Messer im Herz – Blu-ray Kritik: berauschendes audiovisuelles Erlebnis

Vanessa Paradis und Nicolas Maury in Messer im Herz
Vanessa Paradis und Nicolas Maury in Messer im Herz © Salzgeber & Co. Medien GmbH

Die Kritik:

Messer im Herz - Blu-ray Cover
Messer im Herz – Blu-ray Cover © Salzgeber & Co. Medien GmbH

Ach, wie schön, dass es heutzutage immer noch so konsequent eigenwillige, schräge und das Medium verehrende Filme ins Kino schaffen wie „Messer im Herz“ – auch, wenn er nur ganz kurz zu sehen war und nun nach zwei Monaten schon im Heimkino erscheint. Yann Gonzalez, der hier nach „Begegnungen nach Mitternacht“ seinen zweiten Film abliefert, erschafft hier ein enorm liebevolles und persönliches Werk der Kontraste. Auf visueller Ebene prallen intensive Neonfarben aufeinander, inhaltlich wandelt seine homoerotische Giallo-Referenz zwischen wilden Tonalitäten: Mal ist der Film düster und abgründig, dann ist er wieder gefühlvoll und melodramatisch. Mal ist er auf skurrile Weise komisch und liebenswert, dann wieder brutal und voller Schmerz. Das ist sicher nicht für jedermann, aber eben genau die Art von subversiver Perle, die das Kino am Leben hält.

Paris, 1979. Anne Parèze (Vanessa Paradis) ist Produzentin und Regisseurin von schwulen Pornos. Ihre ungezügelten Werke mit solch wenig ambivalenten Titeln wie „Der schwule Mörder“ werden immer ambitionierter und erfreuen sich in den Pariser Underground-Kinos durchaus großer Beliebtheit. Doch Anne ist todunglücklich: Erst vor kurzem hat sich ihre Lebenspartnerin und Cutterin Lois (Kate Moran) von ihr getrennt. Voller Liebeskummer sieht sich die unglückliche Filmemacherin dann auch noch mit einem Serienmörder konfrontiert, der nach und nach ihre Darsteller dezimiert…

Vanessa Paradis in Messer im Herz
Vanessa Paradis in Messer im Herz © Salzgeber & Co. Medien GmbH

„Messer im Herz“ ist ein visuell zutiefst ambitionierter und beeindruckender Film. Gonzalez atmet das Kino förmlich mit jeder Faser und kanalisiert große Vorbilder wie Brian De Palma, Dario Argento, Lucio Fulci, Rainer Werner Fassbinder oder vielleicht auch Pedro Almodóvar in eine subtil referentielle, aber dennoch ganz eigene Bildsprache. Überall finden sich stilistische Spurenelemente der späten 70er und frühen 80er Jahre, wobei es Gonzalez und seinem sehr begabten Kameramann Simon Beaufils gelingt, den Genres und der abgebildeten Ära ihren Tribut zu zollen, ohne zu sehr in die reine Hommage abzudriften. Gemeinsam kreieren sie wunderbar intensive, kontrastreiche, düstere und farbenfroh glänzende 35- und 16 mm-Bilder, die aus ihrer Zeit zu stammen scheinen, aber dennoch modern wirken. „Messer im Herz“ ist atmosphärisch enorm dicht, was auch an dem exquisiten Soundtrack von M83 liegt, deren wummernde und verspielt-sphärischen Synthieklänge für jede Menge Klangtextur sorgen und alles wie aus einem Guss erscheinen lassen.

Doch „Messer im Herz“ ist weit entfernt vom reinen Giallo-Slasher: Ja, der maskierte Lack-und-Leder-Killer scheint einem Argento– oder Fulci-Film entsprungen zu sein und seine bevorzugte Mordwaffe, ein Dildo mit eingebautem Springmesser, stellt exquisiten Edelkitsch dar, der perfekt in alte Gialli passen würde. Die Mordsequenzen sind zwar zweifelsohne bizarr und pervers, bauen jedoch nur bedingt Spannung auf und sind auch eher knapp und nicht besonders explizit gehalten. Das Thriller-Element ist bei weitem nicht vordergründig, wodurch reine Genrefans hier wahrscheinlich nicht glücklich werden.

