Once Upon a Time in… Hollywood: Filmkritik zum neunten Tarantino

Cliff Booth (BRAD PITT, r.) und Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO, l.)
Cliff Booth (BRAD PITT, r.) und Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO, l.) © Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Die Kritik:

In ihrer Essaysammlung „The White Album“ stellte Schriftstellerin Joan Didion einst fest, dass die 60er Jahre abrupt am 9. August 1969 endeten, als die Meldung von den Morden an Sharon Tate und ihren Hausgästen Abigail Folger, Jay Sebring und Wojciech Frykowski umherging. Das Ende einer Ära war für viele besiegelt, jedoch waren es eben nicht nur die grausamen Ritualmorde der Manson-Familie, die einen historischen Einschnitt darstellten. So hat sich die amerikanische Filmindustrie langsam ab Mitte der 60er Jahre gewandelt, als das New Hollywood das angestaubte System aufbrach und mit frischen Erzählweisen und einer Anti-Establishment-Haltung für frischen Wind im Kino sorgte. An diesem gesellschaftlichen Knackpunkt im Jahr 1969 ist Quentin Tarantinos neunter Film „Once Upon a Time in Hollywood“ angesiedelt und ist damit – genau fünfzig Jahre später – mit mehr Parallelen zur Gegenwart ausgestattet, als man zunächst vielleicht vermuten würde. Denn auch heute deutet sich ein epochaler Paradigmenwechsel in der Filmgeschichte an, der durch Streaming-Dienste und generell veränderte Sehgewohnheiten das gesamte Hollywood-System auf den Kopf zu stellen droht und das Fundament der einst so mächtigen Institution Kino zum Wackeln bringt.

Once Upon a Time in... Hollywood - Filmplakat
Once Upon a Time in… Hollywood – Filmplakat © Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

„Once Upon a Time in Hollywood“ ist ein von einem großen Studio produzierter, 95 Millionen Dollar-teurer Liebhaberfilm, ein unverblümter Liebesbrief an das Kino, die 60er und all diejenigen, die entgegen aller Umstände versuchen, ihren Status quo aufrecht zu erhalten und nicht unterzugehen. Nur noch eine ausgewählte Handvoll Filmemacher können heutzutage in einer von endlosen Remakes, Sequels, Animationsfilmen und vor allem Comicverfilmungen geprägten Filmlandschaft so ein Projekt stemmen, Quentin Tarantino ist einer von ihnen. Seine in purer Nostalgie liebevoll badende Ode an seine Leidenschaft macht zwar ungeheuren Spaß, ist höllisch cool und immer wieder verdammt witzig, aber auch von einer unterschwelligen, ganz feinen Melancholie und Sentimentalität geprägt, die man so von ihm eher nicht gewohnt ist. Tarantinos Plan, nur zehn Filme zu inszenieren und dann abzutreten, soll wohl wirklich Realität werden. Dass er sich trotz allen Hypes und fast dreißigjähriger popkultureller Relevanz auf höchstem Niveau in einer veränderten Filmwelt als jemand sieht, der dem Kino schon alles gegeben hat, was er geben konnte, passt zum Eindruck diesen Films, der auch locker ein gelungener Schlusspunkt seiner bemerkenswerten Karriere sein könnte.

Doch eins nach dem anderen: „Once Upon a Time in Hollywood“ handelt von dem fiktiven TV-Darsteller Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der es einst unter anderem durch die Hauptrolle in der Erfolgsserie „Bounty Law“ zu gewissem Ruhm gebracht hat, sich aber nun durch Gastauftritte als Bösewicht in anderen erfolgreichen TV-Serien durchschlägt. Dalton fürchtet, sein Ablaufdatum erreicht zu haben, wodurch er in eine existentielle Krise gerät. Essentieller Teil seines immer noch luxuriösen Lebens ist sein langjähriger Weggefährte und Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), der mittlerweile nach verringernden Arbeitsmöglichkeiten Daltons Fahrer, Mädchen für alles, aber vor allem treuer Freund ist. Parallel dazu erzählt der Film vom aufgehenden Stern von Model und Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie), die gerade mit ihrem frisch vermählten Ehemann und Regie-Superstar Roman Polanski (Rafal Zawierucha) in der Villa nebenan am Cielo Drive eingezogen ist. Doch im Hintergrund dieser Ära der Gegenkultur lauern auch die Hippie-Mädchen der Manson-Familie, die nur auf den ersten Blick unschuldig erscheinen…

