Burning – Kritik zur 4-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (4K Ultra HD)

Jongsu (Yoo Ah-in) auf der Suche nach der Wahrheit
Jongsu (Yoo Ah-in) auf der Suche nach der Wahrheit © capelight pictures

Die Kritik:

„Burning“ ist ein Film, dem es gelingt, sowohl auf rein emotionaler Gefühlsebene tief empfunden zu werden, zugleich aber auch auf intellektuell-analytischer Ebene herausragend zu funktionieren. „Burning“ erweist sich als hochgradig ambivalenter Film, der viele Fragen aufwirft, stark mit Metaphern und Symbolismus aufgeladen ist und sicher keine einfachen Antworten zulässt. Auch nach mehrmaligem Ansehen bleibt dieser Genre-übergreifende und in jeder Hinsicht außergewöhnliche Film rätselhaft und kaum greifbar. Dieses mysteriöse Spiel mit Wahrheit und Fiktion, mit subjektiver und objektiver Wahrnehmung und der allgemeinen Rätselhaftigkeit des Lebens ist in gleichem Maße konzipiert, um zu faszinieren und frustrieren. Der südkoreanische Meisterregisseur Lee Chang-dong lädt also zum ganz freien Interpretieren ein, ohne jedoch ein verkopft wirkendes Werk anzubieten. „Burning“ ist dafür zu ergreifend schön, zu poetisch, er repräsentiert schlichtweg pures Kino, das sich unter die Haut und in die Seele gräbt.

Burning - 4-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (4K Ultra HD)
Burning – 4-Disc Limited Collector’s Edition Mediabook (4K Ultra HD) © capelight pictures

Jong-su (Yoo Ah-in) ist ein junger Mann, der in Seoul eine ziellose Existenz führt. Nachdem er ein Studium in kreativem Schreiben abgeschlossen hat und Autor werden möchte, schlägt er sich nun mit Aushilfsjobs durch und trifft dabei auf seine ehemalige Schulkameradin Hae-mi (Jeon Jong-seo). Es dauert nicht lange, bis Hae-mi Jong-su verführt und sich eine unausgesprochene Beziehung zwischen den Beiden entwickelt, jedoch zieht es Hae-mi nach Kenia, wo sie für ein paar Wochen nach dem Sinn des Lebens suchen will. Sie bittet Jong-su in dieser Zeit auf ihren Kater aufzupassen, der sich in ihrer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung aufhält. Den Boil genannten Kater kriegt Jong-su jedoch nie zu Gesicht, auch wenn sich dessen Katzenklo auf mysteriöse Weise füllt. Da Jong-sus Vater zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, muss er nun in seiner Abwesenheit auf dessen heruntergekommene Farm aufpassen.

Als Jong-su Hae-mi schließlich vom Flughafen abholt, wird er von der Präsenz von Ben (Steven Yeun) überrascht, mit dem Hae-mi wegen eines Terroranschlags in Nairobi drei Tage am Flughafen festsaß. Ben erscheint als geheimnisvoller, gutaussehender und weltgewandter Neureicher, der im Seouler Nobelstadtteil Gangnam ein Luxusapartment bewohnt, einen nagelneuen Porsche fährt und ziemlich das genaue Gegenteil des einfachen Jong-su darstellt. Fortan ist Jong-su zu einer Nebenrolle verdammt, der in der Präsenz von Ben und dessen stylischer Luxuswelt droht völlig zu verblassen. Womit dieser sein Geld verdient, bleibt vage, ebenso wie seine Herkunft oder seine Absichten bei Hae-mi. Diese verschwindet eines Tages plötzlich spurlos, woraufhin Jong-su verzweifelt versucht, ihre Fährte aufzunehmen…

