Benedetta – Das 2-Disc Limited Collector’s Edition im Mediabook in der Review

Benedetta: Verbotene Nähe: Das Liebesspiel zwischen Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) und Schwester Benedetta (Virginie Efira) spitzt sich zu.
Benedetta: Verbotene Nähe: Das Liebesspiel zwischen Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) und Schwester Benedetta (Virginie Efira) spitzt sich zu. © capelight pictures / Koch Films

Die Kritik:

Nach seinem schmuddeligen Mittelalterfilm „Flesh and Blood“ kehrt der niederländische Regie-Provokateuer gut 35 Jahre später mit „Benedetta“ in ähnliche historische Gefilde zurück. Doch abgesehen von gewissen oberflächlichen Gemeinsamkeiten könnte der neuste Film des legendären „Robocop“- und „Basic Instinct“-Machers kaum unterschiedlicher sein. Nachdem Verhoeven in seinen beiden letzten Filmen „Black Book“ und „Elle“ seine feministische Seite mehr denn je zuvor entdeckt hat, dreht sich auch „Benedetta“ ganz um das Portrait einer faszinierenden, kaum greifbaren und sogar historisch belegten Frau. Wer jedoch bei der Verbindung lesbische Nonnen mit dem Namen Paul Verhoeven einen reinen Expolitationfilm voller Tabubrüche erwartet, gehört zu denjenigen, die diesen Filmemacher wie so viele andere seit Jahrzehnten missverstanden haben. Tatsächlich liefert Verhoeven hier einen weiteren faszinierend vielschichtigen Film, der seine komplexen Themen überaus unterhaltsam verarbeitet. Dennoch, auch wenn der Trailer den Eindruck macht, ein weiteres „Portrait einer jungen Frau in Flammen“ gibt es hier jedenfalls trotz der Darstellung lesbischer Liebe nicht zu sehen.

Benedetta: 2-Disc Limited Collector's Edition im UHD-Mediabook (4K Ultra HD + Blu-ray)
Benedetta: 2-Disc Limited Collector’s Edition im UHD-Mediabook (4K Ultra HD + Blu-ray)
© capelight pictures / Koch Films

Das Italien der Frührenaissance im 17. Jahrhundert: Die junge Benedetta Carlini (Elena Plonka) wird ins Kloster von Pescia unter der Führung von Mutter Oberin Felicita (Charlotte Rampling) aufgenommen, um Gott zu dienen. Schon als Kind wird sie mehrfach von scheinbaren Wundern heimgesucht, etwa als sie im Kloster beinahe von einer Marienstatue erschlagen wird. Auch als Erwachsene (Virginie Efira) setzen sich nicht nur die Wunder fort, sie wird auch von wahnwitzigen Jesus-Visionen heimgesucht: So erscheint ihr zunächst ein attraktiver und sanftmütiger Jesus, der in weiteren Träumen immer heroischer wird und Schlangen mit Schwerthieben bekämpft, später aber auch als scheinbar geschlechtslose Person am Kreuz hängt und Benedetta zu sich bittet. Diese drastischeren Visionen hängen wohl unmittelbar mit der vor ihrem Vater flüchtenden Bartolomea (Daphne Patakia) zusammen, die im Kloster ihre Rettung findet und in die Obhut von Benedetta kommt. So fühlt sich die gottesfürchtige Nonne nämlich von dem forschen und sexuell offenen Neuzugang angezogen, womit sie sich in einem zunehmend quälenden Konflikt mit ihrem Glauben befindet…

Wenn man es reißerischer will, könnte man „Benedetta“ auch noch den Untertitel „Sex, Wunder und Kruzifixe“ spendieren. Doch wer Verhoeven auf seine scheinbaren Provokationen reduzieren will, dem entgeht wie schon so oft der wahre Tiefgang eines zutiefst eigenwilligen und faszinierenden Filmemachers. Sicher, auch hier findet sich manchmal beiläufig und infantil anmutender Humor, wie der Vogelschiss auf einen bedrohenden Räuber, den Benedetta zuvor als die Stimme der Jungfrau ankündigt. Auch die furzenden Skelettmänner, die kurz vor der Ankunft Benedettas auf dem Marktplatz von Pescia das Volk amüsieren, zeigt ebenso Verhoevens besonders spitzbübigen Sinn für Humor wie Bartolomea, die in ihrer ersten Nacht an Benedettas Seite proklamiert „Schwester Benedetta, ich muss mal kacken“. Doch natürlich portraitiert Verhoeven hier auch eine schmuddelige Zeit, die eben nicht immer so geschmackvoll wie in manch anderer dekorativ blumigen Kostümfilm-Extravaganz verklärt wird.

