Girl on the Train – Blu-ray Kritik: Emily Blunts Tour de Force

Girl on the Train - Rachel (Emily Blunt) schaut aus dem Fenster
Girl on the Train - Rachel (Emily Blunt) schaut aus dem Fenster © Constantin Film

Die Kritik:

Girl on the Train Blu-ray Cover
Girl on the Train Blu-ray Cover © Constantin Film

Paula Hawkins Debütroman „Girl on the Train“ erwies sich mit über 15 Millionen weltweit verkauften Ausgaben als eine der durchschlagendsten literarischen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre. Wochenlang stand das Buch 2015 auf der amerikanischen Bestsellerliste, bevor es auch seinen weltweiten Lauf startete. Vergleiche zu Gillian Flynns Buchsensation „Gone Girl“ waren allgegenwärtig und gerade nach dem Erfolg von David Finchers gefeierter Adaption war klar, dass eine Verfilmung von Hawkins Bestseller nicht weit war. So entstand unter der Regie von „The Help“-Regisseur Tate Taylor eine recht erfolgreiche, aber nur teilweise gelungene Adaption, die vor allem dank Emily Blunts herausragender Leistung als titelgebende Hauptfigur sehenswert ist.

Blunt spielt Rachel, ein menschliches Wrack, das die Wunden der Vergangenheit seit Monaten im Alkohol ertränkt. Obwohl sie mittlerweile ihren Job verloren hat, pendelt sie jeden Tag mit dem Zug nach New York City und beobachtet beim Vorbeifahren ihre alte Wohnsiedlung in der Vorstadt. Dort lebte sie einst mit ihrem notorisch fremdgehenden Ex-Mann Tom (Justin Theroux), der nun mit seiner ehemaligen Affäre Anna (Rebecca Ferguson) verheiratet ist und ein Kind hat. Neben Tom und Anna beobachtet Rachel auch deren Nachbarn Megan (Haley Bennett) und Scott (Luke Evans), die für Rachel den Inbegriff einer glücklichen Liebe darstellen. Doch ihr Eindruck wird gestört als sie Megan mit einem anderen Mann auf der Veranda sieht und kurze Zeit später als vermisst gemeldet wird. Rachel beginnt eigene Nachforschungen und findet sich plötzlich im Fokus der Ermittlungen von Detective Sergeant Riley (Allison Janney) wieder.

Girl on the Train Tom (Justin Theroux), und Anna (Rebecca Ferguson)
Girl on the Train Tom (Justin Theroux) und Anna (Rebecca Ferguson) © Constantin Film

„Girl on the Train“ funktioniert vor allem als Portrait einer gebrochenen, problembehafteten und sehr fragilen Frau, als herkömmlicher Thriller und Spannungsfilm jedoch nur bedingt. In fast schon unbarmherzigen und sehr intimen Großaufnahmen entblößt die dänische Kamerafrau Charlotte Bruus Christensen („Die Jagd“, „Am grünen Rand der Welt“, „Fences“) immer wieder Blunts müdes und vom Leben gezeichnetes Gesicht, ihre zahlreichen tränenreichen Gefühlsausbrüche und nervlichen Zusammenbrüche. Blunt ist exzellent in ihrer sehr überzeugend und natürlich gespielten Rolle einer Alkoholikerin, die all ihren Schmerz nur mit heftigem Trinken löschen kann. Regisseur Tate Taylor und seine Drehbuchautorin Erin Cressida Wilson („Secretary“, „#Zeitgeist“) platzieren diese Charakterstudie in ein komplexes Mosaik, das sich mehr und mehr ordnet und zusammenfügt, aber nur sehr bedingt echte Spannung aufbaut. Der Zuschauer erfährt nach und nach über zahlreiche Rückblenden und ihre Erzählstimme von den Hintergründen dieser Frau, aber auch von den anderen Figuren in der Geschichte.

