Alles was kommt – Blu-ray Kritik: Ruhiges Drama

Alles was kommt: Nathalie (Isabelle Huppert)
Alles was kommt: Nathalie (Isabelle Huppert) (© Ludovic Bergery - CG Cinéma)

Die Kritik:

Alles was kommt - Blu-ray Cover
Alles was kommt – Blu-ray Cover © Weltkino Filmverleih GmbH

Mit gerade mal 35 Jahren hat sich Mia Hansen-Løve zu den vielversprechendsten Regietalenten des europäischen Films etabliert und präsentierte mit „Alles was kommt“ bei der letztjährigen Berlinale ihren bereits fünften Spielfilm. Dafür gab es den Silbernen Bären für die beste Regie und jede Menge Anerkennung. Unterstützt wird Hansen-Løve hier von der großartigen und unvergleichlichen Isabelle Huppert, die diese ruhige Momentaufnahme des Lebens einer intellektuellen und komplexen Frau in ihren Sechzigern mit großem Selbstbewusstsein und scheinbarer Leichtigkeit trägt. Wie schon in ihren vorigen Filmen, etwa dem epischen und zugleich intimen „French Touch“ Disco-Ära-Portrait „Eden – Lost in Music“ oder der feinfühligen Romanze „Eine Jugendliebe“, inszeniert Hansen-Løve betont undramatisch und weicht herkömmlicher Konflikterzählung stets aus, um sich einer tiefgründigeren und komplexeren Wahrheit zu nähern. Heraus kam ein sehr interessanter und zutiefst menschlicher Film, in dem eigentlich nicht viel passiert, aber bei dem umso mehr zwischen den Zeilen steht.

Nathalie (Isabelle Huppert) ist eine Philosophielehrerin, die mit ihrem Mann Heinz (André Marcon) und ihren beiden erwachsenen Kindern eine gutbürgerliche Existenz in Paris lebt. Ihre dem Leben und Altern überdrüssige Mutter Yvette (Edith Scob) lebt schon lange allein mit ihrer Katze Pandora, leidet an Depressionen und verlangt viel Aufmerksamkeit von ihrer Tochter. Mit ihrem radikal denkenden Doktorand und ehemaligen Schüler Fabien (Roman Kolinka) verbindet sie eine Art Seelenverwandtschaft und platonische Freundschaft, weshalb sie viel Zeit mit ihm verbringt und deshalb schon etwas argwöhnisch von ihrer Familie betrachtet wird. Neben ihrer Lehrertätigkeit hat sie ein paar renommierte Philosophiebücher auf den Markt gebracht, die sich jedoch angesichts eines sich radikal veränderten Literaturmarktes nicht mehr so einfach behaupten.

Alles was kommt: Nathalie (Isabelle Huppert) mit Enkelkind
Alles was kommt: Nathalie (Isabelle Huppert) mit Enkelkind (© Ludovic Bergery – CG Cinéma)

So gerät sie immer mal wieder in den Clinch mit ihrem Verlag, der mit aggressiver Covergestaltung für einen Anstieg der Verkaufszahlen sorgen will. In ihrem beruflichen Umfeld kommt es wegen der Rentenreform immer wieder zu zahlreichen Schülerstreiks, die sie jedoch völlig kalt lassen. Sie ist an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, der frei von wütenden und revolutionären Gedanken ist. Doch vor ihr liegt eine Phase der Umbrüche, die sie vor unerwartete Scheidewege und eine neu gewonnene Freiheit stellen wird.

Wie schon Hansen-Løves vorige Filme ist auch „Alles was kommt“ stark autobiografisch gefärbt, auch wenn sie hier ein Portrait einer Frau zeichnet, die doppelt so alt wie sie ist. Genau wie im Film dargestellt, ist Hansen-Løve von zwei Eltern großgezogen worden, die beide Philosophie unterrichtet haben. Ihr eigenes Interesse und ihre Leidenschaft für das Denken und Dichten (sie hat einen Master in deutscher Philosophie gemacht) ist diesem Film überdeutlich anzumerken, denn immer wieder wird teils recht ausschweifend philosophiert und Schopenhauer und Co. zitiert. Das intellektuelle Milieu, das Hansen-Løve hier darstellt, wirkt so überaus authentisch und präzise beobachtet, trotz aller Faszination für das Sujet kann der Film aber auch eine leichte Distanz zum Zuschauer aufbauen. Im Mittelpunkt des Films steht jedoch die Selbstfindungsreise einer starken Frau, die vor große Herausforderungen gestellt wird und diese bestmöglich zu meistern versucht.

