Parasite – Filmkritik: Humorvoll, feinsinnig, spannend, unvorhersehbar, brutal und tragisch

Die arbeitslose Familie Kim (Choi Woo Shik, Song Kang Ho, Chang Hyae Jin, Park So Dam) kommt gerade so u?ber die Runden.
Die arbeitslose Familie Kim (Choi Woo Shik, Song Kang Ho, Chang Hyae Jin, Park So Dam) kommt gerade so u?ber die Runden. © Koch Films

Die Kritik:

Am 17.10.2019 startete mit Parasite der Film des Jahres in die deutschen Kinos. Als erster südkoreanischer Film, welcher die goldene Palme gewann, als Film mit einem Metascore von 96, einer Rotten Tomatoes-Quote von 99% und einer IMDb-Bewertung von 8,6 gehört der neueste Streifen von Bong Joon-ho so gesehen auch zu den besten Filmen dieses Jahrzehnts und gilt als haushoher Favorit bei den Oscars für den besten fremdsprachigen Film. Den allermeisten Kinobesuchern und Kritikern war beim Abspann klar, dass sie gerade in den letzten gut zwei Stunden ein geniales Stück Kino bewundern durften. Was hier das Genie Bong Joon-ho erschaffen hat, übertrifft seine vorherigen Werke und sogar auch sein Meisterwerk „Memories of Murder“. Kurz gefasst bietet Parasite alles was Kino bieten kann. Humor, Spannung, Tragik, Unterhaltung auf höchstem Niveau, Intelligenz in der Erzählung und Erzählweise, Kurzweiligkeit, Brutalität und eine perfekte Inszenierung, die sich durch den ganzen Film Frame für Frame zieht.

Parasite Artwork Filmplakat
Parasite Artwork Filmplakat © Koch Films

Um Parasite umfassend zu rezensieren, muss man in besonderem Maße ausführlich die Hauptaspekte eines jeden Films, nämlich das Schauspiel, die technische Umsetzung und Inszenierung sowie den Inhalt und die Erzählweise, kritisch würdigen. In besonderem Maße deswegen, weil hier Bong Joon-ho so ziemlich das Maximum rausholt, was Kreativität angeht. Es ist eine beeindruckende Kameraarbeit. Die Kamera geht geschmeidig durch das Haus der Parks oder durch die Souterrain-Wohnung der Kims. Ohne Wackler und ohne jeglichen Makel werden hier für den Zuschauer allein durch die beeindruckende Optik großartige Bilder erschaffen. Darüber hinaus lässt Kameramann Hong Kyung-pyo in vielen Szenen die Kamera länger stehen und hat stets ein perfekt ausgestattetes und ausgeleuchtetes Bild. Hinzu kommt ein unglaublich sauberer Schnitt. Das Editing ist wohl dosiert. Es gibt hier generell wenige Schnitte, jedoch immer im richtigen Moment, sodass Bong Joon-ho nie ein Bild oder eine Szene durch technische Mittel ausreizt. Den Machern ist vielmehr gelungen jeden Übergang von Szene zu Szene elegant zu lösen. In der Mitte des Films gibt es eine längere Montage, die schlichtweg brillant in Szene gesetzt worden ist und vor allem auch sensationell geschrieben ist, auch wenn der inhaltliche Aspekt des Films später in dieser Kritik beleuchtet wird. Diese Montage gipfelt in einen brillanten Shot, der sich wie die Kirsche auf der Torte anfühlt. Darüber hinaus hat der Film einen unfassbar guten Schlusspunkt. Wenn man schon denkt, dass der Abspann jetzt läuft und der Film zu Ende ist, kommt ein weicher Szenenübergang und bietet dem Zuschauer einen perfekten Schlusspunkt mit einem beeindruckenden letzten Kamera-Shot, der nicht nur inszenatorisch gelungen ist, sondern ein gewisses Gewicht für die Geschichte im letzten Drittel besitzt.