So spielt eben auch Megan eine entscheidende Rolle. Wie Rachel ist auch sie ein Charakter, der viel Schmerz in ihrem Leben erfahren hat und deutlich spürbaren Ballast mit sich trägt. Ihre nur scheinbar perfekte Ehe, die unter den neugierigen und fast schon neidischen Blicken von Rachel fragiler ist, wie es zunächst den Anschein macht, ist einer der Hauptfokuspunkte des Films. Zahlreiche Affären, Bindungsängste und private Schicksalsschläge haben aus Megan eine rastlose und unglückliche Persönlichkeit gemacht, die Haley Bennett mit einer faszinierenden Mischung aus starker erotischer Ausstrahlung und emotionaler Fragilität ausfüllt.

Girl on the Train - Rachel (Emily Blunt)
Girl on the Train – Rachel (Emily Blunt) © Constantin Film

Wenig elegant wirkt jedoch die kreative Entscheidung, den Film immer wieder in kurze Kapitel zu unterteilen, die nach den Figuren und Zeitangaben wie „Vor einem Monat“ benannt sind. Auf Dauer wirkt diese sich oft wie ein Strom aus Erinnerungen anfühlende Erzählstruktur eher verwirrend, ermüdend und holprig, wobei die literarische Herkunft des Films so auch kaum verschleiert wird. Auch die (möglicherweise unzuverlässige) Erzählstimme von Rachel ist spürbar ein stilistisches Überbleibsel der Romanvorlage. Der Mystery-Aspekt des Films, der auch von immer wieder eintretenden Blackouts von Rachel genährt wird, erweist sich letztlich als nicht allzu packend und führt auch nur zu wenigen Überraschungen. Die eigentliche Prämisse des Films wirkt in mehrerer Hinsicht wenig glaubwürdig, zum einen ist es fraglich, dass aus der dargestellten Entfernung von Zug zu Wohngebiet überhaupt solch genaue Beobachtungen möglich sind, aber auch Rachels Obsession mit Megan und Scott wirkt nur wenig schlüssig. Das Erzähltempo von „Girl on the Train“ ist betont langsam und ruhig, gepaart mit den stimmungsvollen herbstlichen Bildern von Christensen baut der Film jedoch viel dichte Atmosphäre auf, die oft über den eigentlichen inhaltlichen Kern hinausgeht.

Girl on the Train -cott (Luke Evans)
Girl on the Train -cott (Luke Evans) © Constantin Film

Dennoch, der Funke will hier trotz vieler unbestreitbarer Stärken nicht so richtig überspringen. Als spannender Thriller funktioniert „Girl on the Train“ auch durch einige arg weit hergeholten und unglaubwürdigen Plotelemente nur mäßig, als einsichtsreicher Kommentar zu Geschlechterrollen oder Dekonstruktion der amerikanischen Vorstadtfassade verbleibt der Film eher an der Oberfläche. Irgendwie kriegt man auch den Eindruck nicht los, dass der Film eher leblos und artifiziell bleibt und seine Figuren sich in einem sterilen Filmvakuum bewegen, dass mit der Realität nur wenig zu tun hat. Zusammengehalten wird der Film aber dennoch durch die starke Präsenz seiner Darsteller, wobei insbesondere Blunt und Bennett einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Von Allison Janneys Detective-Figur würde man sehr gerne noch mehr sehen, die Darstellung der männlichen Charaktere erweist sich weitestgehend als eindimensionale Angelegenheit. Alles in allem ist „Girl on the Train“ aber eine durchaus kompetent gemachte Angelegenheit, die gerade angesichts der Abwesenheit von Thrillerkost für Erwachsene im gegenwärtigen Mainstreamkino eine willkommene Ablenkung darstellt.

