Christopher Robin – Blu-ray Kritik: Wir alle werden erwachsen

Ewan McGregor als Christopher Robin und Puuh
Ewan McGregor als Christopher Robin und Puuh © Disney Enterprises Inc.

Die Kritik:

Christopher Robin Blu-ray Cover
Christopher Robin Blu-ray Cover © Disney Enterprises Inc.

Schon in den 20er Jahren erschuf der britische Autor A. A. Milne mit Winnie Puuh den neben Paddington wohl berühmtesten sprechenden Bären der Literaturgeschichte. Doch erst als Walt Disney den liebenswerten „Bären mit kleinem Verstand“ in den 60er Jahren für sich entdeckte, war auch eine der größten Franchises geboren, die immer noch zu den ertragreichsten Marken des Disney-Konzerns gehört. Nach diversen Kino- und Homevideo-Filmen, Zeichentrickserien und Spin-Offs wagt sich Disney zum ersten Mal an eine Realfilmumsetzung. Unter der Regie des schweizerischen Tausendsassas Marc Forster („Monster’s Ball”, „Wenn Träume fliegen lernen”, „Ein Quantum Trost”, „World War Z”) lässt man jedoch zum ersten Mal die Geschichte des erwachsenen Christopher Robin erzählen, der sich in einer Midlife-Crisis befindet und erneut unerwartet auf die fast vergessenen Freunde seiner Kindheit trifft. Heraus gekommen ist ein interessanter und tonal etwas schwankender Film, der nicht nur mit Nostalgie, sondern auch sehr erwachsener Melancholie überrascht. Das ist zunächst erstaunlich schwermütig, doch schließlich überaus anrührend und unwiderstehlich herzerwärmend.

Zum ersten Mal diese überaus ikonischen Figuren in fotorealistischer Umsetzung zu sehen, kann schon frappierend und fast schon verstörend sein: Da sind sie, Puuh, I-Aah, Tigger, Ferkel, Rabbit, Kanga, Ruh und Eule, versammelt um einen Tisch im Hundertmorgenwald, singend und wie gewohnt die einfachen Dinge des Lebens bei Tee und Kuchen feiernd. Hier wird schon schnell deutlich, auf welch bemerkenswert hohem tricktechnischen Niveau die Figuren umgesetzt wurden. Diese wundervollen Charaktere, mit denen wohl fast jeder aufgewachsen ist, werden hier wahrlich zu täuschend echtem Leben erwacht. Fast schon greifbar scheinen sie, so realistisch wirken der naiv-freundliche Puuh und seine Freunde. Doch kurz muss man sich hier erst dran gewöhnen, denn angesichts des hohen Realismusgrades und den etwas entsättigten Farben erschrickt man sich zunächst fast. Ohne die stilisierte und farbenfrohe Zeichentrick-Ästhetik wirken die Figuren mit ihren größtenteils leblosen Augen eben wie Stofftiere, die zum Leben erwacht sind. So hätte man sich eine Winnie Puuh-Realverfilmung wohl erst mal nicht vorgestellt.

Ewan McGregor als Christopher Robin und Puuh der Bär
Ewan McGregor als Christopher Robin und Puuh der Bär © Disney Enterprises Inc. Photo Credit: Laurie Sparham

Der Film beginnt mit der Abschiedsfeier von Christopher Robin (Orton O’Brien), der seine Kindheit in Richtung strenges Internat verlassen muss. Schon hier dürften einigen erwachsenen Zuschauern erste Tränen entlockt werden, wenn ein verängstigter Puuh seinen besten Freund verabschiedet. Danach folgt eine hübsche, subtil kraftvolle und fast wortlose Montage, die Christophers wichtigste Lebensstationen überfliegt: Er verlässt den Hundertmorgenwald und seine Freunde, kommt aufs Internat, sein Vater stirbt, lernt als nun erwachsener Mann (Ewan McGregor) seine Frau Evelyn (Hayley Atwell) im Bus kennen, leistet seinen Wehrdient im 2. Weltkrieg ab, während sich Evelyn alleine schwanger durchschlägt und kommt schließlich zurück ins Nachkriegs-London. Dort sieht er seine Tochter Madeline zum ersten Mal, versinkt dann aber schließlich schnell in seiner Arbeit und verliert den Blick auf das Wesentliche. Das vermittelt Forster in prägnanten Bildern in nur wenigen Minuten, bevor die eigentliche Erzählung des Films beginnt.