Doch Parasite folgt definitiv nicht dem Grundsatz „Style over Substance“. Denn hier gibt es nicht nur eine spannende, unvorhersehbare und humorvoll erzählte Geschichte. Es gibt hier eine politische und gesellschaftskritische Komponente im Storytelling, die sich zwar in diesem Fall konkret auf die Reich-Arm-Schere in Südkorea bezieht, jedoch auch über die Landesgrenze hinaus weltweit anwendbar ist. Bebildert ist dies letztlich mit einem wirklich starken Szenenbild. Das Production Design ist hier mehr als nur authentisch. Der Film lässt nicht nur seine Figuren, sondern oftmals einfach die Bilder sprechen und bietet dem Zuschauer somit beispielsweise gleich in der ersten Szene einen unverzüglichen Zugang in die Welt der Kims. Ober- und Unterschicht werden simpel, aber sehr geschickt durch die verschiedenen Arten der beiden Häuser/Wohnungen dargestellt. Darüber hinaus gewinnt das Thema Ober- und Unterschicht durch das Szenenbild in der zweiten Hälfte des Films eine weitere Ebene. Doch bevor man sich der gesellschaftskritischen Komponente des Drehbuchs widmet, sollte man einen Blick auf die Geschichte und der Erzählweise als solches werfen, denn diese hat es in der Tat in sich.

Für kostenloses Internet kriechen Ki-jung (Park So Dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo Shik) in die entlegensten Ecken ihrer Behausung
Für kostenloses Internet kriechen Ki-jung (Park So Dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo Shik) in die entlegensten Ecken ihrer Behausung © Koch Films

Der Film fängt recht harmlos und unaufgeregt an. Der Zuschauer wird unmittelbar in das Leben der vierköpfigen Familie Kim geworfen und bekommt schnell einen ausreichenden Eindruck über deren Lebensverhältnisse, über die Charaktere selbst sowie die Familiendynamik innerhalb der Familie. Doch nach und nach dreht hier Bong Joon-ho an der Spannungsschraube und offenbart dem Zuschauer immer mehr, was hier eigentlich vor sich geht und was der eigentliche Handlungsstrang sein kann. So bleibt der Film stets äußerst unvorhersehbar, mit extrem gutem Timing für Humor und einer konsequenten Handlungsführung durch die Geschichte. Es ist beeindruckend, wie Bong Joon-ho es auch schafft, mit jeder einzelnen Szene seine Geschichte fortzuführen und pausenlos ohne zu hetzen erzählerisch immer mehr Tiefe zu gewinnen. Denn sobald der Zuschauer das Gefühl bekommt, er wisse, wohin die Reise bei Parasite geht, öffnet sich eine weitere Facette der Handlung, die einen ein weiteres Mal überrascht. So ist Parasite zwar kein Film, der die Genres von Szene zu Szene wechselt, sondern sie geschickt vermengt, sodass der Film witzig, spannend, brutal und tragisch zugleich ist, ohne einen Comic Relief einzubauen oder einen Cut zwischen einer lustigen Phase oder tragischen Phase zu platzieren. Keiner der Charaktere versucht hier witzig zu sein und es gibt hier keinen der für Komik insbesondere sorgen soll. So ist die Komik nicht entlastend, sondern immanent in der Familiendynamik innerhalb der Familie Kim als auch im Zusammenspiel mit der Familie Park. Der Film bleibt seiner unvorhersehbaren Erzählweise bis zum Schluss treu, ohne einen großen Twist einzubauen, der die Handlung auf den Kopf stellen würde. Große Kunst ist das schlichtweg. So gerät diese Geschichte mit fortschreitender Spielzeit zu einem heftigen Kinoerlebnis, dass in ein furioses Finale gipfelt. Zum Schluss nimmt jedoch Bong Joon-ho nochmals Tempo raus, um das Ganze sacken zu lassen, sodass letztlich der Film erzählerisch noch etwas weiter geht und in das im zweiten Absatz erwähnte perfekte finale Schlussbild mündet.

