Moonlight – Blu-ray Kritik: Ein kultureller Meilenstein

Moonlight - Chiron (Alex Hibbert) und Juan (Mahershala Ali)
Moonlight - Chiron (Alex Hibbert) und Juan (Mahershala Ali) © Universum Film / dcm

Die Kritik:

Moonlight Blu-ray Cover
Moonlight Blu-ray Cover © Universum Film / dcm

Es ist bedauerlich, dass die ganze Affäre um die diesjährige Oscar-Verleihung den überaus beachtlichen Erfolg dieses bemerkenswerten kleinen Films überschattet hat. So wurde Moonlight wie auch „La La Land“ mehr zum Schlagwort für eine mediale Farce, bei der es weniger um die Filme als um den irrwitzigen und denkwürdigen Fauxpas bei der Umschlagübergabe der zuständigen Firma PricewaterhouseCoopers ging. Das ist schade, denn gerade „Moonlight“ ist im heutigen Kinoklima nichts anderes als ein mittelgroßes Wunder. Alleine schon, dass ein Film über einen jungen homosexuellen afrikanischen Mann im Drogensucht-Ghetto Miamis mit unbekannten Gesichtern in den Hauptrollen existiert und in den Mittelpunkt gerückt wird, war vor wenigen Jahren noch unvorstellbar. Dass dieser so leidenschaftlich gemachte, künstlerisch hochwertige und ungemein kraftvolle Coming-of-Age-Film über einen Außenseiter auf der benachteiligten Seite Amerikas dann auch noch den weiten Weg bis zu einer Multimillionen-Dollar-Prestigeveranstaltung wie den Oscars ging und den Preis als bester Film abräumen konnte, ist schlicht als kultureller Meilenstein zu bewerten. Jetzt, nachdem der ganze Hype, der schon Monate vor der Oscar-Verleihung bei der Premiere des Films in Telluride begann, schließlich etwas abgeklungen ist, kann man sich mit der nun veröffentlichten Blu-ray einen genaueren oder auch ersten Blick auf den Film verschaffen.

Im Mittelpunkt steht der Afroamerikaner Chiron, der im von Drogensucht, Gewalt und Armut geplagten Viertel Liberty City in Miami, Florida aufwächst. „Moonlight“, der auf Tarell Alvin McCraneys unveröffentlichten halb-autobiografischen Bühnenstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“ basiert, erzählt in drei Etappen, wie dieser Heranwachsende und spätere junge Mann zu sich findet.

Im ersten Kapitel des Films lernen wir Chiron (Alex Hibbert) als zurückhaltenden und wortkargen Neunjährigen kennen, der sich in seinem Umfeld als Außenseiter bewegt und nur „Little“ genannt wird. Seine crackabhängige Mutter Paula (Naomie Harris) kümmert sich kaum um ihn und widmet sich mehr ihrer sich immer weiter verstärkenden Sucht, einen Vater hat Chiron nicht mehr. Nachdem er von einigen Mitschülern gemobbt und gejagt wird, versteckt er sich in einem leerstehenden Gebäude, wo er später von dem Drogendealer Juan (Mahershala Ali) aufgefunden wird. Der sanftmütige Juan nimmt sich fürsorglich gemeinsam mit seiner empathischen Freundin Teresa (Janelle Monáe) dem kleinen Chiron an und nimmt eine Ersatzvaterrolle an. Neben seinen mobbenden Mitschülern kristallisiert sich nur Kevin (Jaden Piner) als Freund heraus, der Chiron ermutigt, sich nicht von anderen unterkriegen zu lassen.

Moonlight - Chiron (Alex Hibbert) und Juan (Mahershala Ali)
Moonlight – Chiron (Alex Hibbert) und Juan (Mahershala Ali) © Universum Film / dcm

Sieben Jahre später hat sich Chirons (Ashton Sanders) Situation nicht gebessert. Auch in der High School ist er immer noch ein Außenseiter, mittlerweile findet er sich auch immer wieder im Fadenkreuz von Terrel (Patrick Decile) wieder, der Chiron auch mit körperlicher Gewalt bedroht. Doch weiterhin ist es Kevin (Jharrel Jerome), der Chiron zur Seite steht. Was sich in Kindertagen nur angedeutet hat, wird nun offensichtlich: Chiron ist dem eigenen Geschlecht zugeneigt, muss aber seine Gefühle unterdrücken, bis er schließlich mit dem in der High School akzeptierten Draufgängertyp und Womanizer Kevin heimlich seine ersten sexuellen Erfahrungen macht. Doch Chirons scheinbares, nur zart angedeutetes Glück ist in seinem harten Umfeld nicht von langer Dauer.

