Getränke im Film – Teil 1: Milch

Milch im Film
Milch im Film

Als Medienwissenschaftler stolpert man im Laufe seines Studiums häufig über mehr oder weniger spannende Themen. Ein Thema, welches auf den ersten Blick langweilig erscheint, ist auf den zweiten umso interessanter: Milch im Film.


Doch was hat es mit der weißen Flüssigkeit auf sich? Wenn man viele Filme und Serien schaut hat man bestimmt schon einmal jemanden Milch trinken sehen. Hans Landa trinkt das tierische Erzeugnis in der grandiosen Eröffnungsszene von „Inglorious Basterds“, Léon (ein ziemlicher Profi auf seinem Gebiet) bevorzugt ebenfalls Milch als Drink in Luc Bessons „Léon – Der Profi“ und in Alfred Hitchcocks „Verdacht“ wird Milch zur potentiellen Lebensgefahr für Joan Fontaine. Dies sind nur einige wenige Beispiele für die Vielseitigkeit des calciumhaltigen Getränks – ganz zu schweigen von den etlichen Einsätzen in Verbindung mit Müsli (auf die wir hier einmal nicht eingehen wollen).

Wer jetzt noch denkt, ich würde spaßen liegt vollkommen daneben. Während meines Studiums führte uns unser Dozent die oben angesprochene Szene aus „Verdacht“ vor und sprach mit uns über die Funktion von Milch. Ein Themengebiet, welches mich schon länger beschäftigte, lag plötzlich offen vor mir. Mein Dozent sagte im Grunde das gleiche, wie Thomas Glörfeld in seinem Artikel „Milch im Film“: „Wenn Männer im Kino Milch trinken, dann nicht, um munter zu werden, sondern weil die Filmschaffenden eine Disparität [d.h. Ungleichheit] aufzeigen wollen.“

Milch steht also dafür, dass der Zuschauer, ob bewusst oder unbewusst, einen Charakter als komisch, sonderbar oder gar surreal wahrnimmt. Es soll einfach ein Gefühl der Ungereimtheit, der Ungleichheit erzeugen. Oftmals sind es gerade die maskulinsten und bösesten Charaktere, die Milch trinken. Hans Landa trinkt Milch (sogar mehrere Gläser) während er in einem zermürbend langen Verhör den Standort von flüchtenden Juden herausfinden möchte. Auch Javier Bardem in „No Country for Old Men“ ist eigentlich ein skrupelloser Mörder, doch hält erst einmal inne, um sich noch ein Glas hinter die Binde zu kippen. In Kubricks „Uhrwerk Orange“ gehen Alexander DeLarge und dessen Spießgesellen vor und nach den brutalen und teils tödlichen Übergriffen erst einmal in die Milchbar und gönnen sich genüsslich ein Gläschen.

Doch warum entsteht dieser Effekt? Das hat meiner Meinung nach drei Gründe, die aber irgendwie auch zusammenhängen. Milch ist ein eher kindliches Getränk. Während der durchschnittliche Erwachsene höchstens noch einmal einen Schluck Milch in seinen Kaffee mischt, trinken Kinder des Öfteren ein Glas der undurchsichtigen Flüssigkeit. Außerdem werden sie ja in der Zeit nach ihrer Geburt mit Milch und Muttermilch gefüttert. Von diesem Standpunkt ausgehend steht Milch zudem für Unschuld und Kindlichkeit. Der letzte und vielleicht auch wichtigste Grund, den ich mir nach jahrelangen Gedanken und nach etlichen Recherchen ausmalen kann ist, dass Milch einfach kein typisches Getränk ist. Entweder bietet man einem ein Wasser (durchaus natürlich gemischt mit Säften), eine Limonade oder alkoholische Getränke, wie Bier oder Schnaps an. All diese Getränke bedeuten unterbewusst im Film natürlich ebenfalls verschiedene Dinge (Artikel dazu folgen). Jedoch ist Milch etwas Ungewöhnliches und niemand käme auf die Idee einem Gast im echten Leben erst einmal Milch zum Trinken anzubieten.

Dadurch lassen sich jetzt auch einige andere Charaktere erklären. Léon (ja genau, wieder dieser Profi) ist eigentlich ein Auftragskiller und dementsprechend kein guter Mensch. Gleichzeitig kümmert er sich aber um die junge Mathilda. Die Milch symbolisiert nicht nur, dass er in irgendeiner Weise ein unrunder Charakter ist, sondern auch, dass er eine unschuldige Seite hat. Hitchcock nutzt die Milch – eine unschuldige Substanz – um einen inneren Konflikt des Charakters aufzubauen. Ist die Milch mit Gift gemischt oder eben nicht? Es ist sicherlich kein Zufall, dass er zu diesem Getränk greift (welches nebenbei erwähnt großartig ausgeleuchtet wurde!).

Fassen wir also zum Schluss noch einmal zusammen. Milch im Film erscheint zunächst als ein wenig interessantes und unwichtiges Thema, sagt aber eigentlich einiges aus und trägt extrem zur Charakterbildung in einem Film bei. Wenn ihr also das nächste mal einen Film seht, in dem Milch getrunken wird, macht euch dieses wissen vielleicht ein wenig schlauer und hilft dabei den Filmgenuss zu verbessern.

von Jan Welsch

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