Verpiss Dich, Schneewittchen! – Interview mit Sabrina Setlur

Labelchefin Thomaschewsky (Sabrina Setlur). © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Bernd Spauke

Sabrina Setlur (*1974) veröffentlichte 1995 unter ihrem Pseudonym Schwester S. die Doppel-A-Single „Hier kommt die Schwester/Pass auf“. Der Durchbruch gelang mit der Nachfolgesingle „Ja klar“. 1997 folgte erstmals unter ihrem richtigen Namen das zweite Album „Die neue S-Klasse“. Das dritte Studioalbum „Aus der Sicht und mit den Worten von…“ brachte Sabrina Setlur ihren dritten Echo ein. Setlur am deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest teilte und machte durch ihre Mitarbeit an der vierten Staffel der Castingshow „Popstars“ auf sich aufmerksam. Nach kleineren Rollen in den Kinofilmen ANATOMIE (2000) und FRAU2 SUCHT HAPPY END (2001) spielt Sabrina Setlur in VERPISS DICH, SCHNEEWITTCHEN! ihre erste große Rolle in einer Kinokomödie. Aktuell nimmt die Sängerin ihr nächstes Studioalbum auf. Blengaone-Redakteurin Sandy Kolbuch hat vorab mit ihr gesprochen.


blengaone: Du hast in „Anatomie“ und „Frau2 sucht HappyEnd“ mitgespielt. Wie kam es jetzt zu der Zusammenarbeit mit Constantin Film und Regisseur Kaya?

Sabrina Setlur: Ganz klassisch. Warum sich Cüneyt Kaya mich ausgesucht hat, musst Du ihn selbst fragen. Ich habe eine Anfrage bekommen, ob ich in seinem Film mitspielen möchte und wurde dann darauf zum Casting eingeladen. Ich habe das Casting absolviert und es wohl so gut gemacht, dass ich von Cüneyt die Rolle bekommen habe.

blengaone: Du hast Dich für die Rolle der Labelchefin Thomaschewsky, die den Siegeszug der Multikulti-Rocker mit allen Mitteln verhindern will, an Meryl Streeps Darstellung der Chefredakteurin Miranda Priestley in „Der Teufel trägt Prada“ orientiert. Kam Dir diese Rolle sofort in den Sinn, als Du das Drehbuch gelesen hast?

SS: Wenn Du das Drehbuch liest, wird sehr schnell klar, welche Rolle Thomaschewsky spielt. Sie ist nicht die nette Dame vom Tresen, sondern die Charakterzüge sind sehr ähnlich der in „Der Teufel trägt Prada“. Ich hatte es mir vorher nicht so überlegt, sondern das Drehbuch gibt es einfach her. Ich hätte mir gewünscht, einfach auch mal der Presse gegenüber – die mich immer für sehr zickig und arrogant hält –was nettes zu spielen. Aber leider musste ich wieder die zickige Arrogante spielen (lacht). Und das fiel mir wirklich schwer, weil ich von meiner Persönlichkeit gar nicht so bin. Ich bin in meiner Realität nie so mit Menschen umgegangen.

blengaone: Kennst Du solche Personen wie Thomaschewsky aus Deiner eigenen Karriere?

SS: Oh, gute Frage! Ich habe nie so eng mit anderen zusammengearbeitet, als dass jemand auf diese Art mit mir hätte reden können. Aber gerade im Musikgeschäft ist diese Oberflächlichkeit und Arroganz vertreten und das habe ich durchaus mitgekriegt. Zu mir direkt hat natürlich nie jemand so gesprochen, weil ich die erfolgreiche Künstlerin war und man mir eher Honig um den Mund geschmiert hat. Aber es gibt in der Musikszene die Haltung: Wenn du nichts ablieferst, bist du auch nichts. Ich glaube, das gibt es in jeder Branche – ob nun Musik oder Schauspiel.

blengaone: Wenn Du deine eigene Karriere betrachtest und einen Vergleich von damals zu heute ziehst, würdest Du sagen, dass sich die Zustände verschlimmert haben?

SS: Ja, allein schon, da die Produktionen immer einfacher werden. DJ´s brauchen heutzutage keine Vinylplatten mehr mitnehmen. Sie benutzen ihren Laptop und schon ist der Discoabend gelaufen (lacht). Man braucht auch mittlerweile kein großes Tonstudio mehr. Mit einem gut getunten Laptop ist jeder Soundcheck schnell im Kasten. Heutzutage ist es schwieriger bekannt zu werden, weil durch das Multimediale und durch die sozialen Netzwerke viel mehr Leute in den Fokus rücken. Youtube ist voll mit Leuten, die singen. Von daher ist es heute schwerer, als noch nicht-etablierter Künstler wahrgenommen zu werden, als es früher gewesen ist. Es gibt einfach viel mehr Künstler. Ob sie jetzt Talent haben oder nicht, das steht auf einem anderen Blatt. Aber die Masse ist natürlich größer geworden, weil es auch viel mehr Plattformen gibt.

blengaone: Castingshow sprießen wie die Blumen aus dem Boden. Sie sollen eigentlich Künstlern die Chance gegen, entdeckt zu werden. Die Realität sieht aber anders aus: Die Musik wird in den Hintergrund gedrängt, während die persönlichen Schicksale oder Marotten in den Fokus gerückt werden.