Jong-su ist ein introvertierter und passiver Einzelgänger, der stetig auf der Suche nach etwas Undefiniertem ist, vielleicht nach Zuneigung, nach Zugehörigkeit, oder auch schlicht einer Bestimmung. So wird dann sein Verlangen nach Hae-mi in seinem leeren, ziellosen Leben zu eben dieser Bestimmung, aber auch zu einer allumfassenden, zerstörerischen Obsession. Er ist eine Person, die das Leben und seine Umgebung nicht greifen kann – so spricht er es sogar einmal aus: „Für mich ist das Leben ein Rätsel“. Das macht Lee Chang-dong schließlich auch zum übergreifenden Thema des Films: Die Rätselhaftigkeit unserer Existenz, die vielen Schlüssel, die sich uns offenbaren, aber einfach nicht in die Türen passen, die sich auf unseren Wegen manifestieren. Der Film macht diese Frustration spürbar, die man empfindet, wenn wir glauben, Antworten auf eine Frage zu haben, ohne sie jedoch beweisen zu können. Er handelt von dem Schmerz, Dinge zu fühlen, aber nicht konkret benennen zu können. Genauso verhält es sich mit dem Film auch selbst, der empfunden und gespürt werden will, sich aber kaum in Worte fassen lässt, der ein einfaches Verständnis schlichtweg nicht zulässt.

Burning: Was hat es mit den Gewächshäusern auf sich
Burning: Was hat es mit den Gewächshäusern auf sich © capelight pictures

Dabei ist „Burning“ auf magische Weise universell in seiner existentialistischen Herangehensweise, aber auch ganz spezifisch die koreanische Lebenssituation thematisierend. Hierfür streut Chang-dong nahezu beiläufig Nachrichtenbeiträge im Hintergrund ein, in denen von der steigenden Jugendarbeitslosigkeit in Südkorea berichtet wird. Oder er verlagert Jong-sus Lebensmittelpunkt in der ländlichen Grenzstadt Paju, die sich ganz nahe an Nordkorea befindet und in ihrer Kargheit und Einfachheit weit entfernt vom hypermodernen Kern Südkoreas entfernt ist. Diese gegenwärtig klaffende Lücke zwischen den Reichen und Mittellosen (die Bong-Joon Ho gerade auch meisterhaft in „Parasite“ thematisiert) stellt natürlich einen unzweifelhaften Kern von „Burning“ dar und wird ganz konkret in dem ungleichen Kontrast zwischen Jong-Su und Ben personifiziert – sowohl in Bezug auf ihr Aussehen, ihre Persönlichkeit, ihre Lebensumstände und gänzlich visuell in ihren grundverschiedenen Wohnunterkünften, manifestiert in Jong-sus Farm, Hae-mis kleiner Wohnung und im krassen Gegensatz dazu Bens imposantes Designer-Apartment.

Die Sinnsuche der Figuren, sei es der zurückhaltende und fast schon autistisch anmutende Jong-su, oder auch die immer wieder tief melancholisch und nie ganz greifbar anmutende Lebenskünstlerin Hae-mi, wird ebenfalls immer wieder konkretisiert. Hierfür ist Hae-mi gelegentlich das Sprachrohr: So sucht sie etwa in Kenia nach dem Sinn des Lebens und berichtet nach ihrem Aufenthalt von den Buschmännern der Kalahari-Wüste, die zwischen zwei Arten von Hunger unterscheiden: Da wäre der kleine Hunger, der sich ganz schlicht auf die Nahrungsaufnahme bezieht und der große Hunger, der die Suche nach Wahrhaftigem, nach Bedeutung bezeichnet. Bleiben Jon-su und insbesondere Ben gewissermaßen leere gefühlskalte Hüllen, ist Hae-mi das Herz des Films, das besagten großen Hunger empfindet, dabei aber vor aller Lebensschmerz immer wieder in Tränen ausbricht.