Christopher ist nicht mehr der unbekümmerte Junge, den man von früher kennt, sondern ein traumatisierter Kriegsveteran, der laut seiner Frau schon ewig nicht mehr gelacht hat. Er hat kaum Zeit für sie und seine vernachlässigte Tochter (Bronte Carmichael), die gefühlt schon fast die Hoffnung aufgegeben hat, eine richtige Beziehung zu ihrem distanzierten Vater aufzubauen. Ihr droht dasselbe Schicksal wie Christopher selbst damals, denn auch er will sie in ein Internat stecken. Die Parallelen zu Steven Spielbergs Peter Pan-Geschichte „Hook” werden hier sehr deutlich, denn thematisch schlägt „Christopher Robin” klar in ähnliche Kerben. Das ist erst mal überraschend, denn Disney zeigt hier schon Mut diesen an ein eigentlich junges Publikum gerichteten Film derart schwermütig und trostlos beginnen zu lassen. Christopher ist in sich gekehrt, sein unausgesprochenes Trauma kanalisiert er in seine schlauchende Arbeit als Effizienz-Manager eines Londoner Kofferherstellers. Dieser steht gerade vor dem finanziellen Ruin, weshalb eine Krisensitzung in wenigen Tagen ansteht. Christopher ist gefordert, Lösungen zu finden, sonst kommt es zu einem groß angelegten Stellenabbau. Das geplante Sommer-Wochenende im gemeinsamen Landhaus in Sussex muss so schließlich zum großen Bedauern seiner kleinen Familie ohne ihn stattfinden.

Winnie Puuh
Winnie Puuh © Disney Enterprises Inc.

Währenddessen erwacht Puuh im Hundertmorgenwald und stellt fest, dass nicht nur sein Honig leer ist, sondern auch all seine Freunde verschwunden sind. Kurzerhand geht er durch die Tür im Baumhaus, durch die Christopher früher schon immer ging und landet plötzlich in London direkt bei einem Baum neben der Parkbank auf der Christopher gerade verzweifelt in sich gesackt ist. Dieser kann natürlich gar nicht glauben, wer da vor ihm steht, woraufhin er seinen alten Kindheitsfreund erst mal mit nach Hause nimmt. Nachdem der herzensgute, aber tollpatschige Puuh dort erst mal Chaos anrichtet, entscheidet sich der weiterhin sehr nüchterne Christopher ihn in seine alte Heimat Sussex und den Hundertmorgenwald zu bringen, der mittlerweile ganz düster und nebelig erscheint. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach Tigger und Co., während Puuh die ganze Zeit angesichts seiner Angst vor Heffalumps und Wusels beruhigt werden muss.

Die Prämisse des Films wirft natürlich mehrere Fragen auf: Immer wieder zeigt Forster, dass Menschen in London Puuh sehen und hören können, später wird auch Madeline auf die Tiere treffen und mit ihnen kommunizieren. So wird eigentlich kein Zweifel zugelassen, dass Puuh und seine Freunde real sind und eben nicht nur – wie oft interpretiert wurde – Manifestierungen von Christopher Robins kindlicher Psyche sind, die ihm halfen, um eine schwierige Kindheit zu verarbeiten.

„Christopher Robin” bleibt dennoch ambivalent, denn Forster lässt Raum für inszenatorische Feinheiten und mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Der nebelige Wald und das Verschwinden der Freunde erscheint zweifellos symbolisch, denn je weiter Christopher seine kindliche Vorstellungskraft wiederfindet und seine Arbeitsbesessenheit fallen lässt, lichtet sich auch der Wald auf und die zunächst verängstigten Tiere tauchen auf. Diese erkennen den erwachsenen Christopher auch erst nicht und halten ihn für einen bedrohlichen Heffalump. Spätestens wenn Christopher wieder einigermaßen der Alte ist, erreicht der Film einen subtilen Charme, dem man kaum wiederstehen kann. Die makellos animierten Tiere möchte man alle am liebsten knuddeln, die anfängliche Irritation weicht nämlich dann doch schnell. Doch auch hier schreitet der Film erst mal durch überraschend düstere Pfade, wenn die pelzigen Figuren eine eigene existenzialistische Krise (gerade der ohnehin schon immer schwermütige I-Aah) durchleiden.

Bronte Carmichael spielt Madeline Robin, Ewan McGregor spielt ihren Vater Christopher Robin und Hayley Atwell spielt ihre Mutter Evelyn Robin
Bronte Carmichael spielt Madeline Robin, Ewan McGregor spielt ihren Vater Christopher Robin und Hayley Atwell spielt ihre Mutter Evelyn Robin © Disney Enterprises Inc. Photo Credit: Laurie Sparham

„Christopher Robin” legt diese nostalgische und etwas wehmütige Nostalgie nie ganz ab, wodurch der Film sich immer eine gewisse Tiefe erhält. Gerade wenn man eben mit Winnie Puuh aufgewachsen ist, hallt der Film stark nach und ist wahrscheinlich gerade deshalb eher an die erwachsene Zielgruppe gerichtet. So rührt der Film immer wieder zu Tränen, findet jedoch dankbarerweise auch immer wieder zu locker-beschwingten, ungemein liebenswerten und amüsanten Momenten. Große Musical-Nummern oder dauerhafte Komik darf man in diesem geerdet wirkenden Film aber keineswegs erwarten.

