Crisis – Blu-ray Kritik: Ein echter Geheimtipp

Crisis: Sucht nach einer Erklärung für den Tod ihres Sohnes: Claire Reimann (Evangeline Lilly)
Crisis: Sucht nach einer Erklärung für den Tod ihres Sohnes: Claire Reimann (Evangeline Lilly) © capelight pictures

Die Kritik:

Crisis - Blu-ray
Crisis – Blu-ray © capelight pictures

Die seit 1996 in den USA wütende Opioidkrise fordert bis heute unzählige Opfer. So sorgen verschreibungspflichtige Schmerzmittel wie Oxycontin in vielen Fällen für unkontrollierbare Abhängigkeit, die oft zur Heroinsucht und schließlich zu häufig tödlichen Überdosen führt. Die Krise ist so bis zur Dimension eines nationalen Notstands gewachsen – im Jahr 2016 etwa starben in den USA mit über 40.000 Opfern mehr Menschen an Opioid-Überdosen als durch Autounfälle oder Waffen. Auf diese Weise ist in den USA die durchschnittliche Lebenserwartung sogar schrittweise gesunken. Die Krise ist zudem schon lange in der Mittelschicht angekommen, zwei Drittel aller Todesfälle der unter 50-jährigen gehen auf Opioid-Überdosen zurück.

Den amerikanischen Krieg gegen die Drogen hat Steven Soderbergh bereits in seinem meisterhaften und zurecht mehrfach Oscar-prämierten „Traffic“ im Jahr 2000 thematisiert. Ähnlich multiperspektivisch geht nun auch „Arbitrage“-Regisseur Nicholas Jarecki mit „Crisis“ vor: Da wäre zum einen der DEA-Agent Jake Kelly (Armie Hammer), der nach einjähriger verdeckter Arbeit einen an der US-kanadischen Grenze operierenden Drogenring auffliegen lassen will und auch im privaten Bereich den Niedergang seiner suchtkranken Schwester Emmie (Lily-Rose Depp) mitansehen muss. Dann ist da die einst Oxycodon-süchtige Architektin Claire Reimann (Evangeline Lilly), deren 16-jähriger Sohn bei einem angeblichen Unfall ums Leben kommt. Auf eigene Faust beginnt sie Nachforschungen, da die Behörden offensichtlich nachlässig agierten, woraufhin sie feststellen muss, dass ihr Sohn als Drogenkurier tätig war und sein Leben als Bauernopfer geben musste.

In einem dritten Strang ist der Universitäts-Professor und Biochemiker Dr. Tyrone Brower (Gary Oldman) zu sehen, der bereits seit Jahren Forschungsarbeit für das große Pharma-Unternehmen Northlight betreibt. Dieses steht kurz vor der Einführung eines scheinbar revolutionären Schmerzmittels, das dreimal weniger abhängig machen soll als vergleichbare Konkurrenzprodukte. Als in Tierversuchen kurz vor der Markteinführung in Browers Labor jedoch zum Vorschein kommt, dass das Mittel nicht weniger abhängig, sondern stattdessen dreimal süchtiger macht, wendet sich der einstig zuverlässige Ja-Sager gegen seine Brötchengeber und wird so zur Persona non grata.

Crisis: Kämpft für die Wahrheit: Dr. Tyrone Brower (Gary Oldman)
Crisis: Kämpft für die Wahrheit: Dr. Tyrone Brower (Gary Oldman) © capelight pictures

„Crisis“ erweist sich als echte Überraschung. Autor-Regisseur Nicholas Jarecki gelingt hier ein äußerst packender, hintergründig recherchierter, intelligenter und sehr gut gespielter Thriller, der zudem thematisch kaum relevanter und zeitgemäßer ausfallen könnte. Zunächst ist festzustellen, dass es Jarecki gelingt, seine unterschiedlichen Erzählstränge äquivalent und organisch nebeneinander und dann teilweise auch zusammenlaufen zu lassen. Alle Geschichten sind gleichsam spannend und einsichtsreich erzählt, sodass man hier jederzeit bei der Stange gehalten wird. Jarecki inszeniert den Film seriös, nüchtern und gewichtig in klarer wie hochwertiger Bildsprache in kühl-texturierter 35mm Analogfilm-Optik, springt überzeugend zwischen den stimmungsvollen Schauplätzen Detroit und Montréal hin und her. „Crisis“ ist in der Tradition des smarten und anspruchsvollen Paranoia-Thrillers der 70er Jahre gehalten und kommt entsprechend soziopolitisch hintergründig und nicht reißerisch daher.