So ist Hae-mi auch einer der wohl schönsten, poetischsten und schlichtweg ergreifendsten Momenten purer Kinomagie gegönnt, wenn sie kurz vor ihrem Verschwinden auf Jong-sus Farm im Sonnenuntergang bekifft zu Miles Davis tanzt und sich dabei ihrer Kleider entledigt. Chang-dong gelingt hier ein Moment berauschender und aufgeladener Freiheit und Schwerelosigkeit, den man sowohl bei Hae-mi, als auch bei sich selbst empfindet. Im richtigen Gemütszustand offenbart sich hier ein erhebender und erhabener Moment, wie man ihn nicht oft zu Gesicht bekommt.

Die rätselhafte Haemi (Jun Jong-seo)
Die rätselhafte Haemi (Jun Jong-seo) © capelight pictures

Wenn zur Hälfte des Films Hae-mi verschwindet, wird ein spürbares Loch in „Burning“ gerissen. Lee Chang-dong macht die Seelenqualen Jong-sus dann spürbar, seine Obsession, seine Verzweiflung, seinen neu gefundenen Lebensinhalt wieder aufzufinden, Fragen auf seine Antworten zu finden. Hat Ben etwas mit dem Verschwinden zu tun? Dessen bemerkenswert kryptischer Monolog kurz vor Hae-mis Verschwinden über seine Leidenschaft leerstehende Gartenhäuser abzubrennen, um Erfüllung zu finden, legt dies zumindest nahe. So kann durchaus vermutet werden, dass Gartenhäuser ein symbolischer Platzhalter sind, ebenso wie Hae-mis anfängliches Pantomimenspiel, bei dem sie eine imaginäre Mandarine schält. Doch Steven Yeun spielt diese Rolle eines koreanischen Jay Gatsby eindrucksvoll charismatisch und ambivalent: Seine zuvorkommende Höflichkeit und sein sympathisches, ganz leichtes Lächeln können so nie ganz gedeutet werden, bei ihm weiß man sozusagen nie, woran man ist, womit er exakt den Grundton des Films trifft. Was hat es darüber hinaus mit den zahlreichen Anrufen zu tun, die Jong-su erhält und bei denen sich niemand an der anderen Leitung meldet? Oder was symbolisiert der Kater, der nie zu sehen ist? Was ist hier real und was nicht?

„Burning“ ist wie eingangs erwähnt voller unlösbarer Fragen, von denen man nicht erwarten darf, dass sie beantwortet werden. Erzählerische Konventionen, erklärende Dialoge oder wütende Ausbrüche und Konfrontationen sucht man bei diesem stets andeutenden und unterschwellig Bedrohungen vermittelnden Werk jedenfalls nicht. Das ruhige, bedächtige und beinahe meditative Erzähltempo des Films erfordert bei einer Laufzeit von 148 Minuten zweifelsohne ein gewisses Maß an Geduld und absoluter Aufmerksamkeit. Lässt man sich auf dieses mysteriöse Kinowunder ein, ist es nicht unwahrscheinlich, dass man von seinem hypnotischen Sog und seiner dichten Atmosphäre gebannt wird. So hat der Film großes Überwältigungspotential, das sich dann auch lange im Gedächtnis festsetzt.

Bild:

„Burning“ wurde Hong Kyung-pyo digital auf Arri Alexa XT fotografiert. Der tolle Look des Films erscheint in einer reichhaltigen und natürlichen Farbpalette. In manchen dunklen Szenen bzw. Bereichen erscheinen Kontraste und Schwarzwerte zwar etwas weich, was aber auch zum oft traumartig anmutenden Wirkung des Films passt. Hier ist auch ein gewisses feines Rauschen zu vernehmen, was aber eher einer Filmkorn-Textur gleicht. Ansonsten überzeugt das Bild mit guter Schärfe und anständigem Detailumfang, jedoch schwankt dieser auch je nach Bildhelligkeit. Kurz gesagt: Der Film sieht sehr schön auf Blu-ray aus.