„Once Upon a Time in Hollywood“ erweist sich als waschechter Abhängfilm im Stile eines „Dazed and Confused“, der nicht an einer herkömmlichen Erzählung oder dem künstlichen Generieren von Spannung interessiert ist, sondern einfach einlädt im wahrsten Sinne des Wortes mit den Figuren abzuhängen. Natürlich hat Tarantino genau diese Art von Film ebenfalls geprägt, denn vor allem „Death Proof“ oder „Jackie Brown“ verfügen am meisten genau über diese Qualität, während sich ausgiebige Spuren davon all seine Filme auszeichnet. Doch während in genannten Filmen eben doch eine erzählerische Zuspitzung stattfindet und man sich durchaus (wenn auch immer unkonventionell) an einem Plot abarbeitet, geht „Once Upon a Time in Hollywood“ nochmal weiter: Der Film mag zwar ungeordnet, ziellos, schwer greifbar und umherspringend wirken, aber genau dadurch wird er auch so unvorhersehbar. Tarantino liefert hier seinen entspanntesten, gelassensten, wärmsten, subtilsten, ja vielleicht erwachsensten Film, der trotz gewohnt brillanter Dialoge seine Figuren natürlicher und mehr in der realen Welt verhaftet sein lässt. Der Film braucht keine seiner typischen ausschweifenden Monologe, er braucht auch keine Effekthascherei (so virtuos und wirkungsvoll Tarantino sie auch beherrscht).

Cliff Booth (BRAD PITT), Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO) und Marvin Schwarzs (AL PACINO)
Cliff Booth (BRAD PITT), Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO) und Marvin Schwarzs (AL PACINO) © Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Der Film lebt von seinen brillant und sehr menschlich gezeichneten Figuren, die sich ohne Zweifel direkt nahtlos zu den besten und ikonischsten in Tarantinos Werk einreihen. Tarantino hat nicht übertrieben, als er im Vorfeld bezogen auf DiCaprio/Pitt von dem dynamischsten Leinwandduo seit Paul Newman und Robert Redford sprach. Es ist einfach ein Genuss, diesen beiden Männern zuzusehen und Zeit mit ihnen zu verbringen. DiCaprios angestrengte Selbstzweifel und Existenzangst, die sein noch nicht oft offenbartes herausragendes komödiantisches Talent zum Vorschein kommen lässt, werden herausragend von Pitts müheloser, Zen-artiger Coolness komplimentiert. So folgt der Film diesen beiden Charakteren einfach durch die Stadt, etwa zu Beginn bei einem Meeting mit Daltons Agent Marvin Schwarzs (Al Pacino), der ihm Spaghetti-Western in Italien anbietet, was jedoch für seinen etwas abschätzig reagierenden Klienten zunächst nicht in Frage kommt.

Wenn Dalton und Booth aber mal nicht gemeinsam wie ein altes Ehepaar abhängen, folgt der Film ihnen auch einzeln. Vor allem bietet „Once Upon a Time in Hollywood“ dann auch immer wieder genüssliche Blicke hinter die Kulissen, wobei vor allem aus Daltons Sicht ein Auftritt als Bösewicht in „Lancer“ herausragt, bei der James Stacy (Timothy Olyphant) die Hauptrolle spielt. Wie DiCaprio hier Daltons Verbissenheit, sich vor allen zu beweisen, darstellt, ist bemerkenswert: DiCaprio ist zum einen urkomisch, aber eben auch stets überaus menschlich und schließlich in seiner Rolle als Bösewicht so intensiv, dass sein finaler Auftritt wirklich eindrucksvoll ist. Alleine dieser ausgedehnte Part am „Lancer“-Set sollte DiCaprio problemlos seine nächste Oscar-Nominierung bescheren, wobei auch die herausragende zehnjährige Entdeckung Julia Butters als seine überraschend eloquente Drehpartnerin einen Moment nach dem anderen stiehlt. Ebenso beweist der kürzlich verstorbene Luke Perry in dieser Szene eine starke Präsenz als DiCaprios Kontrahent, sodass man sich wünscht, man hätte ihn noch öfter sehen dürfen.