Besonders interessant und wirkungsvoll ist der Strang mit dem Universitäts-Professor zu nennen: Hier werden die monetären Verwicklungen zwischen Universitäten bzw. Forschung und Big Pharma äußerst einsichtsreich offengelegt. So spielen die jahrzehntelang gehegten Freundschaften von Dr. Brower plötzlich keine Rolle mehr, sobald der Status Quo angezweifelt wird und man im Sinne der Menschlichkeit agiert. Uni-Dekan Dean Talbot (Greg Kinnear) lässt seinen Kollegen alarmierend schnell fallen, da er und seine Universität auf das Geld des übermächtigen Pharmariesen angewiesen sind. Als klar wird, dass Brower gegen seine Arbeitgeber vorgeht und sogar zum Whistleblower bei der Arzneimittelbehörde FDA wird, dauert es nicht lange, bis man ihn mit alten Anschuldigungen der sexuellen Belästigung öffentlich zu diskreditieren versucht. Die Parallelen zur gegenwärtigen Situation sind sicherlich frappierend und kaum von der Hand zu weisen.

Crisis: Pharmakonzern-CEO Dr. Meg Holmes (Veronica Ferres)
Crisis: Pharmakonzern-CEO Dr. Meg Holmes (Veronica Ferres) © capelight pictures

Nicht minder spannend ist der Strang an der Front mit DEA-Agent Kelly, der mit stoischer Determination überzeugend von Armie Hammer verkörpert wird. Hier ist die Gefahr und professionelle Anspannung seiner Arbeit jederzeit spürbar, denn seine Tarnung könnte schon im nächsten Moment auffliegen. Ziel seiner Operation ist der kanadische Kartellboss „Mother“ (Guy Nadon), der in unauffälliger Erscheinung den Handel von synthetischem Fentanyl an der US-kanadischen Grenze überwacht. Hier führt auch der Weg der trauernden Mutter Claire hin, deren Strang sicher der emotional aufgeladenste des Films ist. Evangeline Lilly ist herausragend in den Momenten ihrer Trauer, aber auch ansonsten fasziniert sie in einer jederzeit glaubwürdigen, intensiven und nuancierten Performance dieser Figur, die alles daran setzt, die Wahrheit über den Tod ihres Sohnes herauszufinden.

„Crisis“ funktioniert also sicher auch dank seines engagiert aufspielenden Ensembles so gut. Armie Hammer gefällt mit gewohnter Präsenz, während Gary Oldman (der den Film auch mitproduziert hat) spürbar Lust auf seine Rolle hat und entsprechend stark aufspielt. Oldman macht die Gewichtigkeit seiner Entscheidung förmlich greifbar, man fiebert mit diesem Mann, der kurz vor dem beruflichen Selbstmord steht. Sein Konflikt zwischen der moralisch aufrichtigen Entscheidung gegen das Pharma-Unternehmen und damit der potentiellen Aufgabe seiner beruflichen Reputation ist sicher der stärkste und faszinierendste Aspekt eines wirklich gelungenen und auch wichtigen Films.

Crisis: Undercover im Polizeieinsatz: Jake Kelly (Armie Hammer)
Crisis: Undercover im Polizeieinsatz: Jake Kelly (Armie Hammer) © capelight pictures / Philippe Bosse

Bild:

Das von „Enemy“-Kameramann Nicolas Bolduc analog aufgezeichnete Filmmaterial überzeugt auf Blu-ray mit hübsch gekörnter Textur. Der in eher kühlen Farben gehaltene Film kommt so sehr organisch und damit hochwertig daher. HD-Puristen dürfen kein glasklares und perfektes Bild erwarten, auch Kontraste und Schwarzwerte sind in manchen dunklen Momenten eher bewusst weich gehalten.

Ton:

Die akustische Umsetzung ist eher unauffällig gehalten. Der Film ist klar dialogorientiert und damit frontlastig abgemischt. Umgebungsgeräusche sind nur subtil eingebaut. Hier und da geht es auch etwas druckvoller und dynamischer her, ohne aber besondere akustische Höhenflüge zu erreichen. Dennoch: die tonliche Umsetzung ist absolut solide und adäquat.

Extras:

Das Bonusmaterial bietet ein kurzes, aber solides Making of (07:38 Min.) sowie den Original-Trailer des Film (02:19 Min.)

Blu-ray Kritik
  • 8/10
    Film - 8/10
  • 8/10
    Bild - 8/10
  • 7/10
    Ton - 7/10
  • 4/10
    Extras - 4/10
7.5/10

Kurzfassung

Ein echter Geheimtipp, klare Empfehlung.

Fazit:

„Crisis“ entpuppt sich als echter Geheimtipp, der bislang völlig zu Unrecht etwas untergegangen ist: Hier ist ein sehr packender, intelligenter, hintergründiger und sehr gut gespielter Thriller zu sehen, der die Opioid-Krise in Amerika so wirkungsvoll beleuchtet wie bislang kein anderer Film. Gerade da diese immense Gesundheitskrise hierzulande nur oberflächlich thematisiert wird, ist dieser Film eine große Empfehlung wert.


von Florian Hoffmann

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