Die Blechtrommel: Die Collector’s Edition in der Review

Die Blechtrommel: David Bennent
Die Blechtrommel: David Bennent © Studicoanal

Die Kritik:

Die Blechtrommel: Collector's Edition
Die Blechtrommel: Collector’s Edition – Blu-ray © Studicoanal

Vor 40 Jahren gewann „Die Blechtrommel“, als erster deutscher Beitrag überhaupt, den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Die auch heute noch beeindruckend wagemutige und kontroverse Adaption von Günter Grass historischem Entwicklungsroman gewann zuvor auch die Goldene Palme in Cannes und legte darüber hinaus einen bemerkenswerten internationalen Siegeszug hin. Die über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählte Geschichte des Oskar Matzerath (David Bennent), der sich, immer mit einer Blechtrommel ausgestattet, entschließt, nicht mehr wachsen zu wollen, gehört zu den ikonischen Filmen des deutschen Kinos und hat auch heute nichts von seiner eigenartigen Faszination eingebüßt. Zehn Jahre nachdem Volker Schlöndorff seinen wesentlich längeren Director’s Cut vorgestellt hat, präsentiert Arthaus nun die in 4K restaurierte Kinofassung, die den Film in bestechendem neuen Glanz erstrahlen lässt.

Betrachtet man „Die Blechtrommel“ mit etwas historischer Distanz, erstaunt immer noch die radikale, sonderbare und freizügige Machart des Films. Volker Schlöndorff inszenierte die komplexe Adaption von Günter Grass vielfach studiertem Bestseller mit größtmöglichem Aufwand und Kühnheit – ein Umstand, der im möglichst wenig wagemutigen Kino der Gegenwart kaum noch vorstellbar ist. „Die Blechtrommel“ ist wahrlich kein einfacher Film, er fordert in seiner erzählerischen Komplexität wie auch in der Einordnung seiner historischen Hintergründe und der Verwendung von symbolhaft aufgeladener Bildsprache viel Abstraktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit des Zuschauers. Hier ist ein Film zu bewundern, der sich nicht erklären, sondern interpretiert werden möchte. Ganz davon abgesehen, ist Schlöndorff aber auch ein wilder, ungestümer, bildgewaltiger und äußerst ausdrucksstarker Film gelungen, der mit seiner filmischen Kraft unmöglich kaltlassen kann.

Die Blechtrommel: Katharina Thalbach
Die Blechtrommel: Katharina Thalbach © Studicoanal

So ist „Die Blechtrommel“ vollgepackt mit ikonischen Momenten und Bildern, die man, einmal gesehen, wohl nie vergisst: Da wäre etwa das den Film auf einem Kartoffelacker eröffnende Versteck des Brandstifters Joseph Koljaiczek unter dem Rock von Anna Bronski unter ihrem Rock vor den Feldgendarmen, wobei vermutlich Agnes (Angela Winkler), Oskars Mutter gezeugt wird. Oder dann Oskars Geburt, bei der die Kamera seine Subjektive vom Innern des Mutterbauchs bis nach draußen zeigt und ein äußerst sonderbar aussehendes Baby offenbart, das nämlich hier schon von David Bennent dargestellt wird. Dann ist da der absichtlich von Oskar beigeführte Treppensturz, durch den er sein Wachstum als Zeichen des Protests gegen die Erwachsenenwelt stoppen will. Legendär ist dann natürlich auch der Pferdekopf, der von Oskars Vater Alfred (Mario Adorf) zum Fangen von Aalen verwendet wird und sowohl bei Agnes als auch beim Zuschauer größten Ekel auslöst. An Ekelmomenten spart der Film ebenso nicht wie an sexueller Freizügigkeit, wobei vor allem die (eigentlich fast nur suggestiven) Szenen zwischen Oskar und Nachbarstochter Maria (Katharina Thalbach) herausragen, die dem Film sogar Verbote in Oklahoma, Ontario und China bescherte.

All die Bildgewalt wird untermalt von Maurice Jarres eigenwillig-expressivem, unheimlichem und fiebrigem Score, der mit seinen mal verzerrten, unterschwellig grollenden und mal treibenden trommelnden Tönen unvergesslich bleibt. Dann ist da natürlich auch Oskars immer wieder eingesetzter ohrenbetäubend-greller Schrei, der jedes Glas zum Bersten bringt.

