Capernaum – Stadt der Hoffnung: Blu-ray Kritik

Szene aus Capernaum - Stadt der Hoffnung
Szene aus Capernaum - Stadt der Hoffnung © Alamode Film

Die Kritik:

Capernaum – Stadt der Hoffnung: Blu-ray Cover © Alamode Film

Zu Beginn des Jahres wurde „Capernaum – Stadt der Hoffnung“ für den OSCAR, den Golden Globe und den BAFTA als bester fremdsprachiger Film nominiert und ging aufgrund von Alfonso Cuaróns Roma bei diesen Verleihungen leer aus. Nichtsdestotrotz hätte sich dieses Drama all diese Auszeichnungen mehr als verdient. Was hier abgeliefert wird, erlebt man als Filmfan und Kinozuschauer generell nicht alle Tage. Diese emotionale Wucht, die Bitterkeit der Armut im Alltag sowie die traurige Realität vieler Kinder im Nahen Osten, derart authentisch auf der Kinoleinwand zu sehen, macht einen sichtlich zu schaffen und lässt einen – entgegen dem deutschen Zusatztitel – letztlich hoffnungslos, um Fassung ringend, auf der Couch sitzen. Es ist Arthouse-Kino, das nicht für ein Nischenpublikum gedacht ist, sondern aufgrund seiner direkten Art die Geschichte zu inszenieren und fehlender Sperrigkeit in der Erzählweise für jeden Zuschauer emotional zugänglich ist. Mit dem Jury-Preis bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 ausgezeichnet, gehört Capernaum zu den besten Filme der letzten Jahre und zeigt die Ungerechtigkeiten des Lebens auf eine an die Nieren gehende Art und Weise, die letztlich vom Zuschauer eine Menge abverlangt.

Inhaltlich erzählt der Film die Geschichte des jungen Zain, der vor Gericht steht und seine Eltern verklagen möchte, weil diese ihn auf die Welt gesetzt haben. Wie es dazu kommt, dass ein knapp 12-jähriger Junge seine Eltern verklagen möchte, erzählt der Film in langen Flashbacks. Der Gerichtssaal selbst ist selten Schauplatz des Films. Das Sozialdrama ergründet die Ursachen für die Ausgangssituation zu Beginn des Films und begleitet den kleinen Zain durch den Libanon, was schlichtweg niederschmetternd und herzergreifend ist. Im Laufe des Films gibt es einige Szenen, die einen zu Tränen rühren und man um Fassung kämpft, weil man das Leid als Beobachter auf Dauer einfach nicht ertragen kann. Was der Film schafft, ist nicht bloß einfach den Finger auf die bösen Eltern zu zeigen, sondern die Situation der Kinder präzise zu schildern, aber zugleich die Hilflosigkeit der Eltern darzustellen und auch ihnen eine Stimme zu geben. So vermeidet Regisseurin Nadine Labaki hier irgendeinem den schwarzen Peter zuzuschieben. Auch wenn es diverse Szenen gibt, bei der der Zuschauer regelrecht einen Hass auf die Eltern entwickeln könnte, nimmt Labaki diesem Hass in der nächsten Szene deutlich Wind aus den Segeln. So ist man als Zuschauer hilflos, hoffnungslos und verzweifelt über die Situation, die sich über die Dauer des Films immer verschlechtert und die grausame Realität authentisch darstellt.

Szene aus Capernaum - Stadt der Hoffnung
Szene aus Capernaum – Stadt der Hoffnung © Alamode Film

Hier wurde in Libanon gedreht. Die Straßen wurden ebenfalls oftmals nicht abgesperrt, sodass man hier hautnah in den Alltag geworfen wird und einem die Armut sehr direkt präsentiert wird. Die Darsteller sind allesamt hauptsächlich Laien und auch der junge Zain wird von einem Kind namens Zain Al Rafeea gespielt, der als Kind mit seinen Eltern aus Syrien in den Libanon geflohen ist. So spielt Al Rafeea nicht wirklich eine fiktive Figur, sondern mehr oder minder sich selbst, weswegen ihn Labaki viel improvisieren ließ. So trägt das sozusagen ehrliche Schauspiel und die echten Drehorte in Mitten der Bevölkerung und den Armenvierteln Libanons wesentlich zu einem an Authentizität kaum zu überbietenden Streifen bei. Die Leinwandpräsenz von Zain Al Rafeea ist überwältigend und macht einen traurig und sprachlos zugleich, da man sich kaum vorstellen kann und will, was der Junge in seinem echten Leben bisher schon durchmachen musste. Glückliche Kinder sieht man in diesem Film kaum, was einem letztlich nur das Herz bricht. Man ist bei Capernaum definitiv Zeuge einer der besten Kinderperformance aus diesem Jahrzehnt. Auch der restliche Cast zeigen herausragende Leistungen und verstärken mit ihren natürlichen Darstellungen der Figuren das vom Film realistisch gezeichnete Alltagsbild.