Ton:

Jongsu (Yoo Ah-in), Haemi (Jun Jong-seo) und Ben (Steven Yeun) auf der Terrasse von Jongsus Elternhaus
Jongsu (Yoo Ah-in), Haemi (Jun Jong-seo) und Ben (Steven Yeun) auf der Terrasse von Jongsus Elternhaus © capelight pictures

In akustischer Hinsicht erweist sich „Burning“ als ruhiger und entsprechend frontlastiger Film. Gelegentlich streuen sich präzise angelegte Umgebungsgeräusche oder die spärlich eingesetzte Filmmusik ein. In einer Clubszene kommt der Subwoofer enorm wuchtig und kraftvoll zur Geltung, ansonsten zeigt sich dieser nur bei den Tieftönen der Filmmusik. Darüber hinaus überzeugt die Klarheit und Verständlichkeit der Stimmen in beiden Tonspuren.

Extras:

Auch wenn Capelights Mediabook gewohnt liebevoll ausfällt, enttäuscht das Bonusmaterial auf der Disc. Hier liegen nur zwei nette, aber sehr kurze Featurettes und diverse Trailer vor. Sehr interessant ist der Inhalt des erhellenden Booklets, der aus einem Text von Lukas Barwenczik und einem ursprünglich im Sight & Sound veröffentlichten Interview mit Lee Chang-dong besteht.

Darüber hinaus darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass Capelight mit „Peppermint Candy“ noch einen weiteren Film von Lee Chang-dong spendiert. Das ist alles andere als ein herkömmliches Extra, denn der zweite Film von Chang-dong aus dem Jahr 1999 ist ein echtes Juwel, das erstaunlicherweise hier zum ersten Mal in Deutschland veröffentlicht wird. Der Film erzählt die Geschichte von Yong-ho (Sol Kyung-go), einem Geschäftsmann, der nach der asiatischen Finanzkrise 1997 vor dem Ruin steht und Selbstmord begeht. Der Film erzählt die prägenden Ereignisse seines Lebens anhand von Flashbacks über einen Zeitraum von 30 Jahren bis hin zum berüchtigten Gwangju-Aufstand, bei dem 165 sich gegen die südkoreanische Militärdiktatur auflehnende Studenten ermordet wurden. Der Film zeigt Yong-hos Werdegang vom unschuldigen Studenten zum Soldaten und Polizisten bis zu seinem Ende als Geschäftsmann in umgekehrter Reihenfolge. „Peppermint Candy“ ist ein herausragender und außergewöhnlicher Film, der „Burning“ in nichts nach steht und den Kauf des Mediabooks alleine rechtfertigt. Ein tief bewegender, komplexer und origineller Film.
• Hinter den Kulissen (04:09 Min.)
• Die Schauspieler von Burning (02:23 Min.)
• Trailer International (01:19 Min.)
• Teaser International (00:54 Min.)
• Deutscher Kinotrailer (02:12 Min.)
• Filmtipps

Blu-ray Wertung
  • 9/10
    Film - 9/10
  • 8.5/10
    Bild - 8.5/10
  • 8/10
    Ton - 8/10
  • 7.5/10
    Extras - 7.5/10
8.5/10

Kurzfassung

Ein faszinierendes und mysteriöses Kinowunder.

Fazit:

„Burning“ ist ein faszinierendes und mysteriöses Kinowunder, das von der Rätselhaftigkeit unserer Existenz handelt und in bedächtigem Erzähltempo einen immensen Sog aufbaut. Meisterregisseur Lee Chang-Dong gelang einer der außergewöhnlichsten Filme der letzten Zeit, der mit seinem ambivalenten und geheimnisvollen Grundton gleichermaßen frustriert wie fasziniert. Dazu ist „Burning“ atmosphärisch enorm dicht und betört mit starken und poetischen Bildern, die echte Kinomagie entfachen und sich lange im Gedächtnis festsetzen.

Das Mediabook lohnt schon alleine durch die Beilage von Chang-dongs zweitem Film „Peppermint Candy“, der sowohl formal brillant als auch tief bewegend ist und hier zum ersten Mal in Deutschland veröffentlicht wird.


von Florian Hoffmann

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