Diego Maradona – Blu-ray Kritik zur Sport-Doku über die „Hand Gottes“

Diego Maradona die „Hand Gottes“
Diego Maradona die „Hand Gottes“ © Universum Film

Die Kritik:

Ein Auto rast durch Neapel, dicht gefolgt von einem anderen Wagen. Ein treibender Beat sorgt direkt für Aufmerksamkeit. Schnell wird hier deutlich: Das ist kein gewöhnlicher Dokumentarfilm und auch ganz sicher kein gewöhnliches Subjekt. Die Rede ist von „Diego Maradona“, der neue Streich von Asif Kapadia, der mit „Senna“ und „Amy“ bereits zwei Doku-Meisterwerke über faszinierende Persönlichkeiten abgeliefert hat. Schon die enorm mitreißenden, überaus rasanten und nahezu rauschhaften ersten Minuten dieses Films zeigen unmissverständlich, welche Ausnahmefigur dieser Diego Armando Maradona ist und besonders war. In virtuos kompiliertem Archivmaterial sehen wir nicht nur unglaublich stürmische Fußballszenen aus einer lange vergangenen Zeit, wir sehen auch die gigantische Vorstellung von Maradona bei seinem neuen Club SSC Neapel, der eine ganze Stadt in einen kollektiven Ausnahmezustand brachte und das Stadio San Paolo mit 85.000 Menschen füllte. Dieser Maradona war nicht nur ein Mensch, der herausragend Fußball spielen konnte, er war nichts anderes als ein Heilsbringer, eine religiöse Figur, eine wahnhaft verehrte Gottheit geradezu. Doch wie jeder weiß, der sich nur ansatzweise mit Fußball beschäftigt, liegen Genie und Wahnsinn, Gott und Teufel sowie Liebe und Hass in der unglaublichen Aufstieg- und Fallgeschichte der argentinischen Fußballlegende verdammt nah beieinander.

Diego Maradona Blu-ray Cover
Diego Maradona Blu-ray Cover © Universum Film

Wie schon in „Senna“ und „Amy“ verzichtet Regisseur Asif Kapadia auch bei „Diego Maradona“ auf die konventionelle Herangehensweise des Dokumentarfilmgenres und zeigt ausschließlich Archivmaterial ohne je sprechende Köpfe einzublenden. Aus über 500 Stunden teils nie veröffentlichten Bildmaterials filtert Kapadia die sagenhafte Geschichte in 130 bewegten Minuten packend, nuanciert und einsichtsreich heraus. Natürlich kommen auch hier Experten wie auch Weggefährten und Maradona höchstpersönlich zu Wort, allerdings stets aus dem Off. Diese Herangehensweise erlaubt ein weit dynamischeres und filmischeres Erlebnis, das schließlich auch nochmal bedeutend eindringlicher und intimer ist als gewöhnliche Dokumentarfilme.

„Diego Maradona“ schildert, wie Maradona in einem der ärmsten Viertel von Buenos Aires aufwächst, sein Fußballtalent entdeckt und schon als 15-jähriger zum Haupternährer seiner Familie wird. Der Film zeigt seinen raketenhaften Aufstieg zum gefeierten Spieler bei Boca Juniors, zum frühzeitig besten und teuersten Spieler der Welt, der beim FC Barcelona jedoch nie ganz heimisch wird und schließlich mit dem unglaublichen Transfer zum angeschlagenen Außenseiter SSC Neapel für nie dagewesene Furore sorgt. Der Ausnahmezustand, der durch den Personenkult um Maradona in der süditalienischen Metropole entstand, ist nach wie vor mit kaum einer anderen Figur der Fußballgeschichte zu vergleichen.

Über das Archivmaterial wird man direkt in das wilde Chaos der 80er Jahre versetzt, erlebt Geschichte hautnah mit. Von der chaotischen ersten Pressekonferenz bei der Vorstellung in Neapel, wo Maradona direkt mit der Frage konfrontiert wird, ob ihm bewusst ist, dass die Camorra (die neapolitanische Mafia) alles in der Stadt finanziert und kontrolliert zu den wahnsinnigen Menschenmassen, die Maradona sofort wie einen Gott verehren, erhält man einen intensiven Eindruck, der nahe bringt, was eine derartige Aufmerksamkeit mit einer Persönlichkeit ausrichten kann. Auch wenn der Beginn in sportlicher Hinsicht bei Neapel noch schwierig war, entwickelt sich Maradona zur Leitfigur der erfolgreichsten Jahre der Clubgeschichte. In einer Zeit, in der es noch weit ruppiger zuging, man noch mit Goldkettchen Spiele bestritt und auch das ganze Umfeld nicht der familienfreundliche Vergnügungspark der heutigen Saubermann-Fußballwelt war, zaubert Maradona den SSC Neapel zum ersten Meisterschaftstitel 1987, zum UEFA-Pokal 1990 und die argentinische Nationalmannschaft zum WM-Titel 1986 in Mexiko.