Bevor man sich intensiver mit den gesellschaftlichen und sozialkritischen Themen des Streifens auseinandersetzt, wird noch ein kurzer Blick auf die Inszenierung geworfen. Wie im vorherigen Absatz beschrieben, wurde hier an Originalschauplätzen gedreht. Es wird aufgrund der Authentizität, immer wieder – aber immer an den richtigen Stellen – mit der leicht verwackelten Handkamera gearbeitet. Es gibt zumeist eine sehr dokumentarische Kameraführung und wenig Schnitte. Doch das sind alles keine entscheidenden Faktoren, warum dieses Sozialdrama so sehenswert, so traurig und vor allem so wichtig ist. Es sind vielmehr die Probleme, die der Film anspricht. Es geht z. B. um die Verantwortung von Eltern in von Armut geprägten Gebieten, die Aussichtslosigkeit der Kinder, fehlende Chancengerechtigkeit, große soziale Ungerechtigkeit und darum, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung aus dieser Region, überwiegend Kinder, im Stich gelassen werden. Dabei spielen hier keine Schuldzuweisungen den Eltern gegenüber eine Rolle. Vielmehr will man mit diesem Film den Kindern eine Stimme geben, die meist, vor allem in der westlichen Welt, unerhört bleibt. Capernaum ist eine schmerzhafte Bestandsaufnahme des Schicksals vieler Kinder, die ein nicht lebenswertes Leben führen müssen, das niemand verdient hat. Die Ohnmacht und fehlende Hilfsbereitschaft der Außenstehenden wird hier sehr subtil verdeutlicht. Eine konkrete Lösung für die Probleme schafft der Film nicht. Das ist aber auch nicht seine Aufgabe. Er macht auf seit Jahrzehnten existierende Probleme aufmerksam, die durch die Flüchtlingskrise neu aufgekommen sind. Jedoch wich der Fokus im Westen von den eigentlichen Brennpunkten der Krise recht schnell auf die eigenen „Luxusprobleme“.

Szene aus Capernaum - Stadt der Hoffnung
Szene aus Capernaum – Stadt der Hoffnung © Alamode Film

Das Schicksal von Kindern in Syrien, Jemen oder im Libanon ist in diesem Film exemplarisch an der Geschichte von Zain aufgezeigt worden, dessen echtes Leben hier nicht verfilmt wurde, auch wenn er als syrisches Flüchtlingskind im Libanon in Armut lebte. Dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass der Alltag hier mit einer unangenehm höchst realistischen Inszenierung dem Zuschauer näher gebracht wurde und dass jener im Film beschriebene Alltag das Leben tausender Kinder in diesem Moment widerspiegelt und dabei keine Besserung in Sicht ist. Liebe, Fürsorge, Bildung, Spaß und Freude am Leben erfahren diese Kinder nicht. Kinderarbeit, Kinderehe, physischer und psychologischer Missbrauch hingegen pflastern den glücklosen Lebensweg unzähliger Kinder. Dies alles macht einen als Zuschauer einfach nur traurig und fertig. Anders kann man die Gefühlslage während des Films und danach nicht beschreiben. Der Film ist nichts für zartbesaitete Zuschauer und von einem Feel-Good-Film weiter entfernt, als die Erde vom Mond. Es ist kein Film der Spaß macht, sondern einen eher emotional mitnimmt und in diversen Szenen einem das Herz bricht. Trotz allem muss dieser Film einfach von so vielen Zuschauern wie möglich gesehen werden, denn Capernaum ist ein kraftvolles Werk voller Realismus und Emotionen.

Bild:

Da hier als Rezensionsexemplar lediglich ein Streaming-Link zur Verfügung stand, können zur Bild- und Tonqualität der Blu-ray keine Aussagen getätigt werden.

Ton:

Da hier als Rezensionsexemplar lediglich ein Streaming-Link zur Verfügung stand, können zur Bild- und Tonqualität der Blu-ray keine Aussagen getätigt werden.

Extras:

Zwar stand wie oben erwähnt nur ein Streaming-Link zur Verfügung, jedoch kann gesagt werden, dass auf der Blu-ray lediglich Trailer zu sehen sind.

Blu-ray Wertung
  • 9.5/10
    Film - 9.5/10
  • 1/10
    Extras - 1/10
8.5/10

Kurzfassung

Ein Sozialdrama, das keinen Zuschauer kaltlässt. Laiendarsteller, die einen berühren, die Nutzung originaler Schauplätze sowie eine Geschichte voller Gegensätze wie Menschlichkeit und fehlender Menschlichkeit, Liebe und Hass, Herz und Herzlosigkeit sind Komponenten in diesem Streifen, die den Film zu etwas ganz besonderem machen.

Fazit:

Capernaum gehört wie eingangs erwähnt zu den besten Filmen des Jahres. Im Januar 2019 ist er in Deutschland ins Kino gekommen und findet nun seinen Weg in hoffentlich viele Wohnzimmer, da dieser Film von möglichst vielen Menschen geschaut werden muss. Was einem hier geboten wird, ist ein gesellschaftskritisches Sozialdrama auf allerhöchstem Niveau. Gedreht im Libanon mit Laiendarstellern wurden hier bereits damit Rahmenbedingungen für ein authentisches Werk geschaffen. Dass diese Laiendarsteller, vor allem der junge Zain Al Rafeea, brillieren, das Drehbuch zu jedem Zeitpunkt funktioniert, die gesellschaftlichen Probleme sehr subtil und doch so simpel aufgezeigt werden, ohne eine Schwarzweiß-Malerei in Gang zu setzen und dass hier ohne Kitsch berührende Filmmomente kreiert wurden, sind allesamt Faktoren, die Capernaum zu einem großen Stück Kino werden lassen.


von Morteza Wakilian

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