In allem, was Verhoeven berührt, zeigt sich ein Wille zur Entlarvung und zum expliziten Hinsehen, wo andere wegschauen. Das mag man amüsant finden oder auch abschreckend, Verhoeven war jedenfalls noch nie jemand, der sich vor Tabus gescheut hat. Jedenfalls provoziert der nun 83-jährige Niederländer nie um der Provaktion willen, wenn die kleine Benedetta direkt an der Brust der Marienstatue nuckelt, die sie beinahe erschlagen hat, dann hat das auch eine Bedeutung, die über einen Angriff auf Sitte und Anstand hinausgeht. Welche genau, muss man sich als Zuschauer konstant erarbeiten, ebenso, warum etwa der in einer Vision erscheinende Jesus merkwürdigerweise geschlechtslos dargestellt wird. Denkt man ein wenig über gewisse Zusammenhänge nach, erschließt sich hier aber schnell ein sehr schlüssiges Bild.

Gottesfürchtig: Benedetta (Virginie Efira) übt sich in Demut.
Gottesfürchtig: Benedetta (Virginie Efira) übt sich in Demut.
© capelight pictures / Koch Films

Im Kern des Films wird ein ungemein komplexes Portrait einer Frau gezeichnet, die man nie genau lesen kann: Klar ist, dass Benedetta zunehmend hin- und hergerissen zwischen ihrer Frömmigkeit und der natürlich unerhörten Anziehung zum anderen Geschlecht ist. Der alleinige Gedanke an gleichgeschlechtliche Liebe war in der damaligen Gesellschaft enorm verpönt, ganz geschweige denn unter Angehörigen der Kirche – zumindest in der Außendarstellung. So zeichnet der Film ein sehr intensives Hin und Her zwischen diesen beiden Frauen, wobei Bartolomea ganz klar zunächst den aktiven Part darstellt, der Benedetta herausfordert und sie verführen will. Bartolomea mag zwar vor ihrem Vater geflüchtet sein, die Tatsache, dass sowohl er als auch ihre Brüder sie regelmäßig missbraucht haben, erzählt sie aber derart beiläufig, dass man meinen könnte, sie hätte – Gott bewahre – Gefallen daran gefunden. Dass sie diese Gedanken ganz freizügig beim gemeinsamen nächtlichen Latrinenbesuch mit Benedetta preisgibt, unterstreicht den merkwürdig konfrontativen Eindruck dieser verspielt-freizügigen Frau nochmal.

Der Film generiert große Spannung und einen hohen Unterhaltungswert durch seine absolute Unvorhersehbarkeit und seine erotisch aufgeladene Stimmung, das Verbotene und den jederzeit möglichen Grenzüberschritt. Gänzlich ins Rollen kommt die Handlung, als Benedetta nach einer der besagten nächtlichen Jesus-Visionen Stigmata-Wundmale aufweist und fortan unter dem im Kloster kontrovers diskutierten Eindruck steht, möglicherweise eine Heilige zu sein. Hier wird der Film nun besonders faszinierend, denn es kommt auch im weiteren Verlauf zu scheinbaren unerklärlichen Wundern. Verhoeven läuft hier den ganz schmalen Grat der Ambivalenz, denn er macht nie ganz klar, ob Benedetta eine manipulative, sich selbst Wunden zuführende Hochstaplerin oder wirklich eine von Gott berührte Auserwählte ist. Vielleicht ist sie aber auch eine Mischung aus beidem und sie entlarvt nur teils bewusst und teilweise unbewusst den Opportunismus und die allgegenwärtige Doppelmoral um sie herum. Ihr Aufstieg von der einfachen Betschwester zur Äbtissin ist jedenfalls nie von offensichtlichem Machstreben geprägt, viel mehr bleibt sie auch in ihrer neuen Position gegenüber der Gemeinde stets wohlwollend und verständnisvoll.

Benedetta: In ihren Visionen wird Benedetta (Virginie Efira) von gottlosen Kriegern gejagt.
Benedetta: In ihren Visionen wird Benedetta (Virginie Efira) von gottlosen Kriegern gejagt.
© capelight pictures / Koch Films

Diese Nicht-Eindeutigkeit in dem Portrait einer komplexen Frauenpersönlichkeit hat bereits „Elle“ so ausgezeichnet. So liegt die Klasse von „Benedetta“ darin, dass er mit den reißerischen Oberflächen des Nunsploitation-Genres spielt, im Kern aber hochgradig Komplexes und Ambivalentes schafft. Vor Schockmomenten grober Gewalt inklusive absonderlicher phallischer Folterwerkzeuge, einer Selbstgeißelung oder den Auswirkungen der Pest ziert sich der Film ebenso wenig wie vor der Darstellung von recht freizügigem lesbischen Sex, den Verhoeven sowohl lustvoll wie auch spielerisch darstellt. Ein aus einer Marienfigur geschnitzter Dildo mag zwar streng Gläubige in Ohnmacht fallen lassen, alle anderen dürften sich jedenfalls an der wunderbaren metaphorischen Ironie eines solchen Objekts erfreuen. So ist der Film eben sehr unterhaltsam, kann aber trotzdem große Themen verarbeiten, die die Intelligenz der Zuschauenden respektiert, ohne simple Antworten zu geben.