Aber auch Pitt erhält mehrere herausstechende Szenen, die sich jetzt schon wie neue Kultmomente in Tarantinos an erinnerungswürdigen Momenten wahrhaftig nicht arme Filmografie anfühlen. Eines der unbestreitbaren Highlights des Films ist vor allem Booths Aufeinandertreffen mit Bruce Lee (Mike Moh) am Set von „The Green Hornet“: Mohs perfekte Interpretation der Martial Arts-Legende und die Auseinandersetzung mit Stuntman und Kampfmaschine Booth ist urkomisch und an lakonischer Coolness nicht zu überbieten. Einer der wenigen bedrohlichen Spannungsmomente dieses frei strukturierten Films auf der von den Manson-Jüngern bewohnten Spahn Movie Ranch stellt sich als weiterer Höhepunkt heraus, der brillant mit der Erwartungshaltung des Zuschauers spielt und tonal fein zwischen unerträglicher Spannung und Humor ausbalanciert ist. Zu diesem Zeitpunkt ist schwer vorstellbar, dass der sagenhaft charismatische Pitt nicht mit seiner dritten Oscar-Nominierung belohnt wird.

Sharon Tate (MARGOT ROBBIE)
Sharon Tate (MARGOT ROBBIE) © Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Für manch einen Zuschauer, der hier mehr aufgesetzte Dramaturgie und einen größeren Ereignisreichtum erwartet, mag der Film enttäuschen. Doch für all diejenigen, die bereit sind, sich dem entspannten Rhythmus des Films, der feinen Figurenzeichnung und dem meisterhaften Schauspiel hinzugeben und dabei die glorreich realisierte Atmosphäre des Los Angeles im Jahr 1960 aufzusaugen, eröffnet sich hier ein reichhaltiges und enorm unterhaltsames Gourmetdinner. Tarantino kennt diese Stadt wie seine Westentasche, war zum Zeitpunkt der Ereignisse des Films sechs Jahre alt. Wie auch Alfonso Cuaróns Oscar-gekröntes Meisterstück „Roma“ ist eben auch „Once Upon a Time in Hollywood“ ein ganz persönliches Stück Nostalgie, das auf überbordende Details in Set- und Kostümdesign baut, um eine förmlich greifbare und so lebhafte Rekonstruktion eines ganz bestimmten Ortes zu einer ganz bestimmten Zeit zu ermöglichen.

Dass man hier regelrecht eine Zeitreise erlebt, liegt nicht nur an dem immensen Aufwand, der betrieben wurde, das L.A. der 60er Jahre wieder aufzubauen, es ist auch der konstante Klangteppich, der über dem Film liegt: Die Sounds der Stadt, die Mono-Musik, die aus den Radios kreischt und wummert sowie Original-Radiowerbung, -jingles, oder -Nachrichten im Stile eines griechischen Chors erschaffen ein eindringliches Bild einer vergangenen Zeit. Gerade wenn man mit Pitt in seinem Karmann Ghia über den makellos rekreierten neonbeleuchteten Hollywood Boulevard und die kurvigen Hollywood Hills brettert, fühlt man förmlich den warmen kalifornischen Wind, der durch die Haare zischt. Mit den warmen Primärfarben und dem goldenen Glanz, der über diesen fabelhaften 35mm-Bildern von Kamerameister Robert Richardson liegt, kann man sich in dieser Welt schon richtig sehnsüchtig verlieren.

