der Wehrmacht fliehen, während Josef verzweifelt versucht, Dokumente in seiner Kanzlei zu verbrennen. Man hat es nämlich auf ihn abgesehen, nicht etwa wegen seiner Herkunft, sondern da er das Vermögen des österreichischen Adels und Klerus verwaltet. Um an Zugangscodes zu gelangen, wird der unkooperative Josef in ein Einzelzimmer des Hotel Métropole gesperrt, das von den Gestapo kurzerhand in ihr Wiener Hauptquartier umgewandelt wurde. In seiner endlosen Isolationshaft droht Josef zunehmend den Verstand und seine Persönlichkeit zu verlieren…

Schachnovelle - Blu-ray
Schachnovelle – Blu-ray © Studiocanal

Stefan Zweigs „Schachnovelle“ ist ein unbestreitbarer Literaturklassiker, Philipp Stölzls ambitionierte Verfilmung wird diesen Status als Film vermutlich nicht erreichen. Mit sichtbarem Aufwand und unbestreitbarem handwerklichen Können zeichnet der „Nordwand“-Regisseur ein sehr fokussiertes und durchaus auch eindringliches Bild des psychischen Zerfalls eines bedauernswerten Individuums, ohne aber wirklich in die Tiefe zu gehen und etwas Erhellendes auszusagen. Der Film springt zwischen zwei Handlungsebenen hin und her: Da wären die kurz umrissenen Ereignisse, die zu Josefs Verhaftung führen sowie seine darauf folgende Haft und völlige Isolierung. Dann ist da der Blick in die Filmgegenwart, wenn der von seiner seelischen Tortur gezeichnete Josef auf einem Ozeandampfer von Rotterdam nach New York übersetzt.

Viel erfährt man über diesen Mann zunächst nicht: Er lebt in offensichtlichem Reichtum, Kultiviertheit und Luxus in glücklicher Ehe mit Anna, während die immer näher kommenden Gräuel des faschistischen Deutschlands so weit weg scheinen. Hier gelingen wohl die stärksten und spannendsten Szenen des Films, wenn aus fröhlich-unbeschwertem Beisammensein bei einem Wiener Ball plötzlich lebens- und existenzbedrohlicher Ernst wird. Macht die angeheiterte Partygesellschaft in einem Moment noch Witze über die Nazis – „Solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehen“ – wird wenig später klar, dass der Anschluss mitten in der Nacht bevorsteht. Die Angst wird hier greifbar, wenn Nationalsozialisten plötzlich mit Fackeln über die Straßen ziehen und Josef ganz schnell reagieren muss. Die Dringlichkeit und die kaum vorstellbare und nun real gewordene Bedrohung übertragen sich wirkungsvoll auf den Zuschauer. Wie würde man selbst in dieser Situation reagieren?

Doch dann gelingt es dem Film nicht, seiner Figur und auch sich selbst mehr Tiefe zu geben. Die Situation im Hotel Métropole wird durchaus eindringlich geschildert, wenn es zu ersten Verhören des Gestapo-Mannes Franz-Josef Böhm kommt, den Albrecht Schuch so merkwürdig höflich wie gewöhnlich bürokratisch und schmierig darstellt. Josef denkt gar nicht daran, mit den geforderten Informationen rauszurücken und so beginnt mit seiner „Sonderbehandlung“ ein unvorstellbares Martyrium, das in gewisser Weise an „Oldboy“ erinnert: Josef wird in seinem schönen Zimmer zunächst durchaus anständig versorgt, doch er ist komplett von der Außenwelt abgeschlossen, soziale Interaktion findet nicht statt, jedes Zeitgefühl kommt abhanden. Der Film stellt die interessante Frage, was diese Deprivation mit dem Menschen macht, wie sie ihn zermürbt, geistig verkümmern lässt und immer weiter reduziert. In einem der wenigen Momente, in denen er sein Zimmer verlassen darf, gelingt ihm der Diebstahl eines Buches – ein Objekt, das in diesem Moment wie der größte Schatz der Welt erscheint. Doch es handelt sich lediglich um ein Buch über Schach, womit der mentale Verfall von Josef erst richtig beginnt.

Denn Josef beginnt aus Mangel an Alternativen dieses Brettspiel in all seinen Facetten zu studieren, aus Brot formt er Figuren und spielt gegen sich selbst. Wie bereits erwähnt, wechselt „Schachnovelle“ aus bestimmten erzählerischen Gründen immer wieder die Zeitebenen und präsentiert Josefs Überfahrt in gleicher Wichtigkeit wie seinen vergangenen Aufenthalt bei der Gestapo. Hier findet sich der ehemals eloquente und nun fahrige, kaum noch zum Sprechen befähigte Mann in der Oberklasse-Reisegesellschaft entfremdet wieder, der er selbst einst angehörte. Er fühlt sich hier spürbar fehl am Platze, doch irgendwann ist er unerwarteterweise in seinem Element, als er den Schachgroßmeister Mirko Czentovic (ebenfalls Albrecht Schuch) bei einem Simultanturnier beobachtet. Sämtliche Spieler sind überfordert angesichts dessen scheinbar müheloser Virtuosität, doch Josef kann schließlich dem aufgeblasenen schottischen Tiefbauingenieur Owen McConnor (Rolf Lassgård) als kompetente Hilfe beistehen, stellt sich damit aber auch seiner traumatischen Vergangenheit – Wahn und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen zunehmend.