David Bennent in die Blechtrommel
David Bennent in die Blechtrommel © Studiocanal

„Die Blechtrommel“ ist einer Abstraktheit sicherlich kein Film, der einen herkömmlichen emotionalen Zugang über eine nicht unbedingt vorhandene und sogar unsympathische Identifikationsfigur zulässt. Der Film ist grotesk, bizarr und eigenartig, was ihn dann eben auch so faszinierend macht. Alleine David Bennent ist ein seltener Glücksfall für den Film, dessen besondere Physiognomie sich nicht nur beim Zuschauer einbrennt, sondern auch glaubwürdig eine Figur von der Geburt bis zum 20. Lebensjahr darstellt. Dramaturgisch mag sich hier vieles nicht einfach so erschließen, während die Tonalität des Films unbestimmbar zwischen Realismus und Surrealismus umherschwankt, durchaus auch absurde Komik zulässt. Genial ist etwa der Moment, bei dem Oskars Trommeln unter der Tribüne bei einer NSDAP-Massenveranstaltung ungewollt den Takt der Kappelle verändert, sodass plötzlich zum Donauwalzer getanzt wird.

Über dem Film schwebt natürlich zumeist das thematische Gewicht des Aufstiegs und Falls Dritten Reichs. Mag „Die Blechtrommel“ den übermächtigen historischen Kontext nur bedingt befriedigend erzählerisch mit der äußerst unkonventionellen Coming-of-Age-Geschichte des Oskar Matzerath verknüpfen, sorgen die expressiven Bilder und die ungewöhnliche Herangehensweise für große Faszination. Andere Filme, die sich dem Nationalsozialismus auf narrativ konventionellere Weise nähern, mögen nachvollziehbarer sein, „Die Blechtrommel“ positioniert sich mit seiner Machart aber als allegorisches Kunstwerk, das dadurch weiterlebt, dass man es nie ganz fassen kann.

Bild:

War die erste Blu-ray-Fassung mit dem längeren Director’s Cut bildtechnisch noch eher enttäuschend, liefert die neue 4K-Restaurierung einen wahren Quantensprung: Das Bild begeistert mit herausragenden Kontrasten, Schwarzwerten und einer enorm lebendigen Farbpalette sowie meist exzellenten Schärfe- und Detailwerten. Der Film erstrahlt wahrlich in neuem und frischem Glanz und erscheint exakt so wie von Volker Schlöndorff konzipiert. Das Filmkorn wurde dankbareres erhalten, Verschmutzungen oder sonstige Unruhen wurden aber so entfernt, dass er wie neu erscheint. Top!

Ton:

Natürlich ist „Die Blechtrommel“ auch in dieser Version frontalstem abgemischt, bietet aber dennoch einen authentischen und lebhaften Klang. Dialoge sind zwar gerne hin und wieder etwas vernuschelt, aber ansonsten klar verständlich. Besonders wirkungsvoll ist Maurice Jarres Filmmusik, die lebendig, dynamisch und auch Druckvorschau ertönt. Oskars Schrei kommt ebenfalls besonders stark zur Geltung wie auch tieftönige Explosionen. Alles in allem eine einwandfreie technische Umsetzung.

Extras:

Die Blu-ray bietet gegenüber der ersten Blu-ray-Ausführungen nur ein wesentliches Upgrade in Form eines neuen Interviews mit einem frisch und gut gelaunt daherkommenden Volker Schlöndorff. Dazu kommt ein Booklet, das diesem Rezensenten leider nicht zur Verfügung stand. Ansonsten wird das bereits erschienene Bonusmaterial geboten, das in Form von Interviews einen ausführlichen Blick auf die Produktion des Films wirft. Gerne hätte man hier auch etwas von den Darstellern erfahren, die als Wermutstropfen nicht zu Wort kommen.

  • Neues Interview mit Volker Schlöndorff (19:29 Min.)
  • Volker Schlöndorff über den Director’s Cut (13:06 Min.)
  • Aufnahmen der Synchronisation (03:53 Min.)
  • Erinnerungen von Volker Schlöndorff (20:18 Min.)
  • Interview mit Eberhard Junkersdorf (25:04 Min.)
  • Nikos Perakis über „Die Blechtrommel“ (12:56 Min.)
  • Storyboards (00:55 Min.)
  • Fotogalerien
  • Trailer
Blu-ray Wertung
  • 8/10
    Film - 8/10
  • 9.5/10
    Bild - 9.5/10
  • 8/10
    Ton - 8/10
  • 7/10
    Extras - 7/10
8/10

Kurzfassung

Ein Film, den man gesehen haben sollte.

Fazit:

In neuer 4K-Abtastung erstrahlt Volker Schlöndorffs ikonische Literaturverfilmung „Die Blechtrommel“ in bemerkenswertem neuem Glanz. Auch 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung hat die Adaption von Günter Grass Entwicklungsroman nichts von seiner Bildgewalt und sonderbaren Faszination verloren. Ein Film, den man gesehen haben sollte.


von Florian Hoffmann

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