SS: Ich gebe Dir da vollkommen recht und es regt mich innerlich auf. Weil ich die Musik so liebe, fühle ich mich von diesen Shows verarscht. Die Musik bekommt eine Ohrfeige und man dürfte es gar nicht als Casting betiteln. Es geht darum, wer macht sich zum größten Affen. Ich war selbst bei „Popstars“ in der Jury, weil ich wissen wollte, wie dieser Apparat funktioniert. Ich selbst wurde nicht gecastet und habe mich auch nie vorgestellt. Ich habe einfach gerapt und Moses war der Überzeugung, ich habe Talent. So bin ich in die Musikbranche gelangt. In vielen Castingsshows läuft es heute aber nach einem gewissen Schema: Es gibt einen Quotenblonden, eine Quotenblonde, einen Quotenkanaken, eine – diesen Begriff gibt es tatsächlich – Quotenmissbrauchte und ähnliches, ansonsten funktioniert es nicht. Was diese jungen Menschen, die ihre Träume verwirklichen wollen, teilweise durchmachen ist sehr traurig. Für mich sind Castingshows, wie sie im Moment laufen, Handel mit der Ware Mensch. Ab und zu schaue ich mir solche Shows an. Aber wenn ich sehe, wer da genommen wird und wer nicht, wird mir übel. Wer Talent hat, aber nicht sonderlich gut aussieht und kein besonders spannendes Leben vorzuweisen hat, der kommt nicht weiter. Wer überhaupt nicht singen kann, aber aus dem Ghetto kommt, der hat per se bessere Chancen. Das ist für mich erschreckend. Im Film kommt dies etwas raus, als Sammy sich bewirbt, aber eigentlich gar nicht dem entspricht, was die Labelchefin – also ich – will. Sie will ihn verbiegen und brechen, aber Sammy kämpft dagegen an. Er bleibt sich treu und am Ende gewinnt er ja auch.

blengaone: Damit lässt sich der Film mit einem zwinkernden Auge auf die heutige Medienbranche beziehen…

SS: Ja, auf jeden Fall. Es wird alles etwas satirisch gesehen. Das ganze Casting-System wird als Marketingkonzept verkauft. Am Ende ist es aber so: Ist man nicht nett zu den anderen, dann funktioniert das Ganze auch nicht. Jeder Mensch steht für sich als Individuum und sollte auch so behandelt werden, egal in welchem Job. Egal, ob es sich um Musik oder Film handelt, man sieht in der heutigen Gesellschaft, das schon kleine Kinder nicht mehr sie selbst sind. Sie werden von außen und auch vom Social Media geprägt und glauben, dass sie jemand anderes sein müssen. Und das tut mir in der Seele weh! Die Natürlichkeit des Menschen geht immer mehr flöten. Mich erschreckt das, wenn ich kleine Jungs sehe, die sich nicht mehr ihrem Alter entsprechend verhalten. Wo ist das Kind? Die kommen heutzutage auf die Welt, um zu performen. Viele Eltern drängen sie dazu, was sehr traurig ist.

blengaone: Wie wichtig ist die Balance zwischen Talent, Selbstbewusstsein und familiären Hinterhalt, um in der Musikbranche zu überleben?

SS: Ich kann nur von mir selbst sprechen und für mich ist es ganz wichtig. Deswegen habe ich auch meine siebenjährige Pause gemacht. 2007 habe ich mein letztes Album rausgebracht, was nicht so erfolgreich war, wie die anderen. Ich habe daraufhin die Chance ergriffen, mir eine Pause zu gönnen. Für unsere damaligen Verhältnisse bin ich mit 18 sehr früh ins Geschäft gerutscht. Ich hatte kein normales Leben, habe die 20er und auch die 30er nicht mitbekommen. Und irgendwann sagte mein Kopf, dass ich eine Pause braucht. Ich war soweit entfernt von der Realität, dass ich nicht mehr wusste, was ein halber Liter Milch kostet. Und bevor ich das hasse, was ich eigentlich liebe, habe ich die Notbremse gezogen. Ich habe eine wunderbare Familie, die mir den Rückhalt gegeben hat, damit ich nun voller Elan wieder einsteigen kann. Es hat mich stärker gemacht. Hätte ich die Pause nicht gemacht, wäre ich vermutlich durchgeknallt. Ich hatte auch Moses, der meine Entscheidung unterstützt hat. Ich sehe die Dinge jetzt viel klarer, bin ruhiger und auch viel selbstdiziplinierter geworden. Das hat mir gut getan.

blengaone: Wann kommt das neue Album raus?

SS: Ein genaues Datum gibt es noch nicht. Wir sind gerade am Produzieren und ich hoffe, dass es am Ende des Jahres rauskommt.

blengaone: Vielen Dank für Deine Zeit und Deine ehrlichen Worte.

von Sandy Kolbuch

Mehr zum Artikel:

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. (Kommentar wird erst geprüft)


*