Parallel zu Dalton und Booth folgt „Once Upon a Time in Hollywood“ auch immer wieder ganz beiläufig Sharon Tate. Kritiker in Cannes haben beklagt, dass Margot Robbie zu wenig Text hat. Diese Beobachtung hat durchaus Wahrheit, ist aber fehlgeleitet: Robbie lässt den Film in jedem ihrer ausgewählten Momente erstrahlen, sie fungiert als leuchtendes und idealisiertes Symbol, das über allem schwebt, eben die Sharon Tate unserer Vorstellung. Wunderbar beglückend sind ihre Auftritte, etwa wenn sie spontan im Kino ihren kürzlich erschienenen eigenen Film „The Wrecking Crew“ mit leuchtenden Augen ansieht und mit purem Glück die Reaktionen der Zuschauer um sie herum wahrnimmt. Das sind Momente feiner filmischer Poesie, die gar keine Worte brauchen, um kraftvoll und wahrhaftig zu sein. Im Gegenteil, diese Herangehensweise erscheint würdevoll und erhaben, gerade, weil der Film diese tragische Figur nicht erklären will.

Cliff Booth (BRAD PITT) und Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO)
Cliff Booth (BRAD PITT) und Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO) © Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Natürlich fungieren diese Auftritte auch gewissermaßen als Zeitbombe, die die ganze Laufzeit unterschwellig vor sich hin tickt und dem eigentlich luftig-flockigen Nostalgie-Spaß eine bedrohliche Note verleiht. Man fragt sich die ganze Zeit, wie wird Tarantino mit diesem grauenhaften Ereignis umgehen, das auch heute noch erschüttert? Natürlich soll hier nichts verraten werden, am Ende führt Tarantino seine so lose wirkenden Erzählstränge jedoch in ein wagemutiges, provokantes, kathartisches und schließlich seltsam berührendendes und ganz fein melancholisches Finale mit einem famosen Schlussbild, das ganz still viel aussagt. Genau das gelingt dem sonst so offensiven Tarantino auch mit seinem gesamten Film, der an die Feinfühligkeit und Wärme eines „Jackie Brown“ heranreicht und sie vielleicht noch übertrifft.

Sicher, der Genuss von „Once Upon a Time in Hollywood“ hängt nicht unentscheidend mit der eigenen Liebe und Wissen zum Thema Film- und Fernsehgeschichte zusammen. Auch sollte man unbedingt um die sinnlose, immer noch wütend machende Tragödie um Sharon Tate und Co. Bescheid wissen und ein wenig die Bedeutung und Eigenheiten der portraitierten Ära kennen. Für Liebhaber ist dieser Film mit all seinen spezifischen Details und oft beiläufigen Referenzen und Zitaten ein Hochgenuss. Doch dennoch ist „Once Upon a Time in Hollywood“ auch absolut universell und letztlich womöglich wirklich der reifste, zarteste und in am ehesten in sich ruhende Film, den Tarantino bisher inszeniert hat. Hier präsentiert sich ein gereifter Filmemacher mit dem Selbstbewusstsein, das zeigt, dass er sich nicht mehr beweisen muss und sich nicht mehr auf Theatralik stützen muss, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Man darf gespannt sein, welchen Schlusspunkt Tarantino dann schließlich auf seine Filmkarriere setzt.

Filmwertung
9.5/10

Kurzfassung

Quentin Tarantinos wärmstes, entspanntestes, melancholischstes und vielleicht erwachsenstes Werk.

Fazit:

Quentin Tarantino beschert mit seinem voraussichtlich vorletzten Film sein wärmstes, entspanntestes, melancholischstes und vielleicht erwachsenstes Werk. Ganz in der Tradition der besten Abhängfilme ist „Once Upon a Time in Hollywood“ ein selbstbewusst in sich ruhender Film, der einlädt, die makellos erschaffene Atmosphäre einer längst vergangenen Zeit sehnsüchtig aufzusaugen und mit den entwaffnend coolen Figuren Zeit zu verbringen. Das ist nicht ereignisreich und gänzlich uninteressiert an gängigen Erzählkonventionen, jedoch enorm unterhaltsam und mit all seinen Feinheiten lange nachhallendes Genusskino, das in einem denkwürdigen Finale mündet.


von Florian Hoffmann

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