Schließlich schildert „Moonlight“ nach einem weiteren Zeitsprung, wie sich Chiron alias „Black“ (Trevante Rhodes) als 25-jähriger Mann entwickelt hat. Sein muskelbepacktes Erscheinungsbild ist nun gepaart mit goldenen Zähnen deutlich bedrohlicher, eine harte Schale, die sich jedoch nur als äußerer Schutzmechanismus herausstellt. Weiterhin ist Chiron ein ruhiger und einsamer Mann, der sein Innenleben nicht nach außen tragen kann und seine Gefühle unterdrücken muss.

Zum einen zeichnet sich „Moonlight“ dadurch aus, dass er eine universelle Geschichte erzählt, mit der sich im Grunde jeder identifizieren kann. Chiron befindet sich an einem unwirtlichen Ort, der keine Liebe für ihn bieten kann und ihn dadurch zermürbt und jede persönliche Entfaltung untersagt. Regisseur Barry Jenkins, der hier nach 2008 erst seinen zweiten Spielfilm nach dem in Deutschland unveröffentlichten „Medicine for Melancholy“ liefert, trifft die mutige Entscheidung, drei Darsteller zu besetzen, die sich optisch kaum ähneln. Wo es jedoch entscheidende Verbindungspunkte gibt, zeigt sich in ihren gleichermaßen ausdrucksstarken Augen, die immer wieder wirkungsvoll in den Fokus gerückt werden. Gerade der junge Alex Hibbert fasziniert zu Beginn mit unglaublich präziser Mimik und Körpersprache, die als erstaunlich effektiver Ersatz verbaler Kommunikation funktioniert. Chiron spricht hier so gut wie nichts, jedoch gelingt es Hibbert auf ungemein berührende und kraftvolle Weise mit einem Minimum an Dialog ganz viel zu vermitteln. Man sieht Hibbert seinen tiefsitzenden Schmerz, seine Verwirrung und sein irritierendes Gefühl an, nicht zu wissen, wo er hingehört.

Moonlight - Chiron (Alex Hibbert)
Moonlight – Chiron (Alex Hibbert) © Universum Film / dcm

Mit dem famos aufspielenden und völlig zurecht mit einem Oscar ausgezeichneten Mahershala Ali entwickelt sich hier eine tief berührende Dynamik, die echte Filmmagie in mal hart-realistischen, mal stark impressionistischen Bildern erzeugt. Man glaubt hier echte Menschen in ihrem realen Lebensumfeld durch ein kunstvoll-ästhetisches Prisma agieren zu sehen, wobei sich Barry Jenkins eigene Erfahrung (er ist selbst in Liberty City aufgewachsen) mehr als bemerkbar macht.

Was „Moonlight“ mitunter so bemerkenswert macht, ist Jenkins Entscheidung keine konventionelle Milieustudie im dokumentarischen Stil zu verwirklichen. Viel mehr meistert er es einen faszinierenden Kontrast zwischen unmissverständlich harter Lebensrealität und kunstvoller, überaus filmischer Bildsprache, die zusätzlich durch Nicholas Britells melancholische Oscar-nominierte klassische Filmmusik untermalt wird. Gepaart mit seinem von Wong Kar-Wai inspiriertem Spiel mit üppiger Farbe gelingt Jenkins hier ein faszinierend wirkungsvolles impressionistisches und damit hochoriginelles Filmkunstwerk, das man so zuvor noch nicht gesehen hat. An „Moonlight“ wirkt nichts abgestanden oder konventionell, nie vergreift sich Jenkins in seiner meisterhaft realisierten Tonalität oder wandert in altbekannte Klischees ab.

