Nirgendwo: Der Sommer des Erwachsenwerdens

Nirgendwo: Skaten in der Kleinstadt - Die Freunde Fresi (Frederik Goetz), Rob (Dennis Mojen), Danny (Ludwig Trepte) und Tom (Ben Muenchow)
Nirgendwo: Skaten in der Kleinstadt - Die Freunde Fresi (Frederik Goetz), Rob (Dennis Mojen), Danny (Ludwig Trepte) und Tom (Ben Muenchow) © Polydor/WVG

Die Kritik:

Blu-ray Cover © Polyband/WVG

Zwei Jahre ist es her, dass Danny (Ludwig Trepte) seinem verschlafenen kleinen Heimatnest entkommen ist, um in Frankfurt BWL zu studieren. Doch der unerwartete Tod seines Vaters zwingt ihn, dorthin zurückzukehren, wo er damals Träume, Freundschaften und Liebe zurückgelassen hat. Es dauert natürlich nicht lange, bis seine Vergangenheit ihn einholt und sowohl die Gefühle für seine Jugendfreundin Susu (Saskia Rosendahl) als auch alte familiäre Probleme wieder aufblühen. Zur gleichen Zeit kämpft auch Dannys in der Heimat gebliebene Clique mit den Begleiterscheinungen des um sich greifenden Erwachsenwerdens, wie Heirat, Schwangerschaft und Zukunft.

Der Tod eines Elternteils, der den Helden zurück in seine Heimat und Vergangenheit führt, wo er sich dem stellen muss, was er vor langem hinter sich gelassen hat – das weckt die eine oder andere Erinnerung an „Garden State“ von und mit Zach Braff, auch in der gefühlsbetonten Inszenierung mit stimmungsvollen Bildern und Indie-Soundtrack. Das soll in diesem Fall allerdings eher Kompliment sein als Vorwurf, denn „Nirgendwo“ ist ein vollkommen eigenständiges Werk mit eigenen Themen, Ideen und vor allem Perspektiven. Hier steht nicht die emotionale und seelische Verfassung der Hauptfigur im Mittelpunkt, sondern Sorgen und Ängste eines ganzen Ensembles, das wiederum stellvertretend für die ganze ‚Generation Y‘ steht.

Denn auch wenn der Fokus der Geschichte auf Danny liegt, gibt es an seiner Seite ein halbes Dutzend Freunde und Freundinnen, die alle ihre ganz eigenen Päckchen und Pakete mit sich herumtragen. Das Drehbuch nimmt sich sehr viel Zeit für all diese Figuren und nähert sich ihnen jederzeit mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Sorgfalt in der Charakterzeichnung. Dadurch gelingen „Nirgendwo“ über seine verhältnismäßig kurze Spielzeit von unter zwei Stunden eine ordentliche Intensität und emotionale Tiefe sowie eine gelungene Projektion der Wirklichkeit.

Nirgendwo: Danny (Ludwig Trepte, r.) und seine Stiefschwester Kirsten (Amelie Kiefer, l.).
Danny und seine Stiefschwester Kirsten © Polydor/WVG

Dabei setzt Regisseur und Drehbuchautor Matthias Starte seine Geschichte nicht nur in sommerlicher Optik um, sondern erzählt sie auch entlang denkwürdiger Momente, wie man sie in deutschen Jugendfilmen vergeblich sucht, z.B. wenn Danny und seine Stiefschwester Kirsten (Amelie Kiefer) nach dem Tod des Vaters angezogen Arm in Arm in der Badewanne liegen, in der sie großgeworden sind, oder die Clique nachts ausgelassen mit Wunderkerzen am Strand tanzt. „Nirgendwo“ ist zu jeder Zeit stilsicher inszeniert, überzeugend gespielt (u.a. auch Fack Ju Göhte-Star Jella Haase) und beeindruckend fotografiert. Doch was ihn über all das hinaus wirklich auszeichnet, ist und bleibt die Herangehensweise an die Lebensrealität seiner Figuren.

Nirgendwo: Die Freundinnen Kirsten (Amelie Kiefer), Susu (Saskia Rosendahl) und Mischa (Jella Haase)
Die Freundinnen Kirsten, Susu und Mischa © Polyband/WVG

So wie es nur die besten Vertreter des Coming-of-Age-Genres schaffen, werden die angesprochenen Probleme maßstabsgetreu aus dem wahren Leben übernommen und spiegeln die Fragen wieder, die sich alle Menschen Anfang Zwanzig irgendwann stellen. Wo soll es mit meinem Leben hingehen, wo mit meiner Beziehung? Folge ich meinem Traum oder einer soliden Zukunft, die sich andere für mich wünschen? Wie und wo werde ich wirklich glücklich? Und anstatt generisch-kitschige Antworten darauf zu liefern, bietet der Film letztendlich nur Optionen und die so schlichte, aber umso wichtigere Aussage, dass jede und jeder ganz allein auf sich selbst hören sollte. Auch wenn das manchmal den schwierigeren Weg bedeutet.

Bild:

Nirgendwo - Danny (Ludwig Trepte) reist zurück
Danny reist zurück © Polyband/WVG

Die umfangreiche Farbpalette, die sich zwischen Frankfurts kühlen Wolkenkratzern und den blühenden Wiesen der Kleinstadt bewegt, wird von der Blu-ray hervorragend wiedergegeben und die so schön anzusehenden wie aussagekräftigen Bildkompositionen sind gestochen scharf. Auch die Schwarzwerte können voll und ganz überzeugen.

Ton:

Das norddeutsche Pop-Duo Jonah hat drei Songs zum Film beigesteuert, denen entsprechend akustischer Raum gegeben wird. Doch auch über die Musikmontagen hinaus glänzt das dts-HD Master Audio 5.1 mit klarem Sound und vielen Details ohne Aussetzer.

Extras:

Das Bonusmaterial fällt üppig aus und beinhaltet 4 Minuten Outtakes, knapp 5 Minuten entfernter Szenen, die 1-stündige Aufzeichnung eines Studiobesuchs von Starte, Trepte und Rosendahl beim YouTube-Format Rocketbeans TV, ein 10-minütiges Videotagebuch des Regisseurs sowie das 3,5-minütige Musikvideo „Deep Deep Blue“ von Jonah. Hinzu kommen ein Audiokommentar mit Regisseur Starte und den Produzenten Tobias Herrmann und Jan Gallasch sowie eine Hörfilmfassung.

Blu-ray Wertung
  • 9/10
    Film - 9.0/10
  • 9/10
    Bild - 9.0/10
  • 8/10
    Ton - 8.0/10
  • 9/10
    Extras - 9.0/10
9/10

Kurzfassung

Mitreißende Coming-of-Age-Geschichte – klug erzählt, toll gespielt und in starke Bilder verpackt.

Fazit:

Der Sommer des Lebens bekommt hier seine filmische Entsprechung. Die so mitreißende wie durchdachte Geschichte über das Erwachsenwerden und seine Nebenwirkungen wartet mit klugen Gedanken, einer starken Besetzung und stimmungsvollen Bildern auf. Es ist schön zu sehen, dass deutsches Kino auch beides kann, Unterhaltung und Anspruch.


von Matthias Pasler

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