Vanessa Paradis in Messer im Herz
Vanessa Paradis in Messer im Herz © Salzgeber & Co. Medien GmbH

„Messer im Herz“ ist primär ein audiovisuell intensives Erlebnis, doch im Kern entpuppt sich hier ein Film, der keineswegs in die Exploitation-Schublade geschoben werden kann. Zum einen ist der Film das Portrait einer interessanten und ambivalenten Frau, die sich in einer existentiellen Krise befindet. Ihr Liebesschmerz ist alles verzehrend, ihre Sehnsucht, ihr verzweifeltes Begehren und Verlangen nach ihrer unerfüllten Liebe Lois zerstörerisch und Grenzen überschreitend. Vanessa Paradis hat nicht nur eine einmalige Präsenz, sie gibt der Rolle spürbar alles und blüht grandios auf. Ihre furiose und nahezu animalische Anne ist so voller wildem Leben, voller Leidenschaft für die Liebe, aber auch für ihr Medium, bei dem sie gerne mal über die Stränge schlägt. Ihre Alkoholsucht sorgt zudem dafür, dass diese Frau keine Grenzen kennt.

Dann ist der Film zum anderen aber auch das Portrait der Crew schräger Vögel, die Anne umgibt und eine Art Ersatzfamilie darstellt. Gonzales ist nahe an den Figuren, karikiert sie nicht und stellt sie in ihrer liebenswerten und schrulligen Art sympathisch und glaubwürdig dar, ohne je zu überdreht zu sein. „Messer im Herz“ ist vollgepackt mit bizarr-skurrilen und surrealen Momenten, von den makabren Mordsequenzen, über schräge Vogelmenschen, ominöse Krähen, voyeuristischen Gucklöchern und sonderbaren Pornokitsch (der nie allzu grafisch ist) fährt Gonzalez einiges an Originellem und Abseitigem auf. Realität und Film verschmelzen zu einem fiebrigen Traum, denn Anne rekreiert die Morde für ihr besagtes Meisterwerk „Der schwule Mörder“, um damit auch ihre verflossene Liebe zu beeindrucken.

Vanessa Paradis und Kate Moran in Messer im Herz
Vanessa Paradis und Kate Moran in Messer im Herz © Salzgeber & Co. Medien GmbH

„Messer im Herz“ lässt sich schlichtweg nicht kategorisieren und genau das ist auch gut so in einer Kinolandschaft, die viel zu oft Schubladendenken ermutigt und Erwartungshaltungen befriedigen will. Gonzalez Film ist zwar sicher nicht perfekt, dafür aber wunderbar eigenwillig. Ganz kann man sich in dieses Szenario trotzdem nicht fallen lassen. An Ideen mangelt es dem Film wahrlich nicht, dennoch kann bezweifelt werden, ob am Ende wirklich viel hängen bleibt. Ein wenig hält der Film auch merkwürdig auf Distanz, da es ihm schlicht an echter Spannung fehlt. Diese wird fast schon dadurch geraubt, dass Gonzalez so viel auf einmal versucht und alles möglich scheint. Trotzdem: Gonzalez Ambition ist bewundernswert und möglicherweise ist ihm hier ein zukünftiger Underground-Kultfilm gelungen, der sicher viele Fans finden wird.

Bild:

Der Look von „Messer im Herz“ ist außergewöhnlich und kommt toll auf Blu-ray zur Geltung. Satte Farben, intensive Kontraste und tiefe Schwarzwerte ragen hier heraus, während das Analogfilmmaterial für eine schöne Filmkorntextur sorgt. Auch Schärfe- und Detailumfang überzeugt durchweg, während Bildfehler ausbleiben.

Ton:

Durchaus überzeugt die französische Tonspur der Blu-ray mit ansprechender Dynamik und wuchtigen Tieftönen, jedoch dürfte es durchaus auch etwas räumlicher sein. Dialoge und Stimmen ertönen jedoch in bester Klarheit und Verständlichkeit.

Extras:

Abgesehen von Trailern und einem schrägen Clip liegt leider kein Bonusmaterial auf der Disc vor. Dafür wird jedoch ein Booklet mit einem erhellenden Interview mit Yann Gonzalez beigelegt.

  • Trailer (02:10 Min.)
  • Erinnerung an die Toten (03:31 Min.)
  • Weitere Trailer
Blu-ray Wertung
  • 7/10
    Film - 7/10
  • 9/10
    Bild - 9/10
  • 8/10
    Ton - 8/10
  • 1/10
    Extras - 1/10
7/10

Summary

„Messer im Herz“ ist ein berauschendes audiovisuelles Erlebnis, das mit jeder Menge Ideen, Eigenwilligkeit und Lust am Abseitigen punktet.

Fazit:

„Messer im Herz“ ist ein berauschendes audiovisuelles Erlebnis, das mit jeder Menge Ideen, Eigenwilligkeit und Lust am Abseitigen punktet. Der Film ist zum einen glühende, aber nie referentiell wirkende Giallo-Hommage in kontrastreichen Neonfarben, aber auch melancholisches Melodram über Außenseiter und eine Frau, die vom Liebeskummer zerrissen wird.


von Florian Hoffmann

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