Auch wenn Chirons Außenseitergeschichte mit ihren unterdrückten Gefühlen allgemeingültig erscheint, ist „Moonlight“ mit seinem Setting in Liberty City auch wieder sehr speziell. Hier wird eine für die meisten Zuschauer unbekannte Welt, die sich neben der glitzernden Parallelrealität von Miami bewegt, in eindrucksvoll authentischen Bildern greifbar gemacht. Hier ist es gerade der faszinierende Kontrast von bitterer Armut und damit einhergehender Drogensucht und Gewalt mit der eigentlich malerisch schönen Kulisse mit seinen Palmen und den unendlichen Weiten des Atlantischen Ozeans, der „Moonlight“ nochmal kunstvoller macht. Gerade der Ozean hat für Jenkins eine spürbar symbolische Bedeutung – zum einen findet hier eine bemerkenswert kraftvolle Szene zwischen Chiron und Juan statt, die über die impressionistische Bildsprache und die eindringliche Violinen- und Cello-lastige Musik einer Taufe gleichkommt, obwohl Juan seinem Ersatzsohn auf inhaltlicher Ebene nur das Schwimmen beibringen möchte. Nicht minder beeindruckend ist hier eine weitere Szene zwischen Chiron und Kevin im zweiten Abschnitt des Films, bei der es zu einem überraschend intimen und sich berührend real anfühlenden Aufeinandertreffen am abendlichen Strand kommt.

Moonlight - Chirons (Alex Hibbert) als Jugendlicher
Moonlight – Chirons (Alex Hibbert) als Jugendlicher © Universum Film / dcm

„Moonlight“ folgt einem ruhigen und bedächtigen Erzähltempo, wodurch mit den starken und oft lyrischen Bildern ein nahezu traumartiger und hypnotisierender Eindruck entsteht. Der Erfolg von „Moonlight“ bei den Oscars, die bekanntlich gerne auf Sentimentalität setzen, erstaunt umso mehr, denn hier kommt nie der Eindruck auf, dass man als Zuschauer manipuliert wird oder eine moralisierende Botschaft aufgedrängt bekommt. Im Gegenteil, Jenkins verzichtet völlig darauf, dem Zuschauer vorzuschreiben, was er gerade empfinden soll, hier wirkt alles authentisch und auf ganz unprätentiöse Weise kraftvoll. Anders als viele andere Filme in ähnlichem Milieu ergötzt sich „Moonlight“ auch nicht am Elend seiner Figuren. Auch wenn die Atmosphäre des Films durchaus oft bedrückend ist, strahlt der Film eine unbestreitbare Wärme, Zärtlichkeit und Wahrhaftigkeit aus, wodurch er letztlich auch nie deprimierend erscheint. Am Ende erreicht dieser tief humanistische Film nach einer der besten ausgedehnten Dialogszenen der letzten Jahre schließlich sogar eine kathartische Wirkung, die noch lange anhält.

Bild:

„Moonlight“ wurde digital auf Arri Alexa XT aufgezeichnet, was man nach Betrachtung des Films jedoch kaum vermuten würde. Viel mehr zielt der Film auf eine softere Filmästhetik, die sich durch den häufig spürbaren Einsatz von Filmkorn äußert. Das Blu-ray-Bild weist somit eine ganz bestimmte Ästhetik auf, die schön zur Geltung kommt, aber auch durch gelegentliches digitales Rauschen leicht abgeschwächt wird. Insgesamt kann das Bild immer wieder durch starke Schärfewerte und einen hohen Detailumfang glänzen, der vor allem bei den ausdrucksstarken Großaufnahmen auf Gesichter zur Geltung kommt. Ansonsten ist das Bild weitestgehend um Natürlichkeit und eine gewisse Softheit bemüht, die reichhaltige und satte Farbpalette wirkt trotz der sehr präzisen und außergewöhnlichen Modifizierung in der Post-Produktion authentisch. Gelegentlich wirkt das Bild aber durch bewusst starken Farbeinsatz auch stilisierter, entsprechend intensiv kommen die Farben dort zur Geltung. Die insgesamt eher weicheren Kontraste und Schwarzwerte bewegen sich insgesamt auch auf einem guten Niveau.