Yeon-kyo (Cho Yeo Jeong) hat keine Vorstellung davon, was in ihrem Haus vor sich geht.
Yeon-kyo (Cho Yeo Jeong) hat keine Vorstellung davon, was in ihrem Haus vor sich geht. © Koch Films

Bong Joon-ho hat hier nicht nur einfach einen großartigen Film inszeniert, der die Zuschauer in höchstem Maße unterhält und ihn im Kinositz beeindruckt zurücklässt. Die Rolle des Kapitalismus, die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, die sich nicht nur durch Geld definieren lässt und zu guter Letzt auch die Rolle von Geld im Leben von Menschen, sind alles Komponenten, die hier Bong Joon-ho mit einer Sublimität in seine Geschichte einflechtet, die einen zutiefst begeistert. So bringt er diese Aspekte nicht mit einem mahnenden Fingerzeig auf die Gesellschaft besserwisserisch ein und verzichtet hier auf polemische und oberflächliche Gesellschaftskritik, wie es vielleicht auch teilweise in Todd Philipps Joker der Fall war. Man nimmt teilweise die gesellschafts- und kapitalismuskritische Grundhaltung gar nicht wahr, da hier Bong Joon-ho nicht mit dem Vorschlaghammer vorangeht. Der Film zeigt auf sehr präzise Art und Weise, wie unterschiedlich Geld und Besitz den Menschen formen kann, wie schlecht man seine Umwelt wahrnehmen kann oder wie negativ oder positiv Dinge einer sozialen Schicht oder die Schicht selbst von einer anderen wahrgenommen werden können. Man müsste an dieser Stelle spoilern, um es an einzelnen Beispielen zu analysieren, wie konkret dies der Regisseur handhabt. Jedoch würde dies den Rahmen der ohnehin recht langen Kritik sprengen. Es sei nur soviel gesagt, dass Parasite extremst clever sowohl in seiner bloßen inhaltlichen Erzählung ist als auch in seiner gesellschaftskritischen Grundhaltung.

Ein Symbol für Glück: Ki-taek (Song Kang Ho) betrachtet den wertvollen Stein, der seinen Sohn lange begleiten wird.
Ein Symbol für Glück: Ki-taek (Song Kang Ho) betrachtet den wertvollen Stein, der seinen Sohn lange begleiten wird. © Koch Films

Zu guter Letzt dürfen die Darsteller nicht unerwähnt bleiben. Was hier von diesem Cast dargeboten wird, ist schon eine Meisterleistung für sich. Denn selten hat man einen Cast gesehen, der so konstant durch die Bank auf einem derart hohen Niveau spielt. Es ragt keiner extrem heraus, aber es fällt auch keiner ab. Song Kang-ho, der mit Bong Joon-ho bereits in Memories of Murder zusammenarbeitete, zeigt hier eine überaus ansprechende Leistung als liebevoller, ungebildeter, jedoch humorvoller und gerissener Familienvater und Ehemann. Er ist einfach mit dieser Figur Kim Ki-taek verschmolzen. Sowohl die Gangart, die Art zu sprechen, die Körperhaltung und die Mimik verleihen der Figur Tiefe und Authentizität. Doch nicht nur er glänzt. Auch wenn die schauspielerische Leistung durchweg überragend ist, muss man hier noch eine weitere Darstellerin herauspicken. Jo Yeo-jeong spielt die Frau von Park Dong-ik und ist die Mutter auf der Seite der reichen Familie. Die reiche, überfürsorgliche und naive Frau, der Scharfsinn aus vielerlei Gründen völlig abhandengekommen ist, wird von Jo Yeo-jeong wirklich auf erstaunlich natürliche Art und Weise porträtiert.

Filmwertung
10/10

Kurzfassung

Humorvoll, feinsinnig, spannend, unvorhersehbar, brutal und tragisch – Parasite, der Film des Jahres 2019.

Fazit:

Parasite auf einen gemeinsamen Nenner runter zu brechen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der Film ist äußerst facettenreich und bietet hohe Filmkunst an. Es ist Arthouse-Kino für die breite Masse. Mit einem ausgezeichneten Cast, einer sauberen und optisch ansprechenden Inszenierung, dank toller Kamera- und Schnittarbeit und einem unglaublich scharfsinnig geschriebenen Drehbuch, das nicht nur durch seine Unvorhersehbarkeit, Spannung und Witz extrem unterhaltsam ist, sondern auch besondere Botschaften mit sich trägt, ist Parasite sicherlich einer der stärksten Filme dieses Kinojahrzehnts.


von Morteza Wakilian

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