 Alles was kommt: Nathalie (Isabelle Huppert) und ihre Mutter Yvette (Edith Scop)
Alles was kommt: Nathalie (Isabelle Huppert) und ihre Mutter Yvette (Edith Scop) (© Ludovic Bergery – CG Cinéma)

„Alles was kommt“ ist ein ruhiger, beobachtender, vielschichtiger und überaus reifer Film, der mit großem Einfühlungsvermögen, aber ohne den kleinsten Anflug von Melodramatik das Leben einer Frau im mittleren Alter portraitiert. Das inszeniert Hansen-Løve ohne jede Künstlichkeit, auf Filmmusik wird etwa völlig verzichtet – erst im zweiten, sich zunehmend mit der Protagonistin öffnenden Akt ertönt hier das erste Musikstück. „Alles was kommt“ ist zweifelsohne nicht ohne seine einschneidenden Momente, dennoch wirkt die Erzählung betont undramatisch und ungezwungen. Hier geht es um die scheinbar beiläufigen Momente des Lebens, wodurch der Film der tatsächlichen menschlichen Erfahrung sehr nahe kommt. Das bedeutet auch, dass der Film den Zuschauer nicht an die Hand nimmt und ein emotionaler Zugang nicht unbedingt leicht fällt, was auch an der fast immer gefasst und letztlich etwas unnahbar wirkenden Nathalie liegt, die sich all ihren existenzialistischen Problemen mit Trotz und nur selten angedeuteter Verletzlichkeit gegenüberstellt. Sie begegnet ihrer Midlife-Crisis mit stoischer Ruhe und Gelassenheit – so wie auch der Film auf die Unwägbarkeiten des Lebens selbst zu blicken scheint. Erfrischenderweise wird hier das Portrait einer überaus komplex und lebensnah gezeichneten Frau gezeigt, die ihr Glück nicht von Männern abhängig macht und letztlich völlig selbstbestimmt ist. Die Antworten, die Hansen-Løve in „Alles was kommt“ auf der Sinnsuche ihrer Hauptfigur findet, sind oft unerwartet und am Ende angenehm unkonventionell, eine echte Katharsis darf man aber eher nicht erwarten. Was den Film ironischerweise vielleicht gerade nochmal besser und nachwirkender macht.

Bild:

Alles was kommt: Nathalie (Isaelle Huppert) und ihr ehemaliger Schueler Fabien (Roman Kolinka)
Alles was kommt: Nathalie (Isaelle Huppert) und ihr ehemaliger Schueler Fabien (Roman Kolinka) (© Ludovic Bergery – CG Cinéma)

Das Bild der Blu-ray von „Alles was kommt“ präsentiert sich als sehr ausgewogen und natürlich. Der im Sommer spielende Film strahlt entsprechende Wärme aus, ist aber in seiner Ästhetik nie etwas anderes als naturalistisch angelegt. Kameramann Denis Lenoir hat 35mm-Arricams als Aufnahmequelle genutzt, wodurch das Bild eine hübsche Filmkorn-Textur aufweist. In Sachen Schärfe und Detailumfang zeigt das Bild der Blu-ray sehr gute Werte, Kontraste und Schwarzwerte sind ebenfalls als natürlich zu bezeichnen – je nach gewünschter ästhetischer Wirkung fallen sie mal weicher, mal intensiver aus.

Ton:

In Sachen Klarheit und Verständlichkeit präsentiert sich die akustische Umsetzung des Films auf Blu-ray in hervorragender Verfassung. Insgesamt ist hier ein erwartungsgemäß ruhiger und primär dialog- und damit frontbasierter Film zu sehen. Dennoch wird immer wieder Platz für subtile, aber differenzierte atmosphärische Räumlichkeit gefunden. Eine sehr gute Umsetzung.

Extras:

Abgesehen von einem intellektuell aufschlussreichen, aber recht knappen Interview mit Mia Hansen-Løve finden sich hier nur diverse Trailer.
Arte-Interview mit Regisseurin Mia Hansen-Løve (09:46 Min.)
Trailer (01:14 Min.)
Trailershow (Paterson, Mommy, Mustang, Jung & Schön, Taxi Teheran, Winterschlaf, Eine neue Freundin, Caracas, meine Liebe)

Blu-ray Wertung
  • 7/10
    Film - 7.0/10
  • 9/10
    Bild - 9.0/10
  • 9/10
    Ton - 9.0/10
  • 4/10
    Extras - 4.0/10
7/10

Kurzfassung

Ruhiges, impressionistisches, betont undramatisches und sehr französisches Drama mit einer weiteren herausragenden Leistung von Isabelle Huppert.

Fazit:

„Alles was kommt“ ist ein reifes und ruhig beobachtetes Portrait einer Frau in ihren Sechzigern, die sich einer Reihe von persönlichen Umbrüchen gegenübergestellt sieht. Der auf die kleinen Momente des Lebens bauende Film kommt ohne jede aufgesetzte Dramatik aus und wird exzellent von einer gewohnt kontrolliert agierenden Isabelle Huppert getragen.


von Florian Hoffmann

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