Ton:

Moonlight - Chiron alias „Black“ (Trevante Rhodes) als 25-jähriger Mann
Moonlight – Chiron alias „Black“ (Trevante Rhodes) als 25-jähriger Mann © Universum Film / dcm

Akustisch weiß die Blu-ray durchweg zu überzeugen. Sehr präzise verteilen sich wirkungsvolle Umgebungsgeräusche auf die umliegenden Lautsprecher, wodurch oft ein sehr dynamisches und lebhaftes Klangbild entsteht, das den Zuschauer stark in die Filmrealität einbezieht. Die Stimmwiedergabe erweist sich als klar und verständlich, im Original könnte hier etwas mehr Lautstärke verwendet werden. Auch der Subwoofer kommt bei manchen musikalischen Momenten überaus kraft- und wirkungsvoll zur Geltung, wodurch Hip Hop Beats die Wände regelrecht zum Wackeln bringen. Insgesamt eine sehr überzeugende technische Umsetzung mit leichten Abzügen für die etwas schwankende Bildqualität.

Extras:

Das hochwertig produzierte Bonusmaterial der Blu-ray besticht durch Einsichtsreichtum und Kurzweiligkeit. Hierbei ist vor allem das ausführliche Making of zu erwähnen, dass sich in vier Bereiche unterteilt. Unter anderem wird der Drehort Miami beleuchtet, der als ganz eigener Charakter über große Bedeutung für den Film verfügt. Noch ausführlicher wird die Besetzung im zweiten Teil des Making ofs thematisiert. Abschließend führt Komponist Nicholas Britell durch seinen Prozess beim Erstellen der Filmmusik, was von Barry Jenkins noch weiter vertieft wird. Etwas redundant ist dann die kurze vierte Featurette, die nochmal auf die Bedeutung der Filmmusik eingeht.

Als weiterer Bonus, der exklusiv auf der deutschen Blu-ray enthalten ist, wird ein Blick rund um die Deutschlandpremiere des Films in Berlin geboten. Dort gibt es sowohl Impressionen zur Premiere als auch ein einsichtsreiches Q&A nach der Vorführung und ein Einzelinterview mit Jenkins.

Abgeschlossen werden die sehr guten Extras mit einem hervorragenden Audiokommentar von Barry Jenkins, der redefreudig und spürbar leidenschaftlich die Hintergründe von „Moonlight“ erläutert. Hinzu kommen schließlich noch die obligatorischen Trailer.
Making of Moonlight (Cruel Beauty – Drehen in Miami (05:38 Min.), Ensemble of Emotions – Die Darsteller (21:36 Min.), Poetry through Collaboration – Die Filmmusik (10:05 Min.), Scoring Moonlight – Die Rolle der Musik (02:05 Min.))
Premiere in Berlin (Premiere und roter Teppich (01:52 Min.), Bühnengespräch (12:30 Min.), Interview mit Barry Jenkins (12:04 Min.))
Audiokommentar mit Barry Jenkins (Regisseur)
Trailer (01:42 Min.)
Trailershow (Carol, Jacques – Entdecker der Ozeane, High-Rise, Monsieur Chocolat)

Blu-ray Wertung
  • 9/10
    Film - 9.0/10
  • 8/10
    Bild - 8.0/10
  • 9/10
    Ton - 9.0/10
  • 7/10
    Extras - 7.0/10
8/10

Kurzfassung

„Moonlight“ ist ein außergewöhnlicher und hochorigineller Film, wie man ihn in dieser Form wohl noch nicht gesehen hat. Ein kultureller Meilenstein, den man gesehen haben sollte.

Fazit:

Es ist bemerkenswert, wie Regisseur Barry Jenkins mit scheinbarer Mühelosigkeit einen solch großen Film geschaffen hat. „Moonlight“ ist eine Milieu- und Charakterstudie, der es auf ungemein kraftvolle und berührende Weise gelingt, eine universelle und doch spezielle Geschichte ohne Klischees und Stereotypen zu erzählen. Auch inszenatorisch ist der Film meilenwert von Konventionen entfernt und bietet einen überraschend impressionistischen und lyrischen Blick auf Armut, der jedoch die damit einhergehende Härte nie verharmlost. Eine hypnotisierende und tief menschliche Identitätssuche, wie man sie im Kino noch nie erlebt hat.


von Florian Hoffmann

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