Schachnovelle: Bartok (Oliver Masucci) in H
Schachnovelle: Bartok (Oliver Masucci) in Haft
© Studiocanal /Walker + Worm Film/ Julia Terjung

Zu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden, aber „Schachnovelle“ ist ein Film, der zahlreiche filmische und erzählerische Mittel à la „Shutter Island“ anwendet, um die halluzinatorische Reise in den Wahnsinn sowie die gezielte seelische Zerstörung eines gebildeten Mannes und schließlich den Effekt davon in der Gegenwart zu schildern. Das gelingt Stölzl gut, vor allem da sein Hauptdarsteller Oliver Masucci heißt: Dieser spielt sich die Seele aus dem Leib, sein enorm markantes und aus Stein gemeißeltes Gesicht bildet dabei einen starken Fixpunkt für den Zuschauer. Doch viel mehr sagt der Film dann auch nicht aus, man wird nicht ausreichend von dieser Figur abgeholt, um auch emotional mitzufiebern. Zu wenig Substanz ist hier dran, während das Buch auch Gegenspieler Czentovic ausführlich beleuchtet, bleibt dieser im Film eine stille und schemenhafte Reflektion des Peinigers von Josef. Überhaupt darf man keine werkgetreue Adaption erwarten, denn Stölzl und sein Drehbuchautor Eldar Grigorian lassen einen Großteil des Inhalts von Zweigs Novelle zugunsten des erzählerischen Fokus auf Josef fallen.

Das größte Problem des Films ist dann wohl seine Durchschaubarkeit. Hier fehlt das transzendierende Element, das über seine schlichte, wenn auch profunde Aussage hinausgeht. Der Film ist zweifelsohne tadellos und extravagant ausgestattet, er sieht hochwertig, aber auch irgendwie nach perfekt ausgeleuchtetem und etwas künstlichem Hochglanz aus, der nicht fern von etwas wie „Tod auf dem Nil“ entfernt ist. Etwas überraschend ist hier schon manches Handlungselement, jedoch ermüdet das Szenario dann aber auch nach einer Weile. Sicher, natürlich kann man den Film wie die literarische Vorlage auch tiefergehend interpretieren, etwa als allgemeingültige Studie über die Zerstörung der Intelligenz durch höhere Mächte. Um ein spannendes Schachspiel geht es letztlich jedenfalls nur bedingt, was man dem Film allerdings nur verübeln kann, wenn man einen Fokus auf die ausgetüftelten Strategien des Brettspiels erwartet. Dennoch hat man das Gefühl, das hier trotz wirklich interessanter und mutiger Ansätze mehr herauszuholen war und der Film letztlich zu sehr an der Oberfläche verweilt.

Bild:

Die Bildqualität der Blu-ray präsentiert sich in sehr ansehnlichem und hochwertigem Zustand. Wie schon angedeutet, verfügt der Film über einen polierten Hochglanz-Look, der sich hier in sehr guter Schärfe sowie gesättigten Farben widerspiegelt. Schwarzwerte und Kontraste sind nahezu durchweg ebenso auf hohem Niveau.

Ton:

In akustischer Hinsicht weiß die Blu-ray ebenso vollends zu überzeugen. Stimmen und Dialoge ertönen überaus präsent und satt. Die Surroundsprecher werden sehr dynamisch mit Umgebungsgeräuschen, Stimmen sowie der Musik angesteuert. In einigen Momenten gefällt auch der sehr hohe und wirkungsvolle Dynamikumfang.

Extras:

Das Bonusmaterial besteht lediglich aus drei Kurz-Featurettes sowie dem Kinotrailer.

  • Über das Buch (01:34 Min.)
  • Ein Werk für die Gegenwart (01:51 Min.)
  • Hinter den Kulissen (01:59 Min.)
  • Kinotrailer (02:01 Min.)
Blu-ray Wertung
  • 6.5/10
    Film - 6.5/10
  • 9/10
    Bild - 9/10
  • 9/10
    Ton - 9/10
  • 2.5/10
    Extras - 2.5/10
7/10

Kurzfassung

Gekonnte Inszenierung, aber nicht tief genug gehend.

Fazit:

Philipp Stölzls eigenwillige und freie Adaption der „Schachnovelle“ schildert den beklemmenden Zerfall eines menschlichen Verstandes in eindringlichen und hochwertig produzierten Bildern. Eine gekonnte Inszenierung und ein hervorragender Oliver Masucci täuschen aber nicht darüber hinweg, dass der Film trotz aller Intensität nicht tief genug geht, um wirklich zu überraschen und emotional mitzureißen.


von Florian Hoffmann

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