Getragen wird der Film natürlich von einem starken Ewan McGregor, der sowohl den vom Leben erdrückten und schwermütigen, als auch den wieder zu verspielter und alberner Kindlichkeit findenden Christopher ausfüllt. Hayley Atwell ist da eher nur ein etwas unterforderter, selten gesehener Stichwortgeber, dennoch gibt sie ihrer Figur in ihren wenigen Momenten Dimension. Ganz stark sind jedoch die Originalsprecher der Tiere, allen voran Disney-Veteran Jim Cummings, der erneut Puuh und Tigger spricht und ganz viel Seele gibt. Forster und seinem österreichischen Kameramann gelingen hier außerdem ausgesprochen starke Bilder, die mit ihrer leichten Entsättigung und Sepia-Touch genau die richtige Wärme und Nostalgie versprühen. Der Hundertmorgenwald, aber auch das Nachkriegs-London erscheinen atmosphärisch dicht und bildgewaltig, während die nicht-menschlichen Figuren absolut nahtlos integriert werden und den Gedanken an computergenerierte Effekte gar nicht erst aufkommen lassen.

Angesichts der gegenwärtigen Recycling-Vorgehensweise Disneys, die ihre großen Zeichentrick-Klassiker ohne echte Kreativität neu als Realfilme produzieren, erscheint „Christopher Robin” als kleiner, seltsamer Triumph, der echte Risiken eingeht und nicht unbedingt die Erwartungshaltung eines anspruchslosen Publikums erfüllt. Das mag nicht jedem uneingeschränkt gefallen, spannend und letztlich tief berührend ist es allemal.

Bild:

„Christopher Robin” wurde vom österreichischen Kameramann sowohl digital auf Arri Alexa als auch auf 35- und 65mm-Film gedreht. Der präzise Look des Films zeigt eine reichhaltige, wenn auch bewusst leicht entsättigte Farbpalette, die stets Wärme durch einen leichten Sepia-Touch erhält. Das nostalgisch-melancholische Element wird so natürlich hübsch akzentuiert, was durch die feine Filmkorntextur noch unterstützt wird. Schärfe- und Detaillevels bewegen sich hier konstant auf sehr hohem Niveau und sorgen im stets natürlich und organisch wirkenden Gesamtpaket für ein wirklich sehr ansehnliches Filmerlebnis.

Ton:

Ewan McGregor als Christopher Robin
Ewan McGregor als Christopher Robin © Disney Enterprises Inc. Photo Credit: Laurie Sparham

Auch auf akustischer Ebene weiß die Blu-ray mit einem fein abgestimmten Ergebnis zu überzeugen. Durchweg ist der Film mit großer Klarheit abgemischt. Stimmen sind bestens verständlich priorisiert, während alle Lautsprecher mit vielen akustischen Details angesteuert werden. Auch für Dynamik wird hier immer wieder gesorgt.

Extras:

Beim Bonusmaterial handelt es sich um für Disney gewohnt hochwertig produzierte Mini-Featurettes, die jeweils einen guten Einblick in die Produktion bieten. Schade nur, dass sie so kurz ausfallen.
Ein Film für Puuh entsteht (05:28 Min.)
Puuh findet seine Stimme (02:43 Min.)
Puuh und Walt werden Freunde (02:43 Min.)
Puuh und seine Freunde werden lebendig (03:16 Min.)

Blu-ray Wertung
  • 8/10
    Film - 8/10
  • 9.5/10
    Bild - 9.5/10
  • 8.5/10
    Ton - 8.5/10
  • 4.5/10
    Extras - 4.5/10
8/10

Kurzfassung

Christopher Robin” richtet sich insgesamt eher an eine erwachsene Zielgruppe, die mit dem Bär mit kleinem Verstand aufgewachsen sind. Dennoch bietet der Film auch genügend herzerwärmende Momente, um auch für die kleinen Zuschauer etwas zu bieten.

Fazit:

Mit „Christopher Robin” liefert Regisseur Marc Forster einen tonal recht wankelmütigen Film, der nicht auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten ist. Heraus gekommen ist ein überraschend melancholischer und schwermütiger Film, der nur gelegentlich Warmherzigkeit und Freude so erfrischend kombiniert wie etwa die beiden „Paddington”-Filme.


von Florian Hoffmann

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