„Benedetta“ entlarvt so nicht einfach nur die Machtspiele einiger Würdenträger der Kirche (vor allem in Form des eitlen von Lambert Wilson gespielten Nuntius), sondern letztlich auch die Doppelmoral und Schwäche aller Beteiligten. Plumpe, wenn auch angebrachte Kirchenkritik ist das zumindest nicht uneingeschränkt, dafür ist Verhoeven ein viel zu intelligenter und reifer Filmemacher. Hier kriegt letztlich jeder sein Fett weg, wie auch in seinem vorigen Werk erkennt Verhoeven brillant die Dualität und Unberechenbarkeit, die uns allen innewohnt. Zugleich gelingt es ihm ohne erhobenen Zeigefinger einen sehr modernen, allgemeingültigen und feministischen Film zu schaffen, der sich damit auch kritisch mit der Gegenwart auseinandersetzt.

Bild:

Regisseur Paul Verhoeven und seine Kamerafrau Jeanne Lapoirie setzen bei „Benedetta“ weitestgehend“ auf einen sehr sauberen und glatten Look. Der mit Arri Alexa Mini aufgezeichnete Film zeigt nur in dunkleren Szenen eine deutliche Textur durch feines digitales Rauschen. Ansonsten präsentiert der Film häufig in Tages-Außenszenen ein förmliches strahlendes Bild. Schärfe und Detailumfang erweisen sich auch auf UltraHD-Disc nur als sehr gut, Luft nach oben gibt es bei genauer Betrachtung aber. Kontrast und Schwarzwerte sind größtenteils hervorragend, wobei es auch hier gelegentliche Schwankungen gibt. Dennoch, im Großen und Ganzen erhält man hier ein nahezu tadelloses Bild.

Ton:

„Benedetta“ erweist sich als primär dialogbasierter Film, wodurch sich der akustische Großteil auf den Frontlautsprechern abspielt. Insbesondere bei Anne Dudleys Musikeinsatz wird es aber auch kraftvoll und der Subwoofer wird effektiv eingesetzt. Richtig räumlich wird es bei der Abmischung in DTS-HD 5.1 aber nur eher subtil. Stimmen und Dialoge sind in beiden Sprachfassungen sehr klar und verständlich abgemischt.

Extras:

Capelight hat sich erwartungsgemäß wieder große Mühe bei der Umsetzung des Mediabooks gegeben. Die Gestaltung dessen erweist sich als sehr liebevoll: So gefällt vor allem die Hochglanzprägung auf dem Cover mit dem „kontroversen“ Originalpostermotiv, die äußerst hochwertig daherkommt. Für Sammler wird hier also wieder Tolles geboten.

Ein Mediabook wäre natürlich nichts ohne guten Inhalt. Hier wird ein sehr ausführliches und hintergründiges Essay der Kulturwissenschaftler*innen Laura Erler und Marco Heiter auf 23 Seiten geboten.

An digitalem Bonusmaterial enthält die Disc ein Making of sowie ein Interview mit Paul Verhoeven. Beides erweist sich als sehr interessant, wobei das als „Der Weg ins Kloster“ betitelte Making of eher als zwei mit wenigen Set-Eindrücken und Szenen angereicherte Interviews mit Verhoeven sowie Hauptdarstellerin Virginie Efira entpuppt. Das gesonderte Verhoeven-Interview ist gewohnt unterhaltsam und einsichtsreich, auch wenn es natürlich einige inhaltliche Überschneidungen mit den Kommentaren aus dem Making of gibt.

  • Der Weg ins Kloster (42:49 Min.)
  • Interview mit Paul Verhoeven (27:46 Min.)
  • Trailer (01:47 Min.)
  • Trailershow
Blu-ray Wertung
  • 8/10
    Film - 8/10
  • 8/10
    Bild - 8/10
  • 8/10
    Ton - 8/10
  • 6.5/10
    Extras - 6.5/10
7.5/10

Kurzfassung

Erstaunlich unterhaltsames und unberechenbares Portrait.

Fazit:

„Benedetta“ entuppt sich als erstaunlich unterhaltsames und unberechenbares Portrait einer faszinierend komplex gezeichneten Frauenpersönlichkeit. Paul Verhoeven spielt mit den reißerischen Oberflächen des Nunspolitation-Genres, unterwandert es dann aber mit einer thematisch vielschichtigen und nuancierten Studie über Emanzipation, Doppelmoral und Macht.

 


von Florian Hoffmann

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