Bild:

Als überragend erweist sich die visuelle Umsetzung der Blu-ray. Früh wird hier deutlich, dass man es mit einem enorm detailreichen und bestechend scharfen Bildtransfer zu tun hat, was sich besonders an den überaus zahlreichen Großaufnahmen von menschlichen Gesichtern erkennen kann. Hier ist quasi jede Pore, jedes noch so winzige Detail mit größter Klarheit zu erkennen. Auch in Sachen Kontrast und Schwarzwerten zeigt sich das Bild auf hochkarätigem Niveau. Die herbstlich anmutenden Farben gefallen durch ihre Natürlichkeit, die leichte Filmkorntextur des auf analogem Material gedrehten Films rundet die gelungene und schön anzusehende Ästhetik von „Girl on the Train“ überzeugend ab.

Megan (Haley Bennett) und Scott (Luke Evans)
Megan (Haley Bennett) und Scott (Luke Evans) © Constantin Film

Ton:

In akustischer Hinsicht zeigt die Blu-ray ebenfalls sehr überzeugende, wenn auch zurückhaltendere Werte. „Girl on the Train“ ist ein weitestgehend dialogbasierter Film, demnach ist die Surround-Abmischung eher subtil ausgefallen. Dennoch finden sich über die gesamte Lauflänge immer wieder differenzierte atmosphärische Geräusche auf den umliegenden Boxen. Schön ist auch die an vereinzelten Stellen dynamische und effektvolle Abmischung, lediglich manche Dialoge könnten auf der Originalspur etwas lauter zur Geltung kommen.

Extras:

Das Bonusmaterial der Blu-ray fällt insgesamt solid aus. Insgesamt 14 entfernte bzw. erweiterte Szenen mit einer Gesamtlänge von ca. 18 Minuten finden sich hier, jedoch ist nicht schwer zu erkennen, warum diese Szenen der Schere zum Opfer fielen. Hinzu kommen ein Standard-Making of und eine kurze Featurette über die weibliche Besetzung des Films, die sich als kurzweilig und recht einsichtsreich erweisen. Der Audiokommentar von Regisseur Tate Taylor ist eher enttäuschend, denn dieser meldet sich nur eher sporadisch zu Wort.
Deleted und Extendes Scenes (Rachels Zugfahrt (01:32 Min.), Rachel kommt an der Grand Central Station an (00:55 Min.), Megan schreit während der Zug vorbeifährt (00:57 Min.), Megans Flashback (03:25 Min.), Megan verlässt Annas Haus (00:39 Min.), Rachel pinkelt auf die Straße (00:48 Min.), Rachel wird beinahe von einem Taxi angefahren (00:41 Min.), Rachel macht Selfies (01:20 Min.), Rachel trinkt im Bad (00:32 Min.), Anna schaut aus ihrem Fenster (01:06 Min.), Rachel sieht einen Mann im Anzug (00:43 Min.), Tom und Anna diskutieren darüber umzuziehen (01:16 Min.), Toms Bitte (01:36 Min.), Tom bittet Anna um Vergebung (02:41 Min.)
Making of (11:25 Min.)
Die Frauen in „Girl on the Train“ (05:06 Min.)
Audiokommentar mit Regisseur Tate Taylor
Unsere DVD/BD-Empfehlung („Liebe zwischen den Meeren“, 01:41 Min.)
Originaltrailer Deutsch (02:25 Min.)
Originaltrailer Englisch (02:25 Min.)

Blu-ray Wertung
  • 6.5/10
    Film - 6.5/10
  • 10/10
    Bild - 10.0/10
  • 8/10
    Ton - 8.0/10
  • 5.5/10
    Extras - 5.5/10
7/10

Kurzfassung

Ein nur mild packender, aber atmosphärischer Thriller, der von einer überragenden Emily Blunt und stimmigen herbstlich anmutenden Bildern gerade so über den Durchschnitt gehoben wird.

Fazit:

„Girl on the Train“ überzeugt vor allem dank Emily Blunts engagierter Tour de Force als gebrochene Frauenfigur, der Schmerz und Verletztlichkeit aus jeder Pore strömt. Als spannender und wirklich überraschender Thriller funktioniert der Film leider nur bedingt, wobei die stimmige Kameraarbeit von Charlotte Bruus Christensen zumindest für dichte Atmosphäre sorgt.


von Florian Hoffmann

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