Diego Maradona
Diego Maradona © Universum Film

Nach etwas fragmentiertem und recht wildem Beginn fährt Kapadia das Erzähltempo deutlich zurück und folgt fortan einer chronologischen und recht konventionellen Erzählweise. Die prägende Zeit in Neapel, wo man monatelang ausgelassen die Meisterschaft auf den Straßen feierte, steht hierbei natürlich im Vordergrund. Mediale Aufmerksamkeit durch ein uneheliches Kind und die Verbindung zur der Camorra angehörigen Giuliano-Familie bringen Maradona aber auch immer wieder in Verruf. Die immense öffentliche Aufmerksamkeit erdrückt Maradona zunehmend, sodass er den Verein verlassen will, was ihm jedoch nicht gestattet wird. Der ohnehin schon als Schwerenöter bekannte Maradona verfällt schließlich zunehmend dem Kokain, spielt aber erfolgreich weiter.

Der ultimative Knackpunkt ist dann die in Italien ausgetragene WM 1990, wo Maradona mit provokanten Äußerungen die neapolitanische Bevölkerung bat, ihn und Argentinien anzufeuern. Mit der Aussage, dass Neapel nicht Italien sei, versuchte er die Kluft zwischen dem reichen Norden Italiens und dem armen Süden zu seinen Gunsten zu nutzen, was jedoch gründlich nach hinten los ging. Verehrung kippte in plötzlichen universellen Hass, aus der Legende wurde Neapels und Italiens Persona non grata. Als dann ausgerechnet das WM-Halbfinale zwischen Italien und Argentinien in Neapel stattfindet und Maradona im Elfmeterschießen den entscheidenden Treffer markiert, kippt alles. Maradona ist binnen sechs Jahren von einer gottartig verehrten Figur zur offiziell meistgehassten Person Italiens geworden, die schließlich geschunden über eine Hintertür Richtung Heimat flüchtet.

So schildert Kapadia überaus mitreißend und anschaulich den Rausch des Aufstiegs und den abrupten Fall in Drogen- und Prostitutionsskandale. Wieder einmal zeigt Kapadia die zerstörerische Gewalt, der Ruhm auf Menschen haben kann, eindringlich auf. Er macht begreifbar, wie ein ganz normaler junger Mann zur Gottheit hochstilisiert wird, dabei sowohl die beste als auch die schlimmste Zeit seines Lebens durchläuft und schließlich zerbricht. Er zeigt die immense Gewalt von Massenhysterie, die eine Persönlichkeit trägt und aufbaut und im nächsten Moment mit unnachgiebiger Vehemenz zerstört. Kapadias Herangehensweise ist entlarvend, aber zugleich zutiefst menschlich und von großer Empathie zu Maradona geprägt, die nie eine herabblickende Perspektive auf sein Subjekt zulässt.

Diego Maradona auf dem Höhepunkt seiner Karriere
Diego Maradona auf dem Höhepunkt seiner Karriere © Universum Film

Dennoch erreicht „Diego Maradona“ nicht ganz die Höhen von Kapadias vorangegangenen Filmen. Natürlich ist dieses Leben packend, unterhaltsam, hochemotional und stark bebildert nachgezeichnet, wodurch man eigentlich nur fasziniert und am Ende tief bewegt sein kann, ob man sich nun für Fußball interessiert oder nicht. Doch wirklich tiefe Einsichten in Maradonas Innenleben gewinnt man eher nicht, dafür bleiben dessen ehrliche, allerdings spärlich verteilte Kommentare zu oberflächlich. Dennoch: Mag „Diego Maradona“ die ganz großen erhellenden Qualitäten vermissen, erlebt man trotz allem einen zutiefst intensiven und glasklar gezeichneten Trip in die volle Bandbreite menschlicher Extremerfahrungen von euphorischen Hochs zu tragischen Tiefs, wie sie wohl von nur wenigen Individuen erlebt wurden.

Bild:

Da der Film ausschließlich aus Archivmaterial besteht, schwankt erwartungsgemäß auch die Bildqualität sehr. Das kann man angesichts der Ausgangslage natürlich problemlos verschmerzen. Dennoch wirken gerade die offiziellen Aufnahmen von den WM-Spielen in ihrem doch höheren Kontrastumfang und guter Schärfe lebhaft und sehr ansehnlich. Überhaupt gelang es den Machern, das Bild insgesamt erstaunlich homogen zu gestalten.

Ton:

Akustisch präsentiert sich die Blu-ray durchaus druckvoll und dynamisch. Gerade bei dem pulsierenden Beat zu Beginn kommt hier richtig Stimmung auf. Auch die hinteren Boxen werden regelmäßig bedient, sodass hier immer weit mehr als der Eindruck einer nüchternen Dokumentation entsteht. Stimmen ertönen zudem in bester Klarheit und Präsenz.

Extras:

Leider liegt lediglich der Trailer zum Film als Bonusmaterial vor.

Blu-ray Wertung
  • 8/10
    Film - 8/10
  • 7/10
    Bild - 7/10
  • 8/10
    Ton - 8/10
  • 1/10
    Extras - 1/10
7/10

Kurzfassung

Die beispiellose Aufstieg- und Fallgeschichte von Diego Maradona ist packend, intim und ergreifend erzählt und sollte ganz sicher nicht nur Fußballfans faszinieren und mitreißen.

Fazit:

Asif Kapadia gelingt nach „Senna“ und „Amy“ ein weiteres kaleidoskopartiges Portrait einer Ausnahmepersönlichkeit. Die beispiellose Aufstieg- und Fallgeschichte von Diego Maradona, der vom Ruhm zerstört wurde und von der Öffentlichkeit verstoßen wurde, ist packend, intim und ergreifend erzählt und sollte ganz sicher nicht nur Fußballfans faszinieren und mitreißen.


von Florian Hoffmann

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