Auf einmal – Filmkritik: Leise Spannung aus Deutschland

Auf einmal: Das Leben von Karsten (Sebastian Hülk) gerät auf einmal völlig aus den Fugen
Auf einmal: Das Leben von Karsten (Sebastian Hülk) gerät auf einmal völlig aus den Fugen © MFA+ FilmDistribution

Die Kritik:

Nach einer Party ist Karsten in seiner Wohnung allein mit der hübschen Anna. Kurz danach liegt sie bewusstlos am Boden. Statt den Notruf zu wählen, rennt Karsten zur nahen Poliklinik, findet diese aber geschlossen vor. Als der Notarzt schließlich eintrifft, ist Anna bereits tot. In der Folge muss sich Karsten wegen des Verdachts auf unterlassene Hilfeleistung vor Gericht verantworten, was sein Leben erheblich belastet – seine Beziehung zu Laura leidet unter ihrer Vermutung eines Seitensprungs, sein Chef in der Bank beordert ihn zugunsten des Images in eine interne Abteilung. Und niemand scheint ihm seine Geschichte zu glauben.

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Karsten (Sebastian Hülk) und sein Vater (Hanns Zischler) © MFA+ FilmDistribution

Der Berliner Autorin und Regisseurin Aslı Özge ist mit „Auf Einmal“ ein Film gelungen, den man am ehesten als leisen Thriller bezeichnen kann. Dabei sorgen die unaufgeregte Inszenierung und das intensive Bild- und Sounddesign dafür, dass er seine Wirkung langsam entfaltet. Özge schafft es nicht nur, den Zuschauer hautnah an der persönlichen Krise ihrer Hauptfigur teilhaben zu lassen, sondern kreiert gleichzeitig echte Spannung, indem sie einen im Unklaren darüber lässt, was in Karstens Wohnung wirklich passiert ist – und wieviel davon er selbst noch weiß.

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Karsten und seine Freunde © MFA+ FilmDistribution

Dabei ist es nicht die Auflösung des möglichen Verbrechens, die im Zentrum der Geschichte steht. Im Kern geht es dem Film vielmehr darum, wie unsere Gesellschaft und wie wir alle mit Schuld umgehen. Selbst ohne jegliche Hinweise auf eine Gewalttat und noch vor einer offiziellen Anklage befürchtet Karstens Vorgesetzter bereits erheblichen Schaden an der Außenwirkung seiner Bank und nimmt ihn aus dem aktiven Kundenkontakt. Karstens Freundin, gespielt von der tollen Julia Jentsch, geht immer mehr auf Distanz.

Was diese Aussage allerdings ein wenig ambivalent macht, ist die Tatsache, dass Karsten sich selbst in eine Schuldposition manövriert. Er kann nicht erklären, wieso er nicht den Notarzt gerufen hat, er versteckt Annas Strumpfhose aus Angst, die Polizei könnte sie gegen ihn verwenden, sodass Laura verständlicherweise einen Fremdgeh-Verdacht entwickelt, und er legt sich mit seinen Freunden an. Irgendwann verschwindet er sogar heimlich ohne Handy in eine Berghütte. Kurz gesagt: Karsten lässt keinen Zweifel daran, dass er etwas zu verbergen hat. Und das schwächt die Anprangerung der verfrühten Verurteilung eines Verdächtigen durch sein Umfeld doch erheblich.

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Sascha A. Geršak als Witwer © MFA+ FilmDistribution

Trotzdem funktioniert „Auf Einmal“ hervorragend als persönliches Drama und als Charakterthriller, ruhig und trotzdem stringent erzählt und großartig gespielt von Hauptdarsteller Sebastian Hülk, dem man niemals so richtig traut, weil man gewisse Details kennt, die er für sich behält. Dadurch kommt auch bis hin zum starken Ende keine echte Sympathie für diese Hauptfigur auf – eine gerade in Bezug auf die beabsichtigte Botschaft mutige Entscheidung der Regie. Neben Hülk und der oben erwähnten Julia Jentsch verdient vor allem Sascha A. Geršak als Ehemann der verstorbenen Anna eine besondere Erwähnung. In einer der interessantesten Szenen des Films sucht Karsten den Witwer zuhause auf und in diesen wenigen Minuten reißt Geršak das Geschehen mit seiner doppelbödigen Darstellung komplett an sich.

Bei seiner Premiere im Panorama Special der Berlinale 2016 erhielt „Auf Einmal“ eine besondere Erwähnung des Europa Cinemas Labels und beim Istanbul Film Festival wurde er mit dem Internationalen FIPRESCI-Preis der Filmkritik ausgezeichnet. Diese Aufmerksamkeit hat Özges Film nicht zuletzt verdient, weil er sein Publikum zum Nachdenken anregt – darüber, wie man als Beobachter entscheiden würde, und darüber, was man selbst tun würde, wenn man sich in einer solchen Opfersituation wiederfände – auf einmal.

Filmwertung
  • 8.5/10
    - 8.5/10
8.5/10

Kurzfassung

Der Thriller von Regisseurin Aslı Özge überzeugt mit einer starken Besetzung, einer dichten Atmosphäre und einer Botschaft, die nachdenklich stimmt, wenn sie auch nicht immer komplett schlüssig transportiert wird.

Fazit:

Der deutsche Thriller von Autorin und Regisseurin Aslı Özge funktioniert dank seiner starken Darsteller und seiner dichten Inszenierung in atmosphärischen Bildern hervorragend. Die so spannend wie clever erzählte Geschichte wartet darüber hinaus mit einer echten Botschaft auf, die das Publikum zum Denken anregen will, dabei aber nicht immer vollständig überzeugt